Gottesdienst ist Gemeinschaft – aber nicht immer an einem Ort

Vor zwei Wochen hätte niemand gedacht, dass es in Deutschland keine Gottesdienste mehr in Kirchen gibt, dafür feiern Menschen aber Gottesdienst im Netz, in Häusern, am Telefon und an anderen Orten. Online-Gottesdienste stehen auf einmal hoch im Kurs. Die Umstellung von Präsenzgottesdiensten in Kirchen zu anderen Formen von Gottesdiensten zeigt, was einen Gottesdienst ausmacht.

Online-Gottesdienste und Fernsehgottesdienste

Viele Gemeinden unternehmen Anstrengungen, ihre Gottesdienste zu streamen. Sie könnten ja einfach auch auf Rundfunkgottesdienste verweisen. Der Unterschied zum gesendten Gottesdienst besteht darin, dass der Gemeindegottesdienst von einer Gemeinschaft getragen wird und sich in ihm das Gemeindeleben vor Ort abbildet. Fernsehgottesdienste dagegen stehen für Reichweite und bundesweite Ausrichtung, nur in sehr begrenztem Maße gibt es bei Ihnen einen Rückkanal. Ziel eines digitalen Gottesdienstes aus einer Gemeinde muss es daher sein, die Gemeinschaftsmöglichkeiten der Begegnung an einem Ort durch Ko-Präsenz im Netz erlebbar zu machen.

Gottesdienst als Gemeinschaftsgeschehen

Begrüßung im Chat

Zum zweiten Mal habe ich am letzten Sonntag einen Gottesdienst als Gruppenchat mit YouTube-Einspielungen gehalten. Während man sich sonst vor dem Gottesdienst begrüßt, fand diesmal die Begrüßung im Chat statt: die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tippten, wer und wo sie sind. Sehr häufig eben auch eine Familie oder ein Paar an einem Handy. Gemeinde ist so ein Netzwerk von Hausgemeinschaften.

YouTube-Gottesdienst mit Kommentaren

Ähnliches habe ich auch bei YouTube-Gottesdiensten gesehen. In die Kommentarspalten schreiben die Menschen, wer dem Stream folgt und sie grüßen sich. Dies ist für mich der entscheidende Unterschied zu Gottesdiensten, die nur hochgeladen werden und für Interessierte zum Abruf bereitstehen. Ob Stream, Telefonkonferenz oder Gruppenchat: wichtig ist, dass Menschen gleichzeitig im Gebet und Hören auf Gottes Wort verbunden sind. Diese Gleichzeitigkeit zeigt sich auch daran, dass Menschen auf Gebete und Predigt mit einem getippten, aber für alle sichbaren, „Amen“ reagieren können. Außerdem: ich weiß aus Rückmeldungen, dass am Ende der zugesprochene Segen auch als wichtig wahrgenommen wird. Segen ist Begegnungsgeschehen, aber kein Abruf eines Videos als Konserve. Online-Gottesdienste zeichnen sich dadurch aus, dass sie Interaktion – und somit Gemeinschaft – ermöglichen.

Einbeziehung der Gemeinde durch Interaktivität

In typischen landeskirchlichen Gottesdiensten beteiligt sich die Gemeinde beim Gesang und in den Responsorien. Bei digitalen Gottesdiensten erlebe ich, dass die Gemeinde sich viel aktiver einbringt. Internetkommunikation senkt die Hemmschwelle, sich zu äußern. In dieser Zeit sind es besonders die Fürbitten, die online gepostet werden und in den Gottesdienst einbezogen werden. Der Gottesdienst wird so schnell zu einem interaktiven Geschehen. Das Internet als Medium ist natürlich kein automatischer Garant für Interaktivität, aber vereinfacht diese sehr.

Vor der Corona-Pandemie habe ich oft als Argument für Gottesdienststreaming von Gemeindegottesdiensten gehört, dass so andere Zielgruppen Zugang zur Gemeinde fänden und es auch niederschwelliger möglich sei, aus dem Netz sich erstmal die Gemeinde anzusehen. Aufeinmal geht es nicht um neue Zielgruppen, sondern das Streaming wendet sich an die ganze Gemeinde. Ich bin gespannt, wie und ob das langfristig das Gemeindenleben verändern wird. Werden nach der Corona-Krise die online ausprobierten Interaktionsformen Eingang in Gemeindegottesdienste finden, wenn diese wieder in den Kirchen stattfinden? Wir werden es sehen.

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