Unverschämt schamlos über Sex und Gott reden

„Shameless. A Sexual Revolution“ lautet der amerikanische Titel von Nadia Bolz-Webers neuem Buch, auf Deutsch ist es jetzt unter dem Titel „Unverschämt schamlos. Mein Plädoyer für eine sexuelle Reformation“ erschienen.

So wie Martin Luthers Reformation vor 500 Jahren die Menschen vom Zwang befreite, den von der Kirche auferlegten Verpflichtungen nachzukommen, möchte Bolz-Weber die Menschen von unheilvollen kirchlichen Moralvorstellungen befreien, die ihr Leben zerstören.

Nadia Bolz-Weber, "Unverschämt schamlos. Mein Plädoyer für eine sexuelle Reformation"
Nadia Bolz-Weber, „Unverschämt schamlos. Mein Plädoyer für eine sexuelle Reformation“

Sie setzt sich dabei mit der in amerikanischen konservativen Kirchen verbreiteten Keuschheitskultur auseinander, die sie als Ursache für eine menschenfeindliche Sexualmoral und Theologie sieht. Deren zentrale Aussage beschreibt Bolz-Weber ironisierend so, „es sei Gottes Plan, dass alle Menschen heterosexuelle Cisgender-Christen sind, die niemals mit jemandem Sex haben, bis sie ihre wahre Liebe heiraten und Kinder kriegen.“ Das Versprechen dieser Theologie lautet, wer bis zur Ehe ohne Sex lebt und in der (natürlich verschiedengeschlechtlichen!) Ehe die vorbestimmte Geschlechterrollen einnimmt, folgt Gottes Plan und wird gesegnet. Die Erfahrung aber für die überwiegende Anzahl von Christenmenschen sieht anders aus, sie werden seelisch krank aufgrund dieser theologischen Engführung. Dagegen setzt Bolz-Weber:

Für Gott ist jeder anders, aber niemand ist besonders. Du bist niemand Besonders, weil du straight bist. Oder schwul. Oder ein Mann. Oder cisgender. Oder trans. Oder asexuell. Oder verheiratet. Oder ein Sexprotz. Oder eine Jungfrau. Wir alle haben denselben Gott, der in uns dasselbe Ebenbild angelegt und uns unvollkommenen Menschen so überwältigende Dinge anvertraut hat wie Sexualität, Kreativität und die Fähigkeit, als Individuen zu lieben und geliebt zu werden, wie wir sind.

Persönlich und unverkrampft spricht Bolz-Weber über Sexualität, sexuelle Identität und Gender. Sie erzählt, wie sie selbst die sexualethische Enge in einer konservativen erlebte – und ihre erste sexuelle Begegnung verheimlichen musste. Auch eine Abtreibung und ihre Scheidung spart sie nicht aus. Im Buch wird sie als Mensch greifbar, auf Augenhöhe spricht sie ihre Leserinnen und Leser an. Außerdem erzählt sie aus ihrer Seelsorgearbeit als Pfarrerin und kann so an Beispielen mitten aus dem Leben ihre lebensbejahende Theologie entfalten. Statt prüder Sexualmoral und lustfeindlicher Kirchenväter erzählt sie die biblische Botschaft aus einer lebens- und sexbejahenden Perspektive.

Und dann schenkte Gott die beiden Erdling einander, weil sie zueinander gehörten. Sie waren für- und voneinander gemacht. Und sie passten zusammen. Und deshalb haben bis zum heutigen Tage viele von uns das Bedürfnis, mit einem Gegenüber emotional, sexuell und geistlich zusammenzupassen.
Und die beiden Erdlinge, der Mann und die Frau, waren nackt. Sie schämten sich dafür nicht. Scham gab es schließlich noch nicht. Sie kommt aber schon bald.

Als Gegenmittel gegen Scham, Häresie und allzu vertraute Ungerechtigkeit setzt Bolz-Weber Freiheit, Mut und Anteilnahme:

Anteilnahme bringt uns näher ans Herz der Ethik Jesu: Gott zu lieben und unseren Nächsten wie uns selbst. […] Anteilnahme bedeutet, darauf zu achten, wie unser sexuelles Verhalten sich auf uns und andere auswirkt. […] Eine Sexualethik, die Anteilnahme einschließt, bedeutet, dass ich jemanden als ganze Person sehe und nicht nur als willigen Körper.

Bolz-Webers Buch ist gut zu lesen, sie spricht offen, ehrlich und ohne Tabus über Gott und Sex. Dabei kommt die für für sie typische Mischung aus Verletzlichkeit, Humor und Offenheit zum Tragen. Ihr Buch richtet sich an alle, ihr Leben als sexuelle Wesen und ihr Leben mit Gott nicht voneinander trennen wollen.


Nadia Bolz-Weber, Unverschämt schamlos, ISBN 978-3-96140-116-1, € 16,00

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