Was machen die mit den Handys in meinem Kirchhof?

Wenn Sie als Pfarrer, Küster oder Presbyter häufig auf dem Außengelände Ihrer Kirche zu tun haben, sind sie Ihnen vielleicht schon aufgefallen: Seit etwa einem halben Jahr irren da vermehrt Personen mit ihren Smartphones in der Hand umher, manchmal in kleinen Gruppen, nicht selten nachts. Womöglich schreiten sie kreisförmig auf und ab, kurz – sie scheinen zwar harmlos, benehmen sich aber höchst sonderbar.
Ach, die. Die wollen nur spielen. Ihre Kirche ist ein Portal.

So sieht ein Spieler eine Kirche als "Portal" in seinem Smartphone
So sieht ein Spieler eine Kirche als „Portal“ in seinem Smartphone

Das weltweite Spiel „Ingress“ (ingress.com) von Google spielt man virtuell auf seinem Android-Smartphone, während man sich gleichzeitig mit Geobezug in der realen Welt bewegt. Orte der realen Welt sind also, unsichtbar für Unbeteiligte, Spielfelder, die man aufsuchen muss, um dann auf dem Smartphone Spielzüge zu machen. Diese Orte, sogenannte Portale, können z. B. Kunstwerke sein, öffentliche oder markante Gebäude. Sofort wird klar, dass viele Kirchen als Portale in Frage kommen, aber genauso Büchereien, Denkmäler, Marktplätze oder profane Straßenbahnhaltestellen. In der Spielhandlung kämpfen Agenten zweier Fraktionen, „Enlightened“ und „Resistance“, gegeneinander um von Außerirdischen, den „Shapers“, hier ausgesetzte exotische Materie und letztlich nicht weniger als die Weltherrschaft. Die „Erleuchteten“ unterstützen die „Formenden“, weil sie sich von deren Einfluss Großartiges versprechen, der „Widerstand“ versucht für uns Menschen den Status Quo zu bewahren, ist also quasi die CSU unter den Spielern. Die grünen und blauen Mannschaften nennen sich auch gern „Frösche“ oder „Schlümpfe“, grüßen sich und gehen gemeinsam grillen, der Kampf ist durchaus spielerisch zu verstehen.
Die Spieler, die Sie aufsuchen, haben also keinen speziellen Bezug zur Kirche. Was bedeutet es dann für uns von der Kirche, wenn scharenweise „Nerds“, also computerverliebte junge bis mittelalte Menschen, angelaufen kommen? Bedeutet es überhaupt etwas? Wenn sich die Spieler regelkonform verhalten, sind sie durchweg harmlos. Portale dürfen nur im öffentlich erreichbaren Raum liegen, die Spielzüge involvieren keine Handlungen in der realen Welt. Wie schon beim Geocaching, können einzelne rücksichtslose Spieler Beete zertrampeln oder Müll hinterlassen, das ist aber sicher die Ausnahme. Selbst wer Ihren Hof mitten in der Nacht abschreitet, will weder einbrechen noch das Gelände kaufen. Es ist auch sicher übertrieben anzunehmen, ob sich über einer Kirche gerade ein blaues Feld des Widerstands oder ein grünes der Erleuchtung spanne, habe einen theologischen Einfluss auf das Leben der Gemeindeglieder und Nichtspieler. Die einzige echte Überschneidung, die auch unter Spielern kontrovers diskutiert wird, sind Portale auf Friedhöfen, wo gedankenlose Spieler auf Trauernde treffen und durch pietätloses Benehmen auffallen könnten.
Kreative Kräfte in der Gemeinde könnten versuchen, die Spieler in der Wirklichkeit für die Kirche zu gewinnen, sie vielleicht durch geeignete (gern auch verrätselte) Aushänge anzusprechen und Veranstaltungen auf sie zuzuschneiden. Sie sollten aber bedenken, dass ein Teil der Spieler vermutlich keine Christen sind, und in Gedanken schon einen „Link“ auf ihre nächste Station planen, das Reiterstandbild des Kurfürsten oder ein Graffiti am Hauptbahnhof. Wer ein solches Konzept durchzieht, dem wäre der Autor für Berichte dankbar.
Ingress ist kostenlos, aber eine geschlossene Gesellschaft. Wer Interesse hat mitzuspielen, benötigt ein Android-Smartphone (ja genau, ein iPhone geht gar nicht), und eine Einladung, die man von anderen Spielern, z. B. dem Autor, erbitten kann. Ohne diese Mitgliedschaft kann man das Spiel leider nicht einmal beobachten – oder auch nur erfahren, ob die eigene Kirche wirklich ein Portal enthält. Als Mitspieler hat man dafür die Möglichkeit, ein solches Portal auch selbst einzureichen – „wenn du es baust, werden sie kommen“.

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