„Micha 5,1-4 statt Hashtag-Keule” – so überschreibt knuuut seinen Blogpost, in dem er die kirchlichen Reaktionen auf den Anschlag in Berlin kritisiert:
„Die Stimmen, die eine „geistliche Rettungsgasse“ freihalten wollen sind selten. Wer als erster #prayforXXX brüllt, gilt als am Puls der Zeit. Ich möchte das nicht. Gaffern gleich wälzt sich die News-Desk-Redaktion durch den Stream. Flugs ein gepostetes Bildchen zur Anteilnahme und das Fürbittengebet aus der Cloud, schnell noch eine virtuelle Kerze auf einer Gedenkseite entzündet, fertig.”
Ja, noch in der späten Nacht – als in den deutschen Leitmedien noch diskutiert wurde, ob die Gewalttat in Berlin ein „Anschlag” sei – haben wir (EKiR-Online/Social Media Redaktion) ein Gebet auf Facebook gepostet (die Grafik dieses Posts übernimmt übrigens knuuut für seinen Blogpost).
Ich gebe zu, wir haben ein Gebet genommen, das wir bereits zum Anschlag in Nizza veröffentlicht hatten, und haben dies der Situation in Berlin angepasst. Aber wenn der Hashtag „PrayforBerlin” ein „trending topic” ist, dann finde ich es nur angebracht, ein Gebet anzubieten, das Social-Media-Nutzerinnen und Nutzer sich aneignen können und Worte anzubieten, mit denen sie die Lage im Gebet vor Gott bringen können. Wäre die Alternative gewesen zu schweigen?
„Der gekommen ist zu heilen, was zerbrochen ist, hat so keine Chance.
Der krummes [sic!] gerade macht und zu Ende bringt, was abgebrochen erscheint, hat keinen Platz.”
Warum? Ich sehe es ganz anders: Wenn in den Gebeten die Betenden die Wirklichkeit Gottes erfahren, dann verändert das auch die Sicht auf die eigene Lage, darauf, wie man die Wirklichkeit wahrnimmt. Dann steht gegen die Gewalt die Liebe. Eigentlich vermessen, angesichts der Gewalt und des Hasses, der solch einem Anschlug zu Grunde liegt, von Liebe zu sprechen, aber das geht wohl nur deswegen, weil Gott in Jesus selber Opfer der Gewalt geworden ist.
„Ja, der Friede, ist in Jesus Christus Wirklichkeit geworden.
Er ist wirklich geworden, auch wenn nicht alle Menschen diese Wirklichkeit zu erkennen in der Lage sind. Das ist nicht ihre Schuld. Das ist überhaupt nicht Schuld, das ist schlichtweg unerklärlich.”
Theologisch stimmt es „„der Friede, [sic!] ist in Jesus Christus Wirklichkeit geworden”, aber dies angesichts der Toten und Verletzten laut auszusprechen, ist unpassend. Auch die Verkündigung des theologisch Richtigen hat seine Zeit, nach einem Anschlag ist eine Unzeit dafür in meiner Meinung. Aber was wir machen können: Die Diskrepanz zwischen der durch die Gewalt bestimmten Wirlichkeit und der Hoffnung auf eine bessere Welt können wir als Klage vor Gott bringen. In der Hebräischen Bibel finden sich viele solcher Klagegebete und Klagepsalmen.
Wer gestern die kirchlichen Facebook-Posts durchging, fand auch solche nur mit Bild und Hashtag. Es ließ sich die Fassungslosigkeit spüren – ob man dann besser hätte schweigen sollen, sei dahin gestellt. Wer, wenn nicht die Kirchen, sollten versuchen, Worte zu finden, um die Geschehnisse vor Gott zu bringen. Ob immer die richtigen Worte gefunden wurden, das lässt sich diskutieren, aber Gebte anzubieten, ist meines Erachtens genau das, was Kirche tun sollte und muss.
„Und doch breitet sich diese Unerklärlichkeit weiter aus oder artikuliert sich vielleicht einfach nur lauter als in der Vergangenheit. Die Deutungshoheit und ein Monopol auf „Sinnhaftigkeit“ haben wir als Kirche schon seit längerem verloren. Aber in Notsituationen und Katastrophen (t)wittern wir Morgenluft. #fuckthisshit !”
Menschen haben ein Gespür, was ernst gemeint ist und was anbiedernd ist. Ich habe nicht alle kirchlichen Äußerungen wahrnehmen können, soweit ich es jedoch beurteilen kann, sowohl Bischof Heinrich Bedford-Strohm als auch Präses Manfred Rekowski setzen den Anschlag in Bezug zur Weihnachtsgeschichte, da sind sie ganz Theologen und als solche sprechen sie – zuerst zu den Kirchenmitgliedern und auch in die Gesellschaft. Aber es gibt nicht nur online und in den Medien Worte, die das Geschehen einordnen, in vielen Orten finden Gottesdienste statt.
„Mit diesem Verhalten werden wir uns dem Spott und auch dem Verdacht aussetzen müssen, wir wollten über den wahren Zustand der Welt hinwegtrösten. Als Trost verkleidete Empörung hilft da gar nicht.
Christen täten gut daran von ihrer Gewissheit zu erzählen und die Zuversicht, die sich daraus ergibt, erlebbar zu machen. Sie wären aber schlecht beraten ihre Gewissheit als Hashtag in die Öffentlichkeit zu Posaunen [sic!] und sich selbst damit als (noch) relevant zu proklamieren.“
Ich habe es nicht geschafft, selbst einen Trauer- und Fürbittgottesdienst zu besuchen. Theologisch sicherlich nicht einfach, in solch einem Gottesdienst die richtigen Worte zu finden.
Der Anschlag ist schnell instrumentailiert worden. Bevor die Polizei Details bekannt gegeben hatte, nutzte die AfD den Anschlag bereits, um Stimmung gegen Flüchgtlinge zu machen und Islamophobie zu schüren. Wenn Kirchen zu Gebet aufrufen und Gottesdienste anbieten, dies als Streben nach gesellschaftlicher Relevanz zu werten, ist unangebracht. Ich habe es nicht erlebt, dass die kirchliche Hashtag-Keule geschwungen wurde, sondern dass die in Gebrauch befindlichen Hashtags auch mit geistlichen Inhalten gefüllt wurden. #PrayforBerlin – das sollten wir tun.
Und ich werde mir überlegen müssen, was und wie ich am ersten Weihnachtstag nun über Micha 5,1-4 predigen werde.
Nachtrag 22.12. aufgrund der Diskussionen auf Facebook:
Anbei die Statiskik zum EKiR.de-Facebook-Post zum Anschlag in Berlin und die Auswertung der Topposts auf unserer FP-Präsenz in diesem Jahr, die ich vor dem Anschlag in Berlin vorgenommen habe.
Erstaunlich ist, dass Gebete bei Katastrophen – sogar ohne Bild – am meisten wahrgenommen wurden. Zahlen sind nicht das beste Argument, zeigen aber, was Leute von uns annehmen. Versteht sich, dass all diese Posts ohne Promotion / bezahlung liefen.
3 Antworten zu “#PrayforBerlin — ja das tun wir”
Über trending topic wäre in der Tat noch zu streiten. Und dass lange Artikel, wenn sie \“theologische Richtigkeiten\“ verbreiten zur Unzeit kommen, vielleicht auch.
Jetzt wäre in der Tat kein richtiger Zeitpunkt für so eine Auseinandersetzung. Darin sind wir immerhin schon jetzt einig.
Kleiner Nachtrag zu den theologischen \“Richtigkeiten\“, die als \“unpassend\“ gewertet werden:
Mein Beitrag wollte keine Alternative für einen FB Post sein, der besser hätte gepostet werden sollen. Das wäre ein Missverständnis. Vielmehr ist er aus der Beschäftigung mit dem Predigttext für den 24.12.2016 unter Eindruck kirchlicher SoMe-Posts entstanden. Ob diese Form glücklich war, darüber kann man streiten.
Wenn wir allerdings schon bei der theologischen Kritik sind: Die Aussage, dass der \“Friede in Jesus Christus gekommen\“ ist, auch wenn die Erfahrung etwas anderes sagt, scheint weiterhin unpassend zu sein. Gestern habe ich ein elektronisches Kalendertürchen aufgemacht, geteilt von der ekir-FB Seite: http://buff.ly/2gbJzzP \“Was wäre wenn?\“
Offenbar besteht Bedarf für theologische Richtigkeiten, die nicht mehr selbstverständlich sind, sondern als generell unpassend angesehen werden.
[…] auf den Weihnachtsmarkt in Berlin kritisiert. Das ganze mündete in einer Art Predigt, was zu Missverständnissen führte. Darum hier noch einmal eine Zusammenstellung der Punkte, auf die es mir […]