Wiederentdeckt: Ein Lied gegen die Pandemie

Æmilie Juliane von Barby-Mühlingen (CC BY-SA 3.0 Wir photographieren selbst III)
Æmilie Juliane von Barby-Mühlingen (CC BY-SA 3.0 Wir photographieren selbst III)

Die Evangelischen Gesangbücher enthielten früher Abschnitte „Von Pest und Seuche“ oder „Zur Zeit ansteckender Seuchen“. Eines der beeindruckendsten Lieder in dieser Abteilung stammt von Ämilie Juliane Gräfin von Schwarzburg-Rudolstadt (1637-1706), geb. Gräfin von Barby-Mühlingen.1 Sie ist auch die Verfasserin der Lieder „Bis hierher hat mich Gott gebracht“ (EG 329) und „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende“ (EG 530), die in unserem Evangelischen Gesangbuch stehen.

Die erste Strophe ihres Liedes greift einen Gedanken aus 1. Chr 21,13 auf. König David, der gegen Gottes Willen eine Volkszählung durchgeführt hat, um seine Macht zu demonstrieren und seine Finanzen zu sanieren, kann zwischen verschiedenen Strafen2 wählen, die ihm der Prophet Gad zur Auswahl stellt: Entweder drei Jahre Hungersnot oder drei Monate Flucht vor dem Schwert deiner Feinde oder drei Tage das Schwert des Herrn und Pest im Lande, dass der Engel des Herrn Verderben anrichte im ganzen Gebiet Israels. David wählt die Seuche. Er sagt zu Gad:

„Mir ist sehr angst, doch ich will in die Hand des Herrn fallen, denn seine Barmherzigkeit ist sehr groß; aber ich will nicht in Menschenhände fallen.“

Lieber als sich allen anderen Gefährdungen auszusetzen, gibt David sein Leben in die Hand Gottes in einer Pandemie.

In der zweiten Strophe erinnert Ämilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt an die Zusage, dass wir den Geist der Kindschaft empfangen haben, mit dem wir Gott in der größten Not vertrauensvoll anrufen können: „Abba, lieber Vater“ (Röm 8,15; Gal 4,6). Auch Jesus selbst ruft Gott in höchster Todesnot so an: „Abba, Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir“ (Mk 14,36). Gott ist unser Helfer (Ps 40,18; Sach 9,9; Jdt 9,11 u. ö.), Arzt (2 Mose 15,26) und Rat (Jes 9,5). Er allein kann uns retten.

Die dritte Strophe schöpft unendliche Zuversicht aus Ps 91: „Denn er errettet dich … von der verderblichen Pest. … Zuflucht wirst du haben unter seinen Flügeln, … dass du nicht erschrecken musst … vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt.“ Gott können wir unser Schicksal mit Leib und Seele anvertrauen.

in der vierten Strophe identifiziert sich die Sängerin mit dem Erzvater Jakob, der am Fluss Jabbok mit Gott kämpft und sagt: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“ (1 Mose 32,26). In tiefer Dichte beschriebt die Verfasserin des Liedes, wie Beter um den Segen Gottes ringt: “ Ich lass dich nicht, … bis du dich mein erbarmest „.

Der Text des Liedes in moderner Orthographie und leicht veränderter, an unsere sprachlichen Gewohnheiten angepasster Gestalt:3

O Gott! Ich fall in deine Rut’ (Hand)

1. O Gott! Ich fall in deine Hand,
die sich durch Krankheit zeiget.
Hat deine Güte jetzt Bestand,4
bist du uns noch geneiget:
So lass das Best’ bei dir bestehn,
und deinen Zorn vorüber gehn,
damit die Krankheit weiche.
1 Chr 21,13; Ps 85,5
 2. Wir laufen alle her zu Hauf,
und rufen: „Vater! Vater!“
nimm uns durch Christi Blut doch auf,
sei Helfer und Berater,5
damit wir alle, Groß und Klein,
in Jesu Wunden sicher sein,
und keine Krankheit spüren.
3. Dir, als dem Geber alles Guts, 
wir Leib und Seel vertrauen;
sind in dir dabei guten6 Muts,
und hoffen stets zu schauen,
wie du uns wirst zu Nacht und Tag,
beschützen vor der Krankheits-Plag,
dass wir dir ewig danken.
Ps 91,2-7
4. O Gott! Dein Herz, erbarmungsvoll,
mein armes Herz anschreiet:
Du kennst mein Bitten gar zu wohl.
Ach! Wenn es mir gedeihet,7
so lass mich nicht, erhöre mich,
ich lass dich nicht, ich halte dich,
bis du dich mein erbarmest.
1 Mose 32,26
Text: Suhl, 1685

Das Lied lässt sich auf die Melodien von EG 219 oder EG 342 singen. Gut passt es auch zur Melodie von EG 273 (Ach Gott, vom Himmel sieh darein).

Literatur:

  • Hoch-Freyherrlich Egloffsteinisch-geistliches GesangBuch. Felßecker, Nürnberg 1727, Nr. 591, S. 773
  • Gottfried Lindner, Johann Martin Alberti (Hrsg.): Das vermehrte Schleitzische Gesang-Buch. Maucken, Schleitz 1727 , Nr. 535, S. 634f
  • Albert Friedrich Wilhelm Fischer: Kirchenlieder-Lexicon, Bd. I. Perthes, Gotha 1878, S. 153
  • Artikel Æmilie Juliane von Barby-Mühlingen. In: Wikipedia (de.wikipedia.org), abgerufen am 21. März 2020

Autor des Blogpost:
Eckart Schwab
Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland
Hans-Böckler-Straße 7, 40476 Düsseldorf
Abt. I, Dez. 1.3 Gemeinde

1 Vgl. EG, S. 1584.

2 „Rut(e)“ im Originaltext meint ein Bestrafungsinstrument .

3 Der Originaltext ist in den Fußnoten beigegeben.

4 Original: „O Gott! Ich fall in deine Rut (siehe Anm. 2), die sich durch Krankheit zeiget. Ach! Kann es sein, ist es uns gut“.

5 Original: „ein Rater“ oder „Einrater“.

6 Original: „gutes“.

7Änderung „kennst“ statt „weißt“; „Gedeihen“ meint hier ungefähr: „mir wird zu theil, was ich … brauche“; Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. IV,I,1. Hirzel, Leipzig 1878, Sp. 1990. Statt „mir gedeihet“ könnte man auch singen: „mich erneuet“.

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