Desinformation in Social Media in Zeiten des russischen Angriffs auf die Ukraine

Kriegszeiten sind Zeiten der Propaganda und seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine sind die Social-Media-Plattformen voller Bilder und Nachrichten, die die öffentliche Meinung beeinflussen sollen. Das gilt für beide Seiten: Putin inszeniert sich als vom Westen bedroht und angegriffen. Seinen Krieg lässt er als sogenannte Spezialoperation bezeichnen, die dazu diene, die Ukraine von Nazis zu befreien. Auch Selenskyj verbreitet Propaganda. Ganz Medienprofi inszeniert er sich als heroischen Underdog und könnte damit Hauptfigur in einem beliebigen Hollywood-Film sein. Eine beliebte, ständig wiederholte Geschichte in der ukrainischen Propaganda ist die Unfähigkeit der russischen Armee – dargestellt in immer neuen Varianten der Geschichte des einfachen Bauern, der mit seinen Trecker russische Militärfahrzeuge abschleppt.

Weinglas: Halbvoll oder halbleer?
Weinglas: Halbvoll oder halbleer?

Propaganda funktioniert, weil sie Geschichten erzählt, denen wir gerne glauben, weil sie in unser Weltbild passen. Die Geschichte von den Nazis in den Ukraine gibt der russischen Bevölkerung das angenehme Gefühl, ihr Land sei in diesem Krieg die „gute“ Seite. Sie stärkt zugleich das Selbstbild der verfolgten Unschuld, das standardmäßig seit Jahren von Putin wie von Rechtspopulisten benutzt wird. Selenskyj wiederum gibt mit seinen Propaganda-Geschichten ein wenig seelische Erleichterung. Wer über die russische Armee lacht, fürchtet sich etwas weniger vor ihr, und ist motivierter, gegen sie zu kämpfen.

So genannte Fake News, also Propaganda und Falschmeldungen haben immer einen wahren Kern, der dann aber maßlos verdreht oder dramatisiert wird. Ein Beispiel: Die russische Propaganda verbreitet gerne Karten, auf denen zu sehen ist, wie die NATO Russland geradezu umzingelt. Es stimmt, dass sich das Gebiet der NATO in Europa nach Osten ausgedehnt hat. Unterschlagen wird bei dieser Lesart aber ein wichtiges Detail: Die osteuropäischen Länder sind freiwillig und von sich aus der NATO beigetreten, weil sie sich im Militärbündnis Schutz erhoffen. So wird aus einer an sich korrekten Karte ohne bei Weglassung des Kontextes eine plausible Propaganda-Lüge. Auch die ukrainische Propaganda geht immer von einem wahren Kern aus. Ukrainische Bauern haben wirklich manchmal verwaistes russisches Kriegsgerät erbeutet. Allerdings ist das längst nicht so oft passiert, wie es Fotos gibt, die das angeblich zeigen sollen. Und viele dieser Fotos sind auch zu lustig, um wahr zu sein. Längst ist diese Geschichte zu einem Witz geworden. Die ukrainische Propaganda vermeidet die krasse Lüge, und kommt eher mit einem Augenzwinkern daher, dient aber selbstverständlich trotzdem der Kriegsführung.

Es gibt aber einen sehr großen Unterschied zwischen der russischen und der ukrainischen Propaganda: Während ukrainische Propaganda in der Form etwas neues ist, arbeitet die russische Propaganda-Maschinerie bereits seit vielen Jahren. Genauer gesagt, seit 2014, dem Jahr der Annexion der Krim durch Russland. Seither führt der Kreml einen Informationskrieg in den westlichen Ländern, der dazu dient, die Bevölkerung zu spalten und die Demokratie zu schwächen. Dass Querdenker, Rechtspopulisten, Pegida-Gänger usw. sich immer wieder als erstaunlich putinfreundlich zeigen, ist kein Zufall. In den St. Petersburger Trollfabriken sitzen vielsprachige Menschen, die sich auf den internationalen Social-Media-Plattformen für ganz normale Deutsche, Franzosen, Amerikaner oder Ukrainer ausgeben und Unruhe stiften. Sie tauchen in der Flüchtlingskrise 2015 auf, im US-Wahlkampf 2016, im Brexit-Referendum des gleichen Jahres, in der Katalonien-Krise 2017, im französischen Präsidentschaftswahlkampf des gleichen Jahres und zuletzt in der Corona-Pandemie.

Mit etwas Übung kann man solche Propaganda an ihrer Struktur erkennen: Manchmal nehmen sie offen rechtspopulistische Positionen ein, aber meistens versuchen sie aber einfach nur, Verwirrung zu stiften. Immer erzählen sie Geschichten, die für einen Teil der Öffentlichkeit stimmig sind, und schüren Ängste. In der Corona-Pandemie geschieht dies zum Beispiel mit Falschmeldungen über die Wirksamkeit von Impfstoffen oder die angebliche Gefährlichkeit von FFP2-Masken für Kinder. Überhaupt sind Kinder ein wichtiges Propaganda-Motiv. Kinder sind unschuldig und schutzbedürftig, weshalb Propaganda-Lügen, bei denen es um den Missbrauch von Kindern geht, besonders wirksam und emotional aufwiegelnd sind. Das ist ein uralter und meist auch inhärent antisemitischer Mechanismus: Im Mittelalter wurden den Juden vorgeworfen, Säuglinge in grausamen Ritualen zu verspeisen – heute verbreiten Anhänger des Qanon-Verschwörungsmythos die Schauergeschichte, die Eliten würden Kinder unterirdisch gefangen halten, um aus ihnen eine lebensverlängernde Substanz zu gewinnen. Im US-Wahlkampf dienten solche Geschichten dazu, Hillary Clinton zu diskreditieren, ohne direkt Partei für Donald Trump zu ergreifen.

Für dem Umgang mit Falschinformationen gibt es ein paar Daumenregeln. Gerade wenn eine Meldung emotional stark erregend ist und in einem dramatischen Ton daherkommt, sollte man sie auf keinen Fall sofort verbreiten, sondern erst einmal durchatmen. Oft hilft schon die Frage, von wem eine Nachricht stammt und wo sie verbreitet wird, um sie einordnen zu können. Bekommt man sie aus Telegram oder WhatsApp, genügt es oft schon, nachzusehen, ob die gleiche Meldung auch in seriösen journalistischen Medien verbreitet wird. Ist das nicht der Fall, ist sie wahrscheinlich Unsinn. Oft sind auch Bilder und Videos enthalten, die zwar echt sind, aber nicht das zeigen, was behauptet wird. In der Bildersuche von Google lassen sich auch Bilder hochladen, um festzustellen, wann und wo sie zuvor schon veröffentlicht wurden. Dabei stellt sich dann oft raus, dass das Foto gar nicht zu der betreffenden Meldung gehört, sondern etwas ganz anderes zeigt, das sich zu einer ganz anderen Zeit ereignete.

Viele glauben, dass sie Falschinformation daran erkennen können, auf welcher Plattform sie verbreitet werden. Aber es ist relativ egal, ob eine Plattform strikt gelenkt wird und bestimmte Inhalte unterdrückt, wie das etwa bei Tiktok der Fall ist, oder ihre Betreiber ein Maximum an Meinungsfreiheit verfolgen wie bei Telegram. In beiden Fällen finden wahre Information und Propaganda nebeneinander statt. Während Telegram ein Hort der deutschen Querdenker-Szene ist, wird es in Diktaturen von Dissidenten benutzt. Und während die chinesische Staatsführung kontrolliert, was auf Tiktok stattfindet und unterbindet, dass nicht-russische Nachrichten in Russland ausgespielt werden, ist gerade Tiktok zu einer Plattform geworden, auf der viele Ukrainer wahre Kriegsgeschehnisse verbreiten, die sie mit ihren Smartphones filmen.

Ehrlicherweise muss man aber einfach anerkennen, dass normale Menschen, die ihren Alltagsdingen nachgehen, mit solchen Recherchen schon zeitlich völlig überfordert sind. Solche Recherche-Techniken können punktuell hilfreich sein, wenn eine Person in der eigenen WhatsApp-Gruppe unangenehmen Unsinn verbreitet. Ständig alle möglichen News auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, ist aber niemandem zuzumuten. Das ist der Job von Journalisten und man kann durchaus darauf vertrauen, dass seriöse Redaktionen um Aufrichtigkeit bemüht sind. Nur die Entscheidung, welche Redaktionen wir ganz persönlich für seriös halten und welche nicht, ist nicht immer ganz leicht zu treffen. Manchmal ist es ganz einfach wie beim Fernsehsender RT Deutsch, von dem sowieso bekannt ist, dass es sich um russisches Staatsfernsehen handelt, der im Zweifel Propaganda sendet. Wenn das auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist, gilt die Regel: Verbreitet eine News-Quelle oft reißerische Geschichten, die immer dem gleichen Schema entsprechen, ist sie wahrscheinlich nicht allzu seriös.

Wichtig im Umgang mit Falschinformationen ist öffentlicher Widerspruch. Wenn besagte Person in der WhatsApp-Gruppe gefährlichen Unsinn verbreitet, ist es wichtig, diesen auch in der Gruppe als gefährlichen Unsinn zu benennen. Geschichten, die zu lange unwidersprochen im Raum stehen, sind irgendwann salonfähig. Und giftige Information ist es, die in Gruppen, Familien und Freundschaften das Klima vergiftet – nicht diejenigen, die der giftigen Information widersprechen. Allerdings sollte man sich nicht Hoffnung machen, Anhänger von Verschwörungsmythen überzeugen und bekehren zu können. Das funktioniert nicht. Der Streit mit ihnen dient vor allem der mitlesenden Öffentlichkeit. Und die glaubt am Ende nur bedingt demjenigen, der bessere Argumente hat, sondern leider eher vor allem demjenigen, der in der Auseinandersetzung freundlicher und sympathischer rüberkommt.


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