Darf ich als Christ Google Now nutzen?

Klassischer Wecker
Klassischer Wecker

Mich weckt das Handy mit einem smarten Alarm, Minuten vor der eigentlichen Weckzeiten beginnt das Handy leise Musik zu summen, bis es zur festgesetzten dann mit einem lauten Alarm sicherstellt, dass ich tatsächlich aufstehe. Der Blick auf den Startbildschirm zeigt mir an, das es auf dem Weg zur Arbeit sich bereits Staus gebildet haben und ich zehn Minuten länger brauchen werde als normal. Also etwas schneller frühstücken. Heute entscheide ich mich fürs Tablet, auf dem ich das nach meinen Interessen zusammengestellte und personalisierte Online-Magazin lese. Dank Abgleich über die Cloud kann ich bei Leerzeiten im Laufe des Tages auf dem Smartphone weiterlesen. Rasch ins Auto. Welche Autobahn soll ich nehmen? Das Navi im Handy zeigt mir fast in Echtzeit den Stau an, so dass ich mich für die optimale Route entscheiden kann. Ich will ungestört arbeiten und schalte das Profil ein, dass unliebsame Anrufer abweist, mich aber benachrichtigt, wenn Mails von wichtigen Absendern eintreffen. Auf der Fahrt zu einem Meeting höre ich Musik, die mir meine Online-Kontakte empfohlen haben. Ich parke das Auto in einer unbekannten Straße. Ich muss mir aber den genauen Standort nicht merken, mein Handy tut automatisch es für mich. Nachdem Meeting navigiert mich mein Handy zurück zum Parkplatz. Um Zeit zu sparen, fahre ich direkt los und sage dem Handy, bring mich nach Hause. Angekommen steige ich aus und sehe, wie viele Schritte ich heute schon gegangen bin und welche Aktivitäten ich noch machen muss, um das angestrebte Fitnessziel zu erreichen. Nach dem Sport noch ein Video online ansehen, dabei verlasse ich mich auf die Empfehlung des Video-Dienstes. Erschöpft rufe ich nach dem Film dem Handy noch zu, weck mich morgen um halb sieben, und falle in den Schlaf.

Das Smartphone verändert den Alltag

So lässt sich der Tagesablauf mit einem marktüblichen modernen Smartphone organisieren. Google Now berechnet anhand der Uhrzeit und meines Standortes bzw. Bewegungsprofils, wohin ich vermutlich fahren werde und zeigt mir die aktuelle Verkehrslage an. Über die Cloud gleicht sich mein Handy mit meinem Tablet ab, so dass ich dieselben personalisierten Inhalte auf beiden Endgeräten sehe. Anhand meiner Interessen werden automatisiert Online-Inhalte für mich bereit gestellt. Das Mikro ist die ganze Zeit auf an gestellt und nimmt auf, damit ich jederzeit per Sprachbefehl meine Anweisung geben kann. Diese Sprachkommandos werden dann an den Google-Server versendet, der die Erkennung übernimmt und die Anweisung wieder an mein Handy sendet. Anhand meiner Bewegungen erkennt das Handy, welches Verkehrsmittel ich nutze und merkt sich am Ende einer Autofahrt den Parkplatz, zu dem es mich bei Bedarf zurückführt.Außerdem misst das Handy meine Schritte und gibt mir darauf abgestimmte Fitness-Empfehlungen.
So lässt sich der Tagesablauf organisieren. Dafür erlaube ich meinem Handy, immer den Bewegungssensor und das GPS-Modul mitlaufen zu lassen und meine Wege zu tracken. Musik und andere Vorlieben teile ich mit Online-Freunden, so dass ich dann gut auf meinen Geschmack abgestimmte Empfehlungen erhalte. Über die Cloud gleichen Tablet und Smartphone sich ab, so dass ich je nach Gelegenheit mir das eine oder das andere Gerät greifen kann. Damit ich jederzeit einen Sprachbefehl erteilen kann, läuft das Mikro ständig mit und übermittelt seine Daten dann zu Google.
Den Tagesablauf so zu gestalten, geht nur, wenn man unzählige Daten erhebt, diese standortunabhängig (also in der Cloud) speichert und deren Auswertung zulässt. Aktuelle Verkehrsinfos gibt es außerdem nur, wenn die individuellen Daten vieler Nutzerdaten  aggrediert und ausgewertet werden können.

Evangelische Perspektive

Der Kundgebungsentwurf der EKD-Synode fordert, die evangelische Perspektive für den Umgang mit Daten einzubringen:

(2) […] Vor diesem Hintergrund bringen wir die evangelische Perspektive in den gesellschaftlichen Dialog ein. […]
(16) Durch die Digitalisierung aller Lebensbereiche entstehen bei privaten und staatlichen Akteuren derart große Mengen an Daten, dass durch neue Sammel- und Auswertungsverfahren eine Überwachung, Manipulation, Diskriminierung und Ausbeutung von Menschen möglich wird. […] Das menschliche Leben muss vor dem Übergriff durch elektronisch organisierte Analyse, Manipulation und Überwachung geschützt werden. Evangelische Kirche und Theologie stehen vor der Aufgabe, ihren Beitrag zu einem zivilgesellschaftlichen Engagement in dieser Frage gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, die sich in diesem Feld engagieren, einzubringen.

Ja, Überwachung wird möglich – und wird auch schon praktiziert. Die selbe Technik ermöglicht aber auch, dass aufgrund der Standort- und Bewegungsdaten von Smartphones quasi in Echtzeit Staus vorhergesagt und Alternativ-Routen berechnet werden können. Die Aggregierung von Suchanfragen erlaubt es, Grippewellen vorherzusagen. Lasse ich das Mikrofon meines Handys mitlaufen, kann ich jederzeit – und auch im Stau – Sprachanweisungen geben. Lasse ich meine Online-Profile in der Cloud speichern, kann ich per Notebook, Handy oder Tablet darauf zurückgreifen und erhalte optimal angepasste Inhalte, unabhängig vom Endgerät.
Was ist die evangelische Perspektive zu Google Now und der für diesen Dienst erhobenen Daten? Die Daten anderer zu nutzen, um den Stau zu umfahren, selber aber keine Daten zu teilen, kann nicht die christliche Antwort sein.
Natürlich kann ich weiterhin einen mechanischen Wecker benutzen, die gedruckte Tgeszeitung lesen, im Stau stehen bleiben, weil ich kein Navi mit Echtzeitdaten nutze, und durch die Stadt irren, weil ich den Parkplatz meines Autos vergessen habe. Ich kann auch weiterhin Fernsehen gucken statt eine Online-Mediathek zu nutzen.

Freiheit von Google

Ich kann auch mein Handy von Google befreien – so wie die Kampagne der Free Software Foundation Europe es vorschlägt:

Mobile Geräte sind kleine Computer, die wir ständig mit uns herum tragen. Sie kennen unsere aktuelle Position und enthalten private Bilder. Wir nutzen sie zur Kommunikation mit Freunden, unserer Familie und vielleicht auch unserer heimlichen Liebe. Außerdem ermöglichen sie den Zugriff auf das Internet und haben integrierte Mikrofone und Kameras. Als derart mächtige Werkzeuge bergen sie gewaltige Risiken für die Privatsphäre, aber gleichzeitig können wir großartige Dinge mit ihnen machen: Es kommt darauf an, wer die Kontrolle hat.
Freiheit und Kontrolle
Die meisten mobilen Geräte werden nicht von ihren Nutzern kontrolliert, sondern vom Hersteller und Betreiber. Die Software die auf ihnen läuft, ist keine Freie Software. Selbst Android-Telefone kommen mit nicht-freier Software und proprietären Add-ons auf den Markt, die normalerweise nicht im vollen Interesse des Nutzers arbeiten. Software-Updates wird es nur so lange geben, wie der Hersteller noch ein kommerzielles Interesse an Ihrem Gerät hat. Die Programme (Apps), die über den offiziellen Android Market zu bekommen sind, sind in aller Regel nicht frei. Niemand hat die Erlaubnis, sie zu studieren, um zu verstehen, wie sie funktionieren und was genau sie auf dem Telefon wirklich machen. Manchmal laufen sie einfach nicht so wie gewünscht, manchmal beinhalten sie aber sogar gefährliche Funktionen.
Ausschließlich Freie Software auf Ihrem Gerät laufen zu lassen, gibt Ihnen die volle Kontrolle. Selbst wenn Sie nicht die Fähigkeiten haben, all Ihre Freiheiten direkt ausüben zu können, werden Sie von einer aktiven Community profitieren, die es gemeinsam kann.
Privatsphäre
Unsere mobilen Geräte beinhalten mehr persönliche Informationen als die meisten privaten Tagebücher. Aber proprietäre System, selbst die meisten Android-Telefone, sind darauf ausgelegt, die Kontrolle über solche Daten in den Händen von Firmen wie Google oder Apple zu belassen. Die meisten Nutzer haben nicht die volle Kontrolle über die persönlichen Daten auf dem Gerät. Bequeme Lösungen zum Synchronisieren und Sichern von Daten treiben mehr und mehr Menschen dazu, ihre Daten auf zentralisierten, von kommerziellen Organisationen betriebenen Servern zu speichern. Diese Organisationen sind in der Regel in den USA ansässig und verpflichtet, Ihre Daten auf Anfrage an die US-Regierung zu übergeben. Wer auch immer persönliche Informationen über uns hat, kann uns manipulieren. Daher sind nicht-freie Geräte eine Gefahr für die Demokratie und unsere Gesellschaft.

 

Postprivacy

Statt zu versuchen, Kontrolle über die eigenen Daten zu erhalten, lässt sich auch ein gänzlich anderer Weg wählen, nämlich generell auch private und personenbezogene Daten zu veröffentlichen.
So z.B. Nova Spivack:

Privacy is dead. In fact it has been dying a rather operatic death for over a decade.
We are now entering the Age of Transparency, an era of increasing openness at all levels of society.
Transparency arises when it becomes increasingly hard to keep secrets, and so the focus shifts to how to behave when anything (from personal info to state secrets) can be discovered if one is determined enough.
The inevitability of transparency is a direct result of an unstoppable arms race in communications tools and data mining capabilities, which in turn are both due to the continued progression of Moore’s Law. The cost of keeping secrets increases inversely to decreases in the cost of computing. We can only adapt to this fact, resistance is futile.
Given that secrets will become ever more difficult and costly to protect, our expectation of privacy has to evolve. We have to accept that it’s impossible and unrealistic to achieve total privacy, and furthermore there are compelling benefits to being less secretive, even on the individual level.
[…]
[R]ather than obsessing about whether the NSA can see our information, we should all move towards embracing greater transparency at all levels from the individual, to organizations, and in government. We should be asking ourselves, how can we achieve a more transparent union?

 
Diese Position – auch unter dem Schlagwort Postprivacy bekannt –  fordert, Datenschutz in der klassischen Form aufzugeben, da er nicht aufrecht zu erhalten sei und ruft daher zu einem Umdenken mit dem Umgang der Privatsphäre auf.
Den Konsequenzen der Überwachung kann man entgehen, wenn man sich auf Transparenz bzw. Offenheit setzt, so Vertreter von Postprivacy.

 Google Now als Christ nutzen?

Ist Postprivacy gar unchristlich? Darf ich als Christ Google Now nutzen?
Was ist die vom Kundgebungsentwurf eingeforderte evangelische Perspektive zum Thema Datenschutz?
Nur ein Schreckensszenario zu zeichnen, greift zu kurz. Es sind Abwägungen zu treffen, wenn man nicht in eine Verweigerungshaltung abgleiten will. Vielleicht sind auch radikal neue Denkansätze notwendig.
Die Forderung nach mehr Datenschutz wird im Nachklapp zum NSA-Skandal reflexartig erhoben.
Wir können darüber politisch streiten, Parteien vertreten unterschiedliche Positionen. Welche Position lässt sich aber genuin theologisch begründen?
Was lässt sich aus der biblischen Tradition ableiten für eine Frage, die sich erst im 21. Jahrhundert so stellt? Antworten sehe ich noch nicht, denke aber, die theologische Diskussion muss beginnen.
Und auf der anderen Seite: Jeder, der sich ein aktuelles Smartphone kauft, muss für sich eine Antwort haben, wenn er nicht die Default-Einstellungen des Handys blind und gedankenlos übernehmen will.

Autor:in


4 Antworten zu “Darf ich als Christ Google Now nutzen?”

  1. […] Dieser Satz wirft für mich ein Schlaglicht auf die Diskussionen im Umfeld der heute beginnenden EKD-Synode. Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft, so lautet das Thema. Dazu sind schon im Vorfeld eine Menge interessanter Texte erschienen, ein Kundgebungsentwurf, ein Lesebuch. Auf Facebook entwickeln sich Gespräche und es wird dazu gebloggt, z.B. von Knut Dahl (EKD Synode 2014, 6.-12. November Dresden) und Ralf-Peter Reimann (Digitalisierung und Internet: Tool oder neue Kultur? und Darf ich als Christ Google Now nutzen?). […]

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