Politikverdrossenheit, ständig sinkende Wahlbeteiligung, Misstrauen gegenüber Institutionen charakterisieren den Zustand der westlichen Demokratien, sagt Ethan Zuckerman, Direktor des Center for Civic Media am MIT. Dies belegt er mit verschiedenen Statistiken auf der re:publica 15. Politik, Zeitungen, Gewerkschaften, aber auch die Kirchen fallen unter dieses Verdikt. Leute sind misstrauisch und ziehen sich zurück. Gleichzeitig gibt es Protestbewegungen, die über Social Media in kurzer Zeit Menschenmassen versammeln. Regierungen wären früher zum Nachgeben und Einlenken gezwungen gewesen, heute ignorieren sie Protestbewegungen und lassen sie verpuffen. Die Gezi-Park-Proteste zeigten beispielhaft, dass Oppositionelle aus verschiedenen Richtungen sich zusammenfinden, die nur der Protest ein, aber die sich nicht auf ein gemeinsames Ziel verständigen können. Ethan Zuckerman verweist Zeynep Tufekçi, Social-Media-Proteste sind leicht zu organisieren und schwer zu gewinnen. Wenn sie verpuffen, speist das die Frustration. Die Grundhaltung wird dann das Misstrauen: „In Mistrust We Trust“ scheint die einzige Gewissheit zu sein und man muss mit Ivan Krastev fragen, wie so die Demokratie überleben kann.
Der Dritte Weg: Promise Tracker
Misstrauen ist für viele die Default-Einstellung, Menschen wollen die Welt verändern, sehen aber in Politik und Institutionen keine Chance, soziale Proteste verpuffen folgenlos. Wie kommt man aus diesem Teufelskreis heraus? „How can we turn mistrust into an asset?“ – wie lässt sich Misstrauen als Chance verstehen fragt Zuckerman und schlägt diesen produktiven Mittelweg vor, den er als „monitorial citizenship“ bezeichnet, über Social Media Regierungen beim Wort nehmen und übrprüfen, ob sie das einhalten, was sie bei Wahlen versprechen.
Die Promise Tracker in Sao Paulo sind ein solches Projekt, vor Ort überprüfen Bürger, ob der Bürgermeister das tut, was er versprochen hat.
Beim Monithon in Italien – dem Monitoring-Marathon überprüfen Bürger, wie Fördergelder eingesetzt werden, enthusiastisch berichtet Zuckerman, dass so ein Volkssport mit Smartphone am Wochenende entsteht.
Es sind einzelne Projekte, auf die Zuckerman verweist, aber solche dezentralen Alternativen geben ihm Hoffnung, wie Institutionenverdrossenheit konstruktiv angegangen werden kann, wie Misstrauen zu einer Chance wird, bürgerschaftliches Engagement zu stärken.
Ich frage mich, ob die Idee der Promise Tracker auch in der Kirche funktionieren würde. Auch die Wahlbeteiligung bei Presbyteriumswahlen sinkt über die Jahre, immer häufiger gibt es keine Wahl, weil nicht genügend Kandidatinnen und Kandidaten zur Verfügung stehen. Konkrete Ziele benennen und sich so überprüfbar machen – ist das ein Weg? So entsteht Verantwortung, so kommen Transparenz und Engagement zusammen und geben neue Impulse.