Gesellschaft 4.0 – Leistung bestimmt nicht unseren Wert

Weinberg
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Bei Software werden die Versionsnummern hochgezählt, je höher, desto aktueller die Software. Ein Sprung zur nächsten ganzen Zahl bedeutet einen Entwicklungssprung nach vorne. Vom Web 2.0 redet heute niemand mehr, wir bewegen uns nun in der vierten Stufe der Digitalisierung, zumindest was die Arbeit angeht. Der Begriff Arbeiten 4.0 schließt an die Diskussion über die vierte industrielle Revolution (Industrie 4.0) an, legt dabei aber den Schwerpunkt auf Arbeitsformen. Abgeleitet davon dann von Gesellschaft 4.0 zu sprechen, bedeutet, unsere Gesellschaft über die Arbeit zu definieren: Was Du als Mensch bist, hängt von deiner Arbeit ab.
Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft radikal, wir befinden uns in einem Umbruchprozess. Wir können die Veränderung wahrnehmen, wissen aber noch nicht, wohin sie führt. In Kirche und Gesellschaft erlebe ich zwei Verhaltensmuster: Einerseits Angst und Unsicherheit im Umgang mit Digitalisierung, beide lähmen; auf der anderen Seite gibt es einen unreflektierten Enthusiasmus, in der Digitalisierung sieht man das Heil für die Zukunft. Das Heil kommt nicht durch die Nutzung neuer Technologien, sondern durch die Gute Nachricht des Evangeliums, die wir immer wieder in unsere jeweilige neue Lebenslage übersetzen müssen. Im Folgenden ein Beispiel, wie wir ein Gleichnis neu lesen können.
Die Digitalisierung produziert Unmassen an Daten, menschliches Verhalten wird messbar, der Mensch wird für den Algorithmen zur Summe seiner Daten. Untrüglich wird sichtbar, wer ein High-Performer ist und wer unter dem Durschnitt liegt. Menschen werden in Raster gepresst, Scores werden berechnet, die darüber entscheiden, wer welche Lebenschancen erhält oder wer aussortiert wird. Den Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern wird noch mehr gegeben, in Low-Performer investiert man nicht mehr. Der Mensch ist wert, was er leistet, durch Kennzahlen objektiv dokumentiert.
So vorangetrieben kann Digitalisierung schnell zu einem anthropologischen Horror-Trip werden.  Ich erlebe allerdings auch eine andere Art, Digitalisierung zu denken und umzusetzen. IT-Unternehmer und –Unternehmerinnen, die verantwortlich die Digitalisierung voranbringen, stellen alte Denkmuster in Frage. Wenn beispielsweise Arbeit immer mehr durch digitalisierte Prozesse ersetzt wird, dann muss Arbeit auch gesellschaftlich anders bewertet werden. Wenn es weniger Arbeit für Menschen geben wird, dann darf sie nicht mehr bestimmend sein für das, was ein Mensch wert ist. Daher fordern einige führende IT-Fachleute ein bedingungsloses Grundeinkommen, jedem Menschen steht ein Auskommen zu, unabhängig von seiner Leistung.
Es stellt sich nicht die Frage, ob unsere Gesellschaft sich verändert, sondern wie. Als Christinnen und Christen, als Mitarbeitende in Kirche und Diakonie können wir uns einbringen und für unsere Werte eintreten. In unserer biblischen Tradition haben wir Geschichten, die sich auch im Kontext der Digitalisierung neu erzählen lassen. Ist der Mensch nur das wert, was er an Arbeit leistet oder hat jeder Mensch einen Wert unabhängig von seiner Arbeitsleistung? Wer über Arbeit 4.0  oder Gesellschaft 4.0 diskutiert, kann das alte biblische Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg neu hören.

Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter anzuwerben für seinen Weinberg.
Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg.
Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere auf dem Markt müßig stehen
und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist.
Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe.
Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da?
Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand angeworben. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg.
Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten.
Da kamen, die um die elfte Stunde angeworben waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen.
Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeder seinen Silbergroschen.
Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn
und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben.
Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen?
Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir.

Mt 20,1-14

„Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir.“ (Mt. 20,14), sagt der Besitzer des Weinberges. Lassen Sie uns mit Expertinnen und Experten der Digitalisierung gemeinsam überlegen, was christliche Werte in der Gesellschaft 4.0 bedeuten können.


Aus: Hephata-Magazin Gesellschaft 4.0

 
 
 
 

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