Alan Turing und theologische Anthropologie

Oder: eine Bibelarbeit zu Psalm 81

Alan Turing

Digitalisierung und KI ist in aller Munde, nicht nur in der Politik, auch in der Kirche. Seit ChatGPT vor zweieinhalb Jahren in die Öffentlichkeit ging, redet man überall von Künstlicher Intelligenz. Wir nehmen den Umbruch wahr, ohne schon genau absehen zu können, wohin uns die Digitalisierung bringt. Bei vielen Vorträgen zu KI sage ich: Sag niemals nie.

Nur als Beispiel: Gemini erkennt per Kamera Objekte. So unterhielt mich auf dem Handy mit Gemini bei uns in der Küche, während ich unsere Kaffeemaschine filmte und von Gemini Reparaturhinweise bekam, während meine Frau sich ob meines Selbstgespräches in der Küche wunderte. Dies hätte ich vor zwei Jahren noch nicht im Alltag für möglich gehalten.

Wer redlich ist, hütet sich daher vor allzu konkreten Vorhersagen.

So wie die industrielle Revolution die Agrargesellschaft abgelöst hat, bringt die Digitale Revolution den Übergang von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft. Wasser- und Dampfkraft charakterisierten in der (ersten) industriellen Revolution die Produktion, die Massenproduktion in der (zweiten) industriellen Revolution wurde durch die Nutzung der Elektrizität möglich, durch Information verändert die digitale Revolution die Dienstleistungen und Produktion fundamental. Aufgrund der Informatisierung der Gesellschaft und des Hinterlassens von Datenspuren durch Nutzerinnen und Nutzern der Dienstleistungen und Produkte entstehen immense Datenmengen.

Das Buch „Die Informatisierung der Gesellschaft“2 erschien bereits 1979. Die Covid-Pandemie vor fünf Jahren brachte der Gesellschaft einen großen Digitalisierungsschub. Der gegenwärtige KI-Hype potenziert die Veränderungen. Was bedeutet dies für uns als Gesellschaft? Und für uns als Kirche?

Die industrielle Revolution hat die Kirche verschlafen. Lange hat sie gebraucht, um theologische Antworten auf Marxismus und Kapitalismus zu finden, und gesellschaftlich hat sie die Arbeiterschaft in den neu entstandenen Großstädten verloren. Heute stehen wir vor einer ähnlichen Situation.

Verstehen Digital Natives überhaupt noch die Sprache der Kirche und verstehen wir als Kirche, worum es bei der Digitalisierung geht?

Theologische Fragen zur Digitalisierung

Was bedeutet Digitalisierung theologisch? Welche Positionen lassen sich zu Sozialen Netzwerken, Fake News, Netzneutralität, Open Data, Open Knowledge, Free Software, Big Data Analytics und Privacy aus der Theologie heraus entwickeln, um nur einige Fragenkomplexe zu nennen. Und nicht zuletzt: Wie bewerten wir KI theologisch?

Die durch die Digitalisierung entstehenden Fragen kommen in verschiedenen Kontexten immer wieder hoch. Es geht darum, dass Theologie digitaler wird und dass digitale Themen theologisch durchdacht werden. Dazu diese Verweise:

  • Entstehen der Disziplin „Digital Theology“3

  • Seit letztem Jahr gibt es eine deutsche Sektion des Global Network for Digital Theology (GoNeDigiTal)4

  • Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland: Freiheit digital. Die Zehn Gebote in Zeiten des digitalen Wandels5

Ich erlebe aber, wir stehen stehen mittlerweile in einem interdisziplinärem Diskurs. Der Dialog zwischen Theologie und Informatik wird immer wichtiger.

Dabei geht es nicht um Plattitüden wie z.B. das Wirken des Heiligen Geistes mit Schwarmintelligenz zu identifizieren. Entscheidend finde ich grundlegende anthropologische Fragen: Was ist der Mensch und wie verhält sich das christliche Menschenbild zu Erkenntnissen aus der Informatik.

Die Entwicklungen in der Informatik stellen auch die anthropologische Fragen neu: Was ist der Mensch?

Alan Turing und der Turing-Test

Der britische Mathematiker Alan Turing(1912 – 1954)6 war einer der Pioniere der Informatik, die Turing-Maschine, der Turing-Test und die Church-Turing-These sind nach ihm benannt.

Der Turing-Test ist eine Möglichkeit, Menschen von Maschinen zu unterscheiden, es gibt heute Maschinen, die den Turing-Test bestehen, d.h. sie sind in ihren Interaktionen nicht mehr von realen Menschen zu unterscheiden.

Im Zuge des Turing-Tests7 führt ein menschlicher Fragesteller über eine Tastatur und einen Bildschirm ohne Sicht- und Hörkontakt mit zwei ihm unbekannten Gesprächspartnern eine Unterhaltung. Der eine Gesprächspartner ist ein Mensch, der andere eine Maschine. Beide versuchen, den Fragesteller davon zu überzeugen, dass sie denkende Menschen sind. Wenn der Fragesteller nach der intensiven Befragung nicht klar sagen kann, welcher von beiden die Maschine ist, hat die Maschine den Turing-Test bestanden, und es wird der Maschine ein dem Menschen ebenbürtiges Denkvermögen unterstellt. Diese ursprüngliche Version des Turing-Tests ist auf chatbasierten Dialog ausgerichtet, es gibt erweiterte Tests, die multimediale Inhalte statt Chats zugrunde legen. Auch wenn man beim konkreten Einzelfall streiten kann, ob der Turing-Test von einer Maschine erfüllt wurde, so gelang es nach Angaben der Universität Reading bereits 2014 einer Maschine, den Turing-Test zu bestehen.8

Diese Entwicklungen in der Informatik stellen auch die anthropologische Fragen neu: Was ist der Mensch?

Theologisch zeichnet den Menschen seine Gottesebenbildlichkeit aus, er ist Gottes Gegenüber und kann mit Gott kommunizieren. In Psalm 8 wird der Mensch in Beziehung gesetzt zu Gott und zu den anderen Lebewesen der Schöpfung gesetzt, er ist wenig geringer als Gott und selbst Herrscher über die Schöpfung. Mathematische Begriffe wie diskret oder kontinuierlich finden sich natürlich nicht im Weltbild der Menschen im Altertum. Bei der Beschreibung der Natur und Umwelt stellt sich die Frage, ob diese Aufzählungen Abstufungen oder fließende Übergänge beschreiben, ganz zu schweigen davon, wie und wo durch Künstliche Intelligenz gesteuerte Maschinen in der Reihung Himmel, Mond, Sterne, Fische, Vögel, wilde Tiere, Schafe, Rinder, Mensch, Gott einzuordnen sind.

Gegenüber der Schöpfung zeichnet sich der Mensch aus, dass er „Herr“ über sie ist. Die Herrschaft des Menschen war in der Vergangenheit immer auch örtlich begrenzt. Im 20. Jahrhundert erweiterte sich die Verfügungsgewalt soweit, dass der Mensch die Zerstörung der Erde in der Hand hatte. Aber es waren immer noch Menschen, die die Verfügungsgewalt ausübten. Im 21. Jahrhundert werden vernetzte Systeme und Algorithmen Entscheidungen treffen, die unrevidierbare Entscheidungen für die gesamte Erde und Menschen treffen, und die menschlicher Kontrolle entzogen sind. Das dominium terrae – den Auftrag die Erde zu bebauen und zu beherrschen aus dem ersten Schöpfungsbericht in Genesis 1 – werden Maschinen innehaben, die von Menschen gebaut wurden, aber von diesen nicht mehr verstanden werden.

Während im Altertum Menschen Werkzeuge nutzen, um sich die Erde urbar zu machen, sind die Werkzeuge nun intelligenter geworden als die, die sie erschaffen haben. Sind durch künstliche Intelligenz gesteuerte Maschinen noch auf Seiten der Schöpfung einzuordnen, über die der Mensch Herrschaft ausübt, oder müssen diese Maschinen zwischen Mensch und Gott platziert werden, da ihre „Herrlichkeit“, die der Menschen übersteigt? Oder gehören sie gar nicht in diese Reihung, wohin dann aber? Was, wenn Maschinen nicht mehr von Menschen zu unterscheiden sind? Was heißt das für Chatbots, bei denen der menschliche Gesprächspartner nicht weiß und nicht wahrnehmen kann, ob er mit einem Bot oder einem Menschen redet?

In Dialogsituation werden auf Websites und in Apps Chatbots eingesetzt, den interagierenden Nutzerinnen und Nutzern ist oft nicht bekannt oder bewusst, mit wem sie im Gespräch sind, es gibt auch hybride Systeme, in denen für die Gesprächspartner*innen ohne deren Wissen zwischen Bots und Menschen gewechselt wird. Im Marketing und in der Kundenberatung werden Bots eingesetzt, weil sie billiger sind, als reale Menschen. Marketing-Fachleute berichten, dass es auf Kundenseite in der Wahrnehmung irrelevant ist, ob ein Bot oder ein Mensch den Dialog führt, wenn das Gespräch zum gewünschten Erfolg führt. Mit anderen Worten, den meisten Menschen ist es egal, mit wem sie ein Gespräch führen, solange das Gesprächsergebnis stimmt. Dies sind Erfahrungen aus dem Marketing- und Service-Bereich, wo Kommunikation bereits medial vermittelt – via Telefon / Voice oder Chat und E-Mail –erfolgt, das Gegenüber also nicht in seiner Leiblichkeit präsent ist. Fortschritte in VR bzw. AR (Virtual / Augmented Reality, virtuelle / erweiterte Realität) werden die Wahrnehmung entsprechend erweitern, dass der Unterschied in der Empfindung, ob ein Gegenüber körperlich oder medial vermittelt präsent ist, immer geringer wird. Wenn die Wahrnehmung des Gegenübers aber weniger von dessen tatsächlicher körperlicher Gegenwart abhängt, wird die leibliche Präsenz nicht das entscheidende Kriterium sein, sondern das Wissen um die leibliche Präsenz des Gegenübers, mit anderen Worten, mein Gegenüber wird mir deshalb zum Menschen, weil ich weiß, dass er ein Menschen und kein Bot ist.

Exkurs: Chatbots und digitale Ewigkeit

Kurzer Exkurs: Auf der re:publica im Mai dieses Jahres zwei Sessions. Auf einer wurde eine Studie zu chatbotbasierter Therapie vorgestellt.9 Dies ist bereits Realität in den USA – weil Bots billiger sind als Psychotherapeut*innen. Technisch ist es kein Problem mehr: Wollen wir Demenzkranken in Pflegeheimen Konversationen mit Bots anbieten, wenn sie diese nicht mehr von realen Menschen unterscheiden können. Ich zeige hie nur auf, was technisch möglich ist, nicht, was erstrebenswert ist. Eine zweite Session10: Death Care – so das Buzzword. Einige Bestatter*innen bzw. Agenturen haben es bereits im Angebot: Von Verstorbenen Real Life Avatare erstellen, mit denen die Hinterbliebenen sprechen können wie zu deren Lebzeiten. Was bedeutet das theologisch. Die Technik ist da, deshalb müssen wir uns dazu theologisch positionieren.

Was macht den Menschen aus?

Anthropologisch bedeutet dies, dass Menschsein nicht an bestimmten – wahrnehmbaren – Eigenschaften festzumachen ist, sondern als solches gegeben ist. In der Sprache des Psalmisten also: der Mensch wird zum Menschen dadurch, dass Gott seiner gedenkt, er also in Gottes Gedanken (wenn man diese anthropomorphe Sprache bemühen kann) ein Mensch ist.

Für den Vergleich von Menschen und Maschinen folgt daraus, dass es nicht eine etwaige Unter- oder Überlegenheit entscheidend ist, sondern ihnen ihr Mensch- oder Maschinesein inhärent ist; man könnte in philosophischer Sprache sagen, es gibt einen ontologischen Unterschied zwischen Mensch und Maschine, auch wenn unter Umständen ihre Akzidenzien gleich sein. Dieser ontologische Unterschied ist allerdings theologisch definiert, er ergibt sich aus der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Der Mensch ist Mensch, weil ihm die Gottesebenbildlichkeit innewohnt. Und eben diese Gottesebenbildlichkeit macht ihn zum Menschen. Dies ist natürlich ein Zirkelschluss – Gott macht den Menschen zum Menschen. Was Menschsein ausmacht, ist dem Menschen entzogen.

Zwischen Mensch und intelligentem Bot gibt es in deren Verhalten notwendigerweise keinen Unterschied, künstliche Intelligenz ermöglicht die Übernahme menschlicher Verhaltensmuster. Forschungen zu künstlichem Bewusstsein sind relativ neu, es gibt verschiedene Forschungsansätze, denen auch unterschiedliche philosophische Annahmen zugrunde liegen. Forschungen zu Künstlichem Bewusstsein (auch: Maschinenbewusstsein oder synthetisches Bewusstsein; engl. artificial consciousness bzw. machine consciousness oder synthetic consciousness) verstehen Bewusstsein als Folge von Interaktionen verschiedener Teile des Gehirns. Solche neuronalen Korrelate des Bewusstseins können von entsprechend konstruierten Maschinen emuliert werden. Und manchmal ist diese Emulation von Bewusstsein so gut, dass Forscher*innen dies für Bewusstsein halten.11

Während die Gottesebenbildlichkeit des Menschen ein theologischer Unterschied zur Maschine ist, liegt ein weiterer anthropologischer Unterschied in der Sterblichkeit des Menschen. Der Mensch altert. Wenn ihn nicht ein unzeitiger Tod aus dem Leben reißt, stirbt er im Alter. Die Sterblichkeit des Menschen ist Folge der Vertreibung aus dem Paradies und so konstitutiv für den Menschen. So könnte gerade die Sterblichkeit des Menschen – und damit seine Begrenztheit und Endlichkeit – der anthropologische Unterschied zur Maschine sein.

Transhumanismus im Silicon Valley

Ganz anders das Weltbild, dass man oft in Silicon Valley trifft. Die dort häufig anzutreffende transhumanistische Weltanschauung basiert auf dem Glauben, dass die Menschheit fortschrittliche Technologien nutzen kann und sollte, um menschliche Fähigkeiten – physisch, geistig und emotional – radikal zu erweitern. Ein zentrales Anliegen ist dabei die Langlebigkeit (Longevity), insbesondere die Idee, dass Altern kein unausweichliches Schicksal, sondern ein biologisches Problem ist, das heilbar oder zumindest deutlich verlangsambar ist.

Transhumanist*innen streben danach, die gesunde menschliche Lebensspanne unbegrenzt zu verlängern – durch Durchbrüche in der Biotechnologie, Gentechnik, Nanomedizin und Künstlichen Intelligenz. Sie entwerfen eine Zukunft, in der Menschen altersbedingten Verfall vermeiden, versagende Organe reparieren oder ersetzen und womöglich Unsterblichkeit erreichen können – sei es in einem biologischen Körper oder durch das Hochladen des Bewusstseins in digitale oder synthetische Formen.

Kurz gesagt: Transhumanist*innen sehen den Tod durch Alterung als eine Option – nicht als unausweichlich – und setzen alles daran, ihn mit Hilfe von Wissenschaft und Technologie zu überwinden.

Viele prominente Persönlichkeiten im Silicon Valley vertreten zentrale Aspekte der transhumanistischen Weltanschauung, insbesondere das Streben danach, biologische Grenzen zu überwinden und das menschliche Leben durch Technologie zu verlängern. Peter Thiel, Mitbegründer von PayPal, ist ein lautstarker Befürworter der Lebensverlängerung und hat Initiativen wie die SENS Research Foundation finanziell unterstützt – mit der Überzeugung, dass Altern ein lösbares Problem und kein natürlicher Zwang ist. Larry Page und Sergey Brin, die Mitgründer von Google, haben Calico gegründet – ein Biotech-Unternehmen mit dem Ziel, Altern zu verstehen und zu bekämpfen. Damit zeigen sie ihr langfristiges Engagement für die Verlängerung gesunder Lebensjahre. Selbst die Sterblichkeit des Menschen wird von Forscher*innen in der Google-Firma Calico in Frage gestellt.12 Elon Musk, auch wenn er kein klassischer Transhumanist ist, verfolgt mit Projekten wie Neuralink Technologien zur Verbindung von Gehirn und Maschine – in Einklang mit transhumanistischen Ideen zur kognitiven Erweiterung und Integration von Mensch und KI. Sam Altman, CEO von OpenAI, investiert in auf Langlebigkeit spezialisierte Biotech-Unternehmen wie Retro Biosciences – Ausdruck seines Glaubens an das Potenzial der Wissenschaft zur radikalen Lebensverlängerung. Gleichzeitig unterstützt Jeff Bezos mit seiner Investition in Altos Labs hochmoderne Forschung zur zellulären Reprogrammierung, mit dem Ziel, Alterungsprozesse auf biologischer Ebene umzukehren. Auch wenn sich nicht alle dieser Akteure explizit als Transhumanist*innen bezeichnen, stehen ihre Investitionen und technologischen Visionen dem transhumanistischen Ideal einer Überwindung menschlicher biologischer Grenzen sehr nahe.

Turingmaschine und Berechenbarkeit

Eine Turingmaschine ist ein Modell der theoretischen Informatik, mit dem man verschiedene Berechnungsmethoden und Computer auf besonders einfache und mathematisch gut zu analysierende Weise modellieren kann. Sie ist benannt nach dem Mathematiker Alan Turing, der sie 1936 einführte. Eine Turingmaschine hat ein Steuerwerk, in dem sich das Programm befindet, und besteht außerdem aus einem unendlich langen Speicherband mit unendlich vielen Feldern, auf denen genau ein Zeichen gespeichert werden kann. Mit jedem Schritt liest der Lese-Schreib-Kopf das aktuelle Zeichen, überschreibt dieses mit einem anderen (oder dem gleichen) Zeichen und bewegt sich dann ein Feld nach links oder rechts oder bleibt stehen. Welches Zeichen geschrieben wird und welche Bewegung ausgeführt wird, hängt von dem an der aktuellen Position vorgefundenen Zeichen sowie dem Zustand ab, in dem sich das Steuerwerk der Turingmaschine gerade befindet. Dies wird durch eine zu der Turingmaschine gehörende Überführungsfunktion definiert. Zu Beginn befindet sich die Turingmaschine in einem vorgegebenen Startzustand und liest das erste Zeichen des auf dem Speicherband vorgegebenen Eingangswortes. Eine Berechnung besteht dabei aus schrittweisen Veränderung von Zeichen auf dem Speicherband, bei jedem Berechnungsschritt geht dabei die Turingmaschine in einen anderen Zustand über, bis die Turingmaschine nach erfolgter Berechnung stoppt. Eine Funktion, die so anhand einer Turingmaschine berechnet werden kann, wird Turing-berechenbar oder auch einfach berechenbar genannt.

Die Church-Turing-These (benannt nach Alonzo Church und Alan Turing) trifft Aussagen über die Fähigkeiten einer Rechenmaschine: „Die Klasse der turing-berechenbaren Funktionen stimmt mit der Klasse der intuitiv berechenbaren Funktionen überein.“ D.h. alles was überhaupt berechenbar ist, lässt sich auch mit einer Turing-Maschine berechnen. Dabei ist es unerheblich, welche Berechnungsmethoden man zugrunde legt, da es mathematisch beweisbare Äquivalenzen zwischen Turingmaschinen und anderen Kalkülen gibt. Allerdings hat die Turing-Maschine ein unbegrenzt langes Speicherband. Die Äquivalenz zu tatsächlichen Computern steht unter der Einschränkung, dass jeder Computer nur einen Speicher endlicher Größe hat.

Vorhersagbarkeit menschlichen Verhaltens

Big Data Analytics wird immer besser. Je größer sowohl die Datensammlung als auch die Rechenleistung zu schnellen Auswertung der Daten ist, je besser die Algorithmen sind, desto genauer kann auch menschliches Verhalten vorhergesagt werden. Die Auslieferung eines Produktes kann schon vor dessen Bestellung beginnen, weil Big Data Analytics vorhersagen kann, aus welchem Wohngebiet Menschen eine entsprechende Bestellung aufgegeben werden wird. Die Präzision solcher Vorhersagen wird sich weiter verbessern, es stellt sich die Frage, inwieweit menschliches Verhalten durch Berechnung generell vorhersagbar wird.

Subjektiv – d.h. in der eigenen Wahrnehmung – mag jemand sich frei für etwas entschieden haben, aufgrund von Datenauswertung war die Entscheidung jedoch vorhersagbar. Was bedeutet dies für den freien Willen? Aufgrund von Big Data Analytics werden auch Konsequenzen komplexen menschlichen Handelns vorhersehbar.

Die Entscheidung zwischen Gut und Böse ist der Ausdruck eines freien Willens. Ist der Mensch frei in seiner Entscheidung oder ist diese vorhersagbar? Dabei gibt es unterschiedliche Perspektiven, die subjektive Wahrnehmung eines freien Entscheidung versus die objektive Gebundenheit an Fakten, die eine bestimmte Entscheidung vorwegnehmen? Kann der Mensch selber noch zwischen Gut und Böse entscheiden? Oder wird seine Entscheidungsfreiheit immer weiter eingeengt? Vor dem Hintergrund von Big Data Analytics kann die Erzählung vom Baum der Erkenntnis und der Vertreibung aus dem Paradies eine weitere Deutung erhalten. Im Bestreben des Menschen liegt es, sein zu wollen wie Gott, daher sein Streben nach Wissen und nach der Erkenntnis des Guten und des Bösen. Das Wissen um Gut und Böse und die Möglichkeit, sich dazwischen zu entscheiden liegt aber eigentlich bei Gott: „Und Gott der Herr sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist.“

Der Mensch isst von der Frucht des Baumes der Erkenntnis und bemerkt dann seine Nacktheit. Gegenüber anderen gibt es keinen Schutzraum mehr, der Mensch ist transparent geworden. Damit nicht mehr alles über den Menschen offenbar ist, bedeckt Gott seine Nacktheit mit Fellen, die für den Menschen Kleider sind. Die Konsequenzen des menschlichen Handelns, so wie Gott sein zu wollen, wird durch das Tragen von Kleidung rückgängig gemacht. Es gibt einen Schutzraum, der den Blicken Dritter entzogen sein soll. Wer also über Datensammeln und Algorithmen den Menschen wieder quasi digital auszieht, versucht wieder so zu sein wie Gott – dies wäre ein erneuter Sündenfall. Vor Erfindung von Computern war das Datensammeln über Menschen sehr beschränkt, die jetzigen technologischen Entwicklungen lassen aber fragen, wieweit Grenzen verschoben werden. Werden Computer alles über einen Menschen wissen, was man über ihn wissen kann? Ist menschliches Verhalten dann determiniert und der Computer allwissend?

Wäre das so, wäre der Computer allwissend und wird zu Gott. Aufgrund der Church-Turing-These lässt sich mit Turingmaschinen alles berechnen, was überhaupt berechenbar ist. Die Turingberechenbarkeit setzt allerdings einen unendlich langen Bandspeicher voraus. Auch wenn der Speicher moderner Computer immer größer wird, ist er und bleibt er endlich. Auch wenn er weiterhin größer wird, kann zwar immer mehr Verhalten vorausgesagt werden, aber nicht alles. Die Endlichkeit der Computer bedingt so die menschliche Freiheit.

Auch wenn Computer immer leistungsfähiger werden, erinnert die Geschichte vom Sündenfall und dem Baum der Erkenntnis daran, dass es nach christlichem Verständnis eine Begrenzung des Datensammelns geben sollte, auch wenn sich die diese Grenze technisch immer weiter verschiebt.

Der Wunsch, alles zu wissen und alles zu berechnen, würde einerseits den Menschen zu Gott machen, wenn er alles wüsste; gleichzeitig führte dies zum gläsernen Menschen, dessen Verhalten vorhersagbar wäre. Auch wenn sich die technischen Grenzen weiter verschieben, bleibt einerseits trotz allem eine Begrenzung dessen, was man berechnen kann aufgrund der Endlichkeit von Computern, andererseits mahnt die Geschichte vom Sündenfall, dass es zum Menschsein dazugehört, dass es einen Intimbereich gibt, der der Datensammlung entzogen sein muss, damit der Mensch Mensch bleibt.

Schlussfolgerung und Ausblick

Ich komme zum Ende: Alte biblische Erzählungen wie die vom Sündenfall können ein neue Deutung für unsere digitale Gesellschaft erhalten, wenn man sie vor dem Hintergrund der Digitalisierung neu liest. Umgekehrt interpretieren wir theologische Begriffe neu, weil uns KI und Digitalisierung eine andere Perspektive geben. Allwissenheit verstehen wir im Zeitalter der KI anders als ein Mensch aus der Antike. Wie Digitalisierung dazu führt, theologische Topoi neu zu denken, zeigt Rainer Bayreuther in seinem Buch „Der digitale Gott“13. Vor diesem Hintergrund müssen wir unsere theologische Sprache neu denken. Dies ist unsere Aufgabe, wenn wir Theologie anschlussfähig halten wollen.

Psalm 8 (Lutherbibel)

  1. Ein Psalm Davids, vorzusingen, auf der Gittit.

  2. HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, der du zeigst deine Hoheit am Himmel!

  3. Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge / hast du eine Macht zugerichtet um deiner Feinde willen, dass du vertilgest den Feind und den Rachgierigen.

  4. Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast:

  5. was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?

  6. Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.

  7. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan:

  8. Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere,

  9. die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht.

  10. HERR, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!

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