Im Oktober durfte in der Akademie in Tutzing einen Vortrag zur Online-Seelsorge auf der Tagung „Hilfe aus dem Netz. Chancen und Grenzen von Online-Medizin und Online-Psychologie” halten. Da die Zeit drängt, hier eine erste verschriftlichte Version, die ich noch etwas überarbeiten werde.
Hier der Text als PDF, das auch einige Grafiken und Screenshots enthält. Außerdem hier die Folienpräsentation.
Am 9.12. durfte ich im Zentrum Seelsorge in Hannover auch einen Vortrag zu Online-Seelsorge halten, die Vortragsfolien gibt es hier.
Ganz nah dran und doch weit weg:
Online-Lebensberatung und Online-Seelsorge, Online-Beichte – nichts ist unmöglich?1
Einleitung
Grundsätzlich: Digitale Seelsorge
Seelsorge und Online-Kommunikation
Niederschwelligkeit
Rahmenbedingungen
Übersicht Online-Seelsorge
Nichts ist unmöglich – Alles geht?
Online-Seelsorge mit Gesicht: Virtuelles Pfarrhaus
Anonyme Online-Seelsorge und -Beratung
Von der Seelsorge zur Glaubenskommunikation
Exkurs: Online-Beichte
Exkurs 2: Online-Welten
Seelsorge in Social Media
Statistiken
Fazit: Umbruchssituation
Online-Seelsorge in der Praktischen Theologie
Einleitung
Im folgenden geht es mir nicht um Werbung für Chatseelsorge oder Online-Beratung, sondern um eine Darstellung, wo wir in der Kirche stehen – mit allen Problemen und Herausforderungen. Überschriften für Vorträge auf Tagungen: ein Titel muss ins Programm, auch wenn der Vortrag noch nicht fertig ist. Der vorab für diesen Vortrag festgelegte Titel passt auch nach dessen Fertigstellung, und zwar in doppelter Hinsicht. Zunächst: Online-Seelsorge ist nah am Klienten, auch wenn die Seelsorgerin weit entfernt ist, das Netz überbrückt die Entfernung zwsichen ihnen. Er passt aber auch in dieser Weise: Als einzelne Christenmenschen sind wir sind nah dran, was Seelsorge im Netz ist, sind an vorderster Front aktiv und nah bei den Menschen. Als Institution Kirche haben wir die Veränderungen durch Digitalisierung noch nicht vollzogen, sind in diesem Sinne ganz leider oft weit weg.
Wenn die Kirche als Institution weit weg ist, heißt das auch, sie besetzt das Feld nicht so, wie sie es müsste oder könnte, nimmt dann auch keine Garantenfunktion wahr. Man findet im Netz sehr viel, manches, was theologisch auch bedenklich ist, also auch in diesem Sie: es ist also nichts unmöglich.
Es scheint das Paradigmazu gelten, dass Enzelpersonen oder kirchliche Grassroot-Intiativen vorpreschen, und die Institution folgt – oder auch nicht. Die große Frage für viele Projekte der Online-Seelsorge und Beratung ist die Verstetigung.
Außerdem kommt hinzu: in akademischer Theologie und auch in Kirchenämtern spielt Online-Seelsorge immer noch eine eher marginale Rolle – 20 Jahre, seitdem es Online-Seelsorge in Deutschland gibt.
Online-Seelsorge stellt daher auch die kritische Frage, inwieweit Digitalisierung theologisch gedacht wird und wie sie in kirchliches Handeln umgesetzt wird.
Grundsätzlich: Digitale Seelsorge
Seelsorge und Online-Kommunikation
Schon die Terminologie ist nicht einheitlich, es finden sich als Bezeichnungen Online-Seelsorge, Internet-Seelsorge und Webseelsorge. Es gibt unterschiedliche Kommunikationskanäle, wie es die Begriffe: Mail- bzw. Chatseelsorge anzeigen, des weiteren gibt es beisielsweise auch auch SMS-Seelsorge (Finnland, Schweiz), neuerdings sogar WhatsApp-Seelsorge. Als Marke hat sich „Telefonseelsorge im Internet“ mit ihrem eigenen Beratungs- bzw. Seelsorgekonzept im Internet etabliert.
Seelsorge ereignet sich im persönlichen Gespräch zweier Menschen, jede personale Begegnung geschieht in einem Kontinuum, in diesem Sinne ist Seelsorge immer analog, ein seelsorgliches Gespräch kann nicht auf eine Abfolge von Nullen und Einsen reduziert werden. Andererseits erfasst die Digitalisierung immer mehr Bereiche unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens und beeinflusst unser tägliches Leben. Es geht um Digitalisierung und was dies für die Seelsorge bedeutet, daher spreche ich auch gerne von „digitaler Seelsorge”.
Im angelsächsichen Sprachraum gab es schon früh den Begriff „cyberpsychology”, das Web und Online-Interaktionsformen gehören zum Alltag dazu, dies psychologisch zu untersuchen und zu nutzen („e-therapy”) ist Aufgabe bzw. Chance der „cyberpsychology”.
Was für die Psychologie gilt, kann auch die Seelsorge nachvollziehen und sich der Lebenswelt von Social Media und Internet öffnen, sie muss es sogar, wenn sie nicht Menschen ausschließen will, deren Lebensbezüge durch Online-Kommunkationsformen geprägt werden. Digitale Seelsorge in diesem Sinne verstanden ist nicht nur eine Möglichkeit, sondern sollte eigentlich zum Pflichtprogramm für Kirche und Diakonie gehören.
Niederschwelligkeit
Die Hemmschwelle, an der Tür des Pfarramtes zu klopfen und um ein seelsorgliches Gespräch zu bitten, ist hoch; Online-Seelsorge dagegen ist niederschwellig, darin ähnelt sie der Telefonseelsorge. Die Niederschwelligkeit bezieht sich nicht nur auf den Zugang zu einem Angebot der Online-Seelsorge, sondern digitale Kommunikation eröffnet neue Chancen.
War es in den fünfziger Jahren üblich, sich nach einem Umzug beim neuen Pfarrer vorzustellen, so ist heute die Hemmschwelle, bei einer Pfarrerin oder einem Pfarrer an der Haustür zu klingeln, sehr hoch. Online dagegen gibt es diese Barriere nicht. Ich erinnere mich gut an die Frage eines Iraners aus einem Chat, der von einem Pfarrer wissen wollte, was Christen eigentlich glauben, bevor er eine christliche Frau heiratete. Missbrauchsopfern – so eine Erfahrung aus der Chatseelsorge – fällt es häufig leichter, ihre Erfahrungen im Chat sich von der Seele zu tippen, als sich in einem face-to-face-Gespräch zu offenbaren. So liegt in der Kanalreduktion des Chats (der Seelsorger hört z.B. keine Stimme) eine seelsorgliche Chance, die erfahrene Seelsorgerin wird jedoch auf andere Kommunikationsformen achten wie z.B. die Tippgeschwindigkeit oder die Orthographie bzw. die Nutzung von Acronymen. Sie kann Chancen nutzen, die sich aufgrund der Kanalreduktion bieten, so kann man im Chat entsprechend eingeleitet direktere Rückfragen stellen, die face-to-face verletzend wären.
Ebenso ist die Hemmschwelle, sich emotional zu äußern, im Internet deutlich geringer. Der Begriff der „online inhibition“ bzw. „online disinhibition effect“ charakterisiert die Verhaltensweise in sozialen Netzwerken, sie ist Ursache für den schnellen Like-Klick auf Facebook, aber auch den Rant auf Twitter. Online-Kommunikation ist daher auch personale Kommunikation, jedoch folgt sie anderen Regeln. Um Online-Seelsorge anbieten zu können, müssen Seelsorgende sicher die Umgangsformen des Netzes beherrschen.
Rahmenbedingungen
Das Internet ist nicht parochial wie die Kirche oder nach Zuständigkeitsbereichen gegliedert verfasst, wer Internetseelsorge anbieten will, operiert weltweit und ist nur durch den Sprachraum oder Kulturraum beschränkt.
Dies macht es schwierig, eine geeignete Trägerstruktur zu finden, beispielsweise betreiben die Landeskirche Hannover und Rheinland Chatseelsorge.de, die Ratsuchenden kommen aber aus dem gesamten deutschen Sprachraum. Bei sinkenden finanziellen Möglichkeiten ist dies ein strukturelles Problem für die Etablierung bzw. institutionelle Aufstellung von Online-Seelsorge bzw. -Beratung, wenn man sie nicht nicht als Ergänzung zu lokalen Angeboten platziert und lokale Zugangshürden erreichtet.
Rechtlich und technisch muss bei Online-Seelsorge und -Beratung dem EKD-Datenschutzgesetz und dem Seelsorgegeheimnisgesetz Rechnung getragen werden. Daher ist eigene Infrastruktur nötig, da soziale Netze wie Facebook diesen Standards nicht genügen.
Allerdings gilt es, offen zu bleiben für Neues , denn Social Media und die zugrundeliegende Technologie ändern sich schnell, so führte WhatsApp eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ein, die unter bestimmten Kautelen Seelsorge auch nach kirchlichem Recht möglich sein lässt.
Wenn digitale Seelsorge ein komplementäres Angebot ist zur Gemeindeseelsorge, können Ratsuchende sich die für sie passende Form des Kontakts und der Seelsorge aussuchen. Online-Seelsorge ist keine Konkurrenz für Seelsorge in der Gemeinde, dazu hat sie viel zu wenig personelle Ressourcen, um Konkurrent zu sein.
Übersicht Online-Seelsorge
Nichts ist unmöglich – Alles geht?
Wer möchte, kann Online-Seelsorge anbieten, so wie dieser pensonierte Pfarrer2:
Hallo olivergnannt! Meine Antwort kommt etwas spät – aber ich versuch’s mal: Ich bin Pastor im Ruhestand und werde demnächst eine homepage aufmachen, auf der ich SEELSORGE KOSTENLOS anbiete. Fianzielle Einnahmen erwarte ich nicht. Wer etwas bezahlen will, soll seinen freiwilligen Beitrag an BROT FÜR DIE WELT oder CARIATAS spenden.
Rechnungen werden werden von mir nicht gestellt.
Ähnlich auch ein Pfarrer aus Bielefeld, der die Website Email-Pfarrer.de betreibt. Man spürt ihm das Engagement ab, aber es fehlt Medienkompetenz, denn es gibt keinen Hinweis auf Datenschutz, eine Kontaktaufnahme über eine verschlüsselte Verbindung ist unmöglich.
Online-Seelsorge mit Gesicht: Virtuelles Pfarrhaus
Ein Blick auf ekd.de zeigt schnell, welche offiziellen Seelsorge-Angebote es im Netz gibt. Die EKD ist strukturell nicht zuständig, es gibt keinen EKD-Pfarrer (außer AuslandspfarrerInnen), daher hat die EKD auch keine Online-Seelsorgerin, sondern verweist auf bestehende Angebote der Landeskirchen und die Telefonseelsorge.
Chatseelsorge.de wurde 2003 von der hannoverischen Landeskirche unter Beteilugung der rheinischen Kirche gestartet, grundlegende Idee ist die des „virtuellen Pfarrhauses” (so zumindest in einer Vorlage der rheinischen Kirche bei der Einführung), Pfarrerinnen und Pfarrer (bzw. auch Diakoninnen und Diakone) sind als Seelsorgende online, aufgrund ihres Berufes stehen sie auch mit ihrer auf der Website sichtbaren Kurzbiografie für Kirche ein, anders als bei der Telefonseelsorge im Internet, wo die Seelsorgerinnen und Seelsorger kein Gesicht zeigen und nich als Person ansprechbar sind. Auf Chatseelsorge.de gibt es ein Vorzimmer und Räume, die einzelnen Seelsorgerinnen und Seelsorgern zugeordnet sind, in die User gezielt eintretn können.
Beim Start gab es drei Chats in der Woche, für Einzelgesprächen standen in der Regel vier Seelsorgerinnen und Seelsorger zur Vefügung. Über die Zeit musste dieses Angebot ausgedünnt werden, die rheinische Kirche startete mit in der Seelsorge ausgebildeten Ruhestandspfarrern, aufgrund der Verdichtung des Pfarramtes hat es aber nur unzureichend Nachfolgerinnen und Nachfolger aus dem aktiven Dienst gegeben. Es wird noch im Wesentlichen die selbe Technik genutzt, technisch und kozeptionell gibt es Überlegungen zu einer Neuaufstellung in den beiden beteiligten Landeskirchen. Hannover und Rheinland.
In Bayern gab es das erste Online-Seelsorgeangebot eines Pfarrers via Email bereits 1995, in den folgenden 21 Jahren hat es sich nicht viel verändert, wenn man die aktuelle Website mit der ursprünglichen Seite aus einem Webarchiv vergleicht.
Weitere Landeskirchen bieten ebenfalls Kontakt zu einem Online-Pfarrer an.
Die Badische Landeskirche bietet unter dem Namen Netseelsorge bzw. Webseelsorge Konakt zu Seelsorgerinnen und Seelsorgern an, dies geschieht über ein Webformular und mit Verschlüsselung. Hier gibt es zahlenmäßig die meisten Mail-Seelsorgerinnen und -Seelsorger. Es ist nun ein eigenständiges protestantisches Projekt, das ursprünglich ökumenisch aufgesetzt war im Rahmen von Kummernetz.de, das in Kooperation mit der Internetseelsorge des Bistums Würzburg stand. Da sich der Trägerverein Kummernetz aufgelöst hat, steht auch hier eine Neuausrichtung an.
Kummernetz war ursprünlich eine Initiative eines Einzelnen, die sich zu einem Verien ebtwicklete und institutionell beim Bistum Würzburg angesiedelt war. Aufgrund institutioneller Entscheidungen konnte diese Anbindung an das Bistum aufgelöst, der Verein musste sich auflösen. Kleine Bestandteile des Kummernetzes firmieren nun als Webseelsorge, jedoch ohne offizielles Mandat.
Anonyme Online-Seelsorge und -Beratung
Der Telefonseelsorge ist es gelungen, die Marke und das Konzept vom Telefon ins Internet zu übertragen, nur Medium hat sich geändert. Seit 1995 bietet die TelefonSeelsorge auch Begleitung per Mail und Chat an, Seelsorgerinnen und Seelsorger geben sich nicht zu erkennen und verbleiben anonym.
Von der Seelsorge zur Glaubenskommunikation
Die Internetseelsorge katholischerseits wurde neu positioniert, die Domain internetseeslorge.de verweist auf eine Seite bei angesiedelt bei KGI, der Katholische Glaubensinformation im Internet. Neben Seelsorge finden sich Exerzitioen und geistliche Begleitung online.
Exkurs: Online-Beichte
Das Thema Online-Beichte wird oft von Medien aufgegriffen, spielt in der Online-Seelsorge aber keine große Rolle. Websites zur Beichte sind oft nur scherzhaft.
Exkurs 2: Online-Welten
Funcity – usprünglich gegründet als Community des Radiosenders FFN – ist die älteste Community in Deutschland, in der es eine Kirche gibt, in welcher Seelsorgende aktiv sind. Hier gibt es keine geschützte Kommunikation.
Seelsorge in Social Media
Die Social Media Guidelines der drei NRW-Landeskichen und Bayern schreiben die Nutzung eines gesicherten Kanals vor, daher war bisher Konsens, dass Seelsorge niht über bestehende Social Media Plattformen angeboten werden darf. Die Einführung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung schafft hier neue Grundlagen, so dass die ablehnende Position neu zu bedenken ist. Ein Pfarrer bietet daher bereits WhatsApp-Seelsorge an.
Statistiken
Im Jahr besuchen rund 4000 User die Chatseelsorge, es gab 2015 rund 22.000 Ratsuchende, die per Mail Kontakt zur Telefonseelsorge aufnahmen – bei rund 1,8 Milionen Mails im selben Jahr. Diese Zahlen belegen, dass Online-Seelsorge zahlenmäßig marginal ist, dies liegt jedoch nicht an mangelnder Nachfrage seitens Ratsuchender, sondern daran, dass nicht genügend Seelsorgerinnen und Seelsorger zur Verfügung stehen.
Fazit: Umbruchssituation
Online-Seelsorge befindet sich innerhalb der evangelische Kirche in einer Umbruchssituation, die hier stichwortartig angerissen ist:
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Die Landeskirchen Hannover und Rheinland arbeiten an einer Neukonzeption der Chatseelsorge
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Die Landeskirche Baden muss aufgrund des Wegfalls von Kummernetz ihre Netzseelsorge auf eine andere technische Grundlage stellen
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Arbeitskreis christliche Online-Beratung: die beiden letzten beiden Treffen wurden abgesagt, es ist fraglich, wie dieser Arbeitskreis weiterarbeitet
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Landeskirchen und Parochialprinzip stößt an Grenzen
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Beratungsstellen vor Ort nutzen verstärkt auch Online-Kanäle, Mail bzw. auch WhatsApp
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Messenger oder Webmeeting-Möglichkeiten werden über landeskirchliche Intranet-Portale geschaffen, die so auch Seelsorge per Video ermöglichen.
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Wie verändert sich Online-Seelsorge, wenn sie über mobile Endgeräte vollzogen wird?
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Wird es Seelsorge auf neuen Kanälen geben, wie kann Seelsorge auf Snapchat aussehen?
Online-Seelsorge in der Praktischen Theologie
Internet kommt in Praktischer Theologie kaum bzw. nicht vor, im Register von Meyer-Blank3 fehlt der Begriff . Gregor Waclawiak fasst in seiner Dissertation von Oktober 2015 zusammen:
„Es gibt bisher wenig Literatur zum Thema Internetseelsorge. Man kann einzelne Artikel finden, die von Autoren verfasst wurden, die in diesem Bereich direkt tätig sind. Meist werden die konkreten Angebote im Internet beschrieben ohne weitergehende bzw. theologische Reflexion.“4
Etwas anders bei Mohrgenthaler,5 er hat eigenes Kapitel „Mediengestütze Seelsorge“ (Kap. 19), allerdings hat sich die Mediennutzung zwischenzeitlich deutlich verändert, er erwähnt, dass laut Studien Email für Jugendliche eine Möglichkeit für Seelsorge darstelle, – aber Jugendiche schreiben keine Mails mehr.
Die Kirche muss sich auf Digitalisierung einlassen, dazu braucht es auch eine Digitale Theologie, so ach der programmatische Titel des Buches von Johanna Haberer.6
Vor zwei Jahren (November 2014) beschäftigte sich die EKD-Synode mit dem Thema Digitalisierung. Wenn man den vor der Synode veröffentlichten Kundgebungsentwurf und die beschlossene Kundgebung vergleicht, sieht man, wie weit sich die Synode vor zwei Jahren bewegt hat – man kann aber auch sagen, wie weit die Mehrheit im Vorbereitungsauschuss der Synode bzw. das was dort konsensfähig war, vom aktuellen Stand der Diskussion entfernt war:7
„Wir erkennen, wie wenig wir von dem verstehen, was die Entwicklungen bewirken werden. Wir ahnen die Gestaltungsaufgabe, die die umfassende Digitalisierung mit sich bringt.“
Nach intensiver Diskussion ersetzte die EKD-Synode das Wort „Community”, das noch im Kundgebungsentwurf stand, durch das Wort „Gemeinde”:
„Die Digitalisierung der Gesellschaft führt dazu, dass durch digitale Räume neue Formen von Gemeinde entstehen. Nicht physische Nähe, sondern Kommunikation ist für sie wesentlich. Die evangelische Kirche respektiert und fördert diese neuen Gestalten von Gemeinde.”8
Nun ist es zumindest EKD-amtlich, dass es Online-Gemeinde gibt bzw. in Deutschland geben kann, mehr noch, die EKD sich verpflichtet hat, solche Gemeinden zu fördern. Es war ein längerer Weg zu dieser Erkenntnis, bei der Begründung eines Pilotprojekts9 hieß es noch 2006 in Bezug auf Online-Gemeinschaften, es sei „ungeklärt”, ob diese „auch Teil des lebendigen Miteinanders der Kirche sind.” Seit Ende 2014 gibt es grünes Licht für Online-Gemeinde.
Aber: Online-Gemeinden brauchen auch Online-Pfarrerinnen und -Pfarrer, es braucht Online-Seelsorge. Was hat sich seitdem geändert? Leider nicht viel. Wie sieht der Besuch im digitalen Raum zwei Jahre später aus? Dem Synodenbeschluss sind keine Taten gefolgt, es wurden keine neuen Ressourcen bereitgestellt bzw bestehende Ressourcen anders alloziiert.
Die letzte EKD-Medienstrategie – publizistisches Gesamtkonzept – genannt, stammt aus dem Jahr 1997.10 Das Internet kommt nur am Rande vor, Versuche, eine Online-Strategie zu entwickeln gab es, aber das Konzept ist in Gremien versandet.
Man muss sogar noch weitergehen, das Internet ist mehr als ein publizistisches Medium, die Digitalisierung berührt alle Lebensbereiche.
Also: es bräuchte eine Digitalstrategie oder Digitalisierungsstrategie, nehmen wir als Kirche überhaupt die Herausforderung wahr?
Leben genügend Online-Seelsorgerinnen in dieser digitalen Kultur, dass sie die Anknüpfungspunke haben, um Gesprächspartner zu sein und in diesem Kontext die befreiende Botschaft des Evangeliums zur Sprache bringen zu können?
Und: Haben wir den Mut, uns in Kommunikationszusammenhänge und auf Plattformen zu begeben, die wir aus Datenschutzgründen für bedenklich halten, aber von vielen Menschen genutzt werden?
In der Barmer Theologischen Erklärung (These VI) heißt es:
„Der Auftrag der Kirche … besteht darin, … die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk.“ – wenn wir an alles Volk gewiesen sind, müssen wir auch auf die Netzwerke mit unserer Verkündigung und Seelsorge gehen, wo die Menschen sind, unabhängig, ob uns die Netzwerke gefallen oder nicht.
EKD-Pressemitteilung: „Internet ermöglicht Online-Gemeinschaften“ (26.04.2006), http://www.ekd.de/presse/pm83_2006_online_gemeinschaften.html (abgerufen am 29.04.2016).
Haberer, Johanna: Digitale Theologie: Gott und die Medienrevolution der Gegenwart, München: Kösel 2015.
Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.): Mandat und Markt: Perspektiven evangelischer Publizistik. Publizistisches Gesamtkonzept 1997, Frankfurt am Main: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik 1997.
Meyer-Blanck, Michael und Birgit Weyel: Studien- und Arbeitsbuch praktische Theologie, Neue Fassung Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008 (UTB Theologie, Religion 3149).
Morgenthaler, Christoph, Albrecht Grözinger und Christoph Morgenthaler: Seelsorge, 2. Aufl Aufl., Gütersloh: Gütersloher Verl.-Haus 2012 (Lehrbuch praktische Theologie, hrsg. von Albrecht Grözinger … ; Bd. 3).
Waclawiak, Gregor: Gott im Netz: religiöse Kommunikation im Internet: Fallstudien zur Internetseelsorge, Berlin Münster: LIT 2015 (Theologie und Praxis, Band 38).
Vorbereitungsausschuss der EKD-Synode 2014: „Entwurf der Kundgebung zur ‚Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft‘“, https://www.evangelisch.de/inhalte/110392/20-10-2014/digitale-verkuendigung-diskutieren-sie-mit (abgerufen am 29.04.2016).
EKD-Synode 2015: „Kundgebung: ‚Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft‘“, https://www.ekd.de/synode2014/schwerpunktthema/beschluss_kundgebung.html (abgerufen am 29.04.2016).
1Vortrag auf der Tagung „Hilfe aus dem Netz . Chancen und Grenzen von Online-Medizin und Online-Psychologie ” vom 14. bis 16. Oktober 2016 in der Evangelischen Akademie Tutzing.
2http://www.gutefrage.net/frage/ich-suche-eine-wirklich-kostenlose-online-seelsorge-am-besten-mit-chat-wer-kann-helfen
3Meyer-Blanck, Michael und Birgit Weyel: Studien- und Arbeitsbuch praktische Theologie, Neue Fassung Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008 (UTB Theologie, Religion 3149).
4Waclawiak, Gregor: Gott im Netz: religiöse Kommunikation im Internet: Fallstudien zur Internetseelsorge, Berlin Münster: LIT 2015 (Theologie und Praxis, Band 38).
5Morgenthaler, Christoph, Albrecht Grözinger und Christoph Morgenthaler: Seelsorge, 2. Aufl Aufl., Gütersloh: Gütersloher Verl.-Haus 2012 (Lehrbuch praktische Theologie, hrsg. von Albrecht Grözinger … ; Bd. 3).
6Haberer, Johanna: Digitale Theologie: Gott und die Medienrevolution der Gegenwart, München: Kösel 2015.
7Vorbereitungsausschuss der EKD-Synode 2014: „Entwurf der Kundgebung zur ‚Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft‘“, https://www.evangelisch.de/inhalte/110392/20-10-2014/digitale-verkuendigung-diskutieren-sie-mit (abgerufen am 29.04.2016).
8EKD-Synode 2015: „Kundgebung: ‚Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft‘“, https://www.ekd.de/synode2014/schwerpunktthema/beschluss_kundgebung.html (abgerufen am 29.04.2016).
9EKD-Pressemitteilung: „Internet ermöglicht Online-Gemeinschaften“ (26.04.2006), http://www.ekd.de/presse/pm83_2006_online_gemeinschaften.html (abgerufen am 29.04.2016).
10Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.): Mandat und Markt: Perspektiven evangelischer Publizistik. Publizistisches Gesamtkonzept 1997, Frankfurt am Main: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik 1997.
2 Antworten zu “Ganz nah dran und doch weit weg: Online-Lebensberatung und Online-Seelsorge, Online-Beichte – nichts ist unmöglich?”
Interessante Gedanken…
In der Frühphase des Netzes habe ich genau auch diese Erfahrungen gemacht, dass ich als dort präsenter Pfarrer von vielen angesprochen wurde, niederschwellig eben. Und die Grenzen des parochialen Denkens in einer digitalisierten Welt haben wir ja auch schon mal gemeinsam ausgelotet.
Ich habe beim Lesen überlegt: Wo gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede im Blick auf die Erfahrungen, die wir als KDA-Leute bei unseren Kontakten zu Unternehmen, Gewerkschaften usw. machen? Niederschwellig kommen wir oft auch daher und erleben, dass wir als Kirche an einem \“fremden\“ Ort wahrgenommen, aber eben als Kirche auch ernst genommen werden. In vielen Hintergrundgesprächen kommt die Sprache dann eben auch auf das eigene Verhältnis zu Kirche und Glauben (nur selten direkt auf Seelsorge, kommt aber auch vor). D.h., auch in der Kohlenstoff-Welt gibt Möglichkeiten und Bedürfnisse, über Glauben/Kirche zu reden, niederschwellig eben. Und parochiale Grenzen spielen da auch keine Rolle, Wirtschaftsräume und Gewerkschaftsbezirke sind selten identisch mit unseren Grenzziehungen. Das wären zumindest mal zwei Punkte, die es lohnen würde genauer zu reflektieren…
Hallo,
zufällig bin ich zur Online-Seelsorge gekommen. Ich wollte Dinge klar stellen und dann schrieb ich weiter.
Ich bin katholisch
Mit dem mailen baute sich ein Vertrauensverhältnis auf und ich könnte auch per Mail über Dinge schreiben, die mir sehr schwer gefallen wären, auszusprechen. Ich hatte einen engagierten Pfarrer , dem ich von ganzem Herzen danke.
Für mich war die Mail das beste Medium.