📚 Rezension: „Der digitale Gott. Glauben unter technologischen Bedingungen“ von Rainer Bayreuther

In „Der digitale Gott. Glauben unter technologischen Bedingungen“ beschäftigt sich Rainer Bayreuther mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf den Glauben. Ausgehend von der Informations­theorie schlägt er eine Neuinterpretation des Gottesbegriffs vor und zeigt, wie christliche Begriffe wie Gebet und Segen „theo­technologisch“ verstanden werden können.

Die Säkularisation und ihre Auswirkungen auf den Glauben an Gott

Die Säkularisation hat es Menschen heute schwer gemacht, überhaupt noch an Gott zu glauben, so resümiert Rainer Bayreuther unter Verweis auf das Buch „A Secular Age“ von Charles Taylor. Die Natur birgt für das moderne Bewusstsein keine Geheimnisse mehr, die man nur mit Hilfe eines Gottes erklären kann. Die naturwissenschaftliche Dominanz unseres Denkens macht es daher schwierig bis unmöglich, an Gott zu glauben.

„Ebenso systembedingt konnte die Dogmatik nur im Gleis der negativen Theologie denken: Da ist eine Naturgesetzmäßigkeit, also ist Gott hier nicht, dort ist eine, also ist er dort auch nicht, und so weiter, bis Gott das Nichts zur Welt schlechthin wurde.“

(S.22)

Dieser Säkularisierungsthese widerspricht Bayreuther und setzt dagegen den „digitalen Gott“, dieser „erzwingt einen neuen Begriff von Inkarnation.“ (S. 29.) Dabei geht es nicht nur die um Gotteslehre, sondern auch um Anthropologie:

„Die Konkretion Gottes im digitalen Ereignis hat eine Kehrseite: die Konkretion eines Menschen-Ichs im digitalen Ereignis. In der digitalen Religion verschwindet nicht nur der universalistische Gott, es verschwindet in gleicher Weise der universalistische Mensch.“

(S.30.)

Der digitale Gott als Gegenentwurf

DALL·E: Draw the image of a digital God using a surrealistic style
Zeichnung von DALL·E auf die Eingabe: „Zeichne das Bild eines digitalen Gottes in einem surrealistischen Stil.“

Ausgehend von Marshall McLuhans Satz „The medium is the message“ entfaltet Bayreuther den digitalen Gott. Dabei spannt er einen weiten Bogen vom Feuerraub des Prometheus über die archaischen Religionen an Euphrat und Nil, das Judentum und die christliche Mystik bis zu digitalen Segensrobotern und Kirchenmusikmaschinen der Neuzeit.

Dabei greift er auf Grundaxiome der Informationstheorie zurück. Er kritisiert Schleiermachers schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl ausgehend von Claude Shannons Sampling-Theorem und entfaltet Christologie und Anthropologie anhand von Kurt Gödels Unvollständigkeitssatz und Alan Turings Theorem der universellen Turingmaschine.

„Die Erkenntnis dieses göttlichen Wissens- und Tuns […] muss man auseinanderhalten von Gott selber, der dieses Wissen hat und es realisiert. Wer Gott erkennt, wird dadurch nicht selber Gott.“

(S.100)

Mit der Unterscheidung von Gott und Mensch bleibt Bayreuther in christlicher Tradition, obwohl er Errungenschaften digitaler Technologie aufgreift. Ganz anders argumentieren der Transhumanismus, demzufolge sich der Mensch zu Gott entwickeln kann. Der Mensch wird nicht zum Übermenschen oder verschmilzt mit einem Algorithmus oder einer Maschine. Hier bleibt Bayreuther durchaus bei den Grundaussagen der christlichen Theologie, bietet aber eine neue Interpretation des Gottesbegriffs an:

„Den digitalen Gott erkennen ist approximativ dasselbe wie Gott spielen. Damit geht die klassische Theologie zu End, und die neue digitale Theologie wird unlösbar mit Technologie verwoben sein: Sie sammelt nicht mehr passives Wissen über Gott, sondern loggt sich ein in die göttliche creatio continua, um aktiv an ihr teilzuhaben.“

(S.101)

Eine zeitgemäße Apologie für das digitale Zeitalter

Bayreuthers Buch „Der digitale Gott. Glauben unter technologischen Bedingungen“ gliedert sich in drei Kapitel: Reich(weite) Gottes, Schöpfung als Code und Digitalisierung der religiösen Praktiken. Besonders im letzten Kapitel interpretiert er religiöse Praxis vom biblischen Zeugnis her und setzt dieses in Bezug zu seiner digitalen Theologie und bietet eine „theotechnologische“ Interpretation christlicher Begriffe wir Gebet und Segen an.

Rainer Bayreuther: Der digitale Gott. Glauben unter technologischen Bedingungen
Rainer Bayreuther: Der digitale Gott. Glauben unter technologischen Bedingungen

Im besten Sinne ist das Buch „Der digitale Gott. Glauben unter technologischen Bedingungen“ daher eine Apologie des christlichen Glaubens in unserer Zeit, die durch die Informationstheorie und Digitalisierung geprägt ist.

Es bietet eine intellektuell redliche Möglichkeit, den christlichen Glauben im digitalen Zeitalter zu verstehen. Interaktionstheorie und Digitalisierung werfen Fragen auf, die auch das Grundverständnis christlicher Theologie betreffen. Bayreuther bietet hier die Möglichkeit, Theologie neu zu denken und christliche Topoi neu zu füllen, ohne sie aufzugeben. Man muss mit Bayreuthers Deutungen nicht d’accord sein, aber sie bieten Anschlussfähigkeit im Diskurs mit Weltdeutungen wie dem Transhumanismus. Auf jeden Fall füllt das Buch eine Lücke in der theologischen Interpretation der Digitalität.

Im Vorwort bezeichnet Bayreuther sein Buch als Essay. Es ist angenehm zu lesen, die Anmerkungen sind in den Anhang verbannt. Allerdings ist die Lektüre mit 254 Textseiten etwas zeitaufwendig.

In jedem Fall bietet das Buch „Der digitale Gott. Glauben unter technologischen Bedingungen“, wie es der Untertitel verspricht, eine Grundlage, um die frohe Botschaft von Jesus Christus in unserem digitalen Zeitalter zu verstehen und zu verkündigen, denn: „Das Medium ist die (frohe) Botschaft“.

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