Der Einbruch ins Auto und der Diebstahl des eingebauten Navis mit Autoradio in der Nacht vor dem Urlaub machten mich zum Podcasthörer im Auto. Für das ausgesuchte Ersatzgerät gab es Lieferengpässe, daher hatte ich für sechs Wochen nur ein Smartphone mit Bluetooth-Lautsprecher im Auto.Podcasthören statt Radio (fürs andauerndes Streaming von Radio-Sendungen reicht mein Tarif nicht), also stellte ich mir jeden Morgen eine Playlist aus den in der Nacht über WLAN heruntergeladenen Episoden meiner abonnierten Podcasts zusammen, ein sehr bewusstes Auswählen meiner Lieblingssendungen. Anders als im Radio gibt es keine Sendegebiete mehr, für mich stand daher viel NPR aus den USA auf dem Programm, auch einige US-Unis haben gute theologische Podcasts, außerdem wählte ich vom BR die Evangelischen Perspektiven. Beim Podcast-Googlen fand ich zwar bei meinem Haussender WDR auch schnell kirchliche Podcasts, aber den Morgenandacht-WDR-Podcast habe ich doch nicht abonniert.
Eine Morgenandacht funktoniert nicht als Podcast
Während ich im Radio gerne morgens eine Andacht höre, habe ich für das Podcastabo keine ausgewählt. Wenn ich ehrlich bin, nehme ich eine Morgenandacht gerne im linearen Programm früh am Tag mit, steuere sie aber nicht aktiv später am Tag als Podcast an. Auch höre ich nicht mehrere Andachts-Episoden nacheinander.
Für Podcasts bräuchte die Andacht ein anderes Format. Pray as you go ist ein Podcast für Pendlerinnen und Pendler, jeden Tag gibt es eine rund zehnminütige Episode. Wer sich diesen Podcast auf das Smartphone lädt, will im Berufsverkehr bewusst eine geistliche Auszeit nehmen. Also: kleines entschiedenes Publikum bei solchem Andachts- und Gebetspodcast. Ganz anders die klassische Morgenandacht im linearen Radio. Hier erhalten Hörerinnen und Hörer eines bestimmten Senders einen geistlichen Impuls, der zum Profil des Senders passt. Da die meisten Zuhörer und Zuhörerinnen nicht wegen der Andacht einschalten, sondern diese als Bestandteil des Programmes mitnehmen, muss die Verkündigung niederschwellig sein und entsprechend vermittelt werden.
Pray as you go wird von den britischen Jesuiten getragen, es bietet eine ignatianische Spiritualität an. Eine sehr spezifische, aber engagierte Community ist die Zielgruppe des Podcasts. Wenn man den Schritt vom linearen Radio zum Podcast geht, wird sich dann eine Marke wie „Kirche im WDR“ halten können? Pointierter: werden sich 1Live-Hörerinnen und -Hörer auch den Beitrag von Kirche auf 1Live als Podcast abonnieren? Im linearen Radio nimmt man die Andacht als Teil des Programmes passager mit (außer man schaltet den Sender um), wenn man aber sein eigenes Programm sich zusammenstellt, muss der Podcast entsprechend profiliert sein, damit man ihn aktiv auswählt.
Profil statt Breite
Vermutlich bräuchte man verschiedene Andachtspodcasts (und Kirchensendungen) mit unterschiedlichen Profilen, einen für Zweifler, einen für Fromme, einen für Engagierte, einen für Intellektuelle, einen für Gospel-Fans und einen für Klassik-Hörerinnen und und und und – und für verschiedene Altersgruppen ; also zielgruppenspezifische Andachten statt volkskirchlicher Breite wie zurzeit.
Was man allerdings nicht braucht, sind zigfache identisch positionierte Podcasts, die es nur deshalb mehrfach gibt, weil die öffentlich-rechtlichen Sender für ihre jeweiligen Sendegebiete ihre je eigene Andachtspodacasts verbreiten. Was heißt dies für die kirchlichen Rundfunkreferate, deren Zuschnitt sich an Sendegebieten orientiert? Mehr Kooperation? Oder werden sich neue Anbieter für spirituelle Podcasts etablieren?
Bei meinem Selbstversuch habe ich Podcasts entdeckt, deren technische Qualität zwar zu wünschen ließ, aber deren Inhalt genau mein Interesse traf und die ich deshalb gerne runtergeladen habe. Guter Content ist gefragt, die Technik kann dann unaufwändiger sein. So ist die Technik keine große Hürde mehr für neue Anbieter.
Das neue Navi: Spotify statt Radio
Nun habe ich ein Navi wieder im Auto. Ich kann wieder ein Programm anschalten und muss nicht immer mein eigenes Programm machen. Das kann am Morgen durchaus stressfreier sein. Ich höre jetzt Radio und wenn ich möchte Podcasts.
Das neue Navi hat Android Auto. Es kann zwar auch Navigieren, ist aber eigentlich nur noch ein großer Touchscreen für das Handy. Meine Tochter hört kein Radio mehr – auch nicht mehr im Auto. Bevor sie die Zündung einschaltet, verbindet sie ihr Smartphone mit dem Navi und wechselt zu Spotify. Nun hat sie ihre eigenen Playlists, für sie zusammengestellte Stücke oder Musik, die Freundinnen ihr empfohlen haben. Das Ökosystem Spotify hält seinen Hörerinnen gefangen.
Seit 2015 Zeit bietet Spotify auch Podcasts an. Der Deutschlandfunk verbreitet beispielsweise auch seine Politiksendungen über Spotify. Er erreicht über Spotify ein deutlich jüngeres Publikum als über das lineare Radio. Außerdem kann jeder die Sendungen über Spotify genau dann hören, wenn er Zeit dafür hat.
Lineares Radio und Streamingdienste werden vermutlich für lange Zeit parallel nebeneinander bestehen. Aber so, wie es Menschen gibt, die Netflix und YouTube gucken statt fernszuehen, gibt es Menschen, die kein Radio mehr hören, sondern Streamingdienste wie Spotify nutzen. Im klassischen Rundfunk sind wir als Kirche mit Drittsenderechten gesetzt, bei Spotify kommen wir zurzeit nicht vor.
Eine spannende Frage wird sein, wem (oder ob?) Algorithmen welche unserer Beiträge in Zukunft vorschlagen werden. Was wird der Streamingdienst auf die individuelle Playlist setzen? Kommt Religion überhaupt vor? Diese Fragen lassen sich aber nur beantworten, wenn wir auf Streamingdiensten präsent sind.
Verharren wir im Bekannten und Linearen oder lassen wir uns auf Veränderung ein?
Beschränken wir unseren Verkündigungsauftrag nur auf Hörerinnen und Hörer des linearen Radios oder bieten wir unsere Inhalte in Zukunft auch auf Spotify an?
2 Antworten zu “Podcast im Selbstversuch: Kirchensendungen auf Spotify?”
Die gibt es irgendwie nicht.
Gott bewahre! und Gesichter & Geschichten sind beide nicht auf Spotify zu finden, obwohl sie gar nicht mal so wenige Hörer haben.
[…] Themen wie beispielsweise OER, #deletefacebook, veränderte Nutzungsgewohnheiten beim Medienkonsum (YouTube, Netflix und Spotify versus TV und Radio) und die Herausforderungen für unsere eigene Medienarbeit, oder die fehlende Präsenz in der […]