Guttenberg oder Gutenberg: Plagiatsjäger ertappen Pfarrer

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Nun hat die evangelische Kirche auch ihren Fall Guttenberg – oder müsste man doch sagen Gutenberg?  Das Urheberrecht ist so eine Sache. Gerade in der Bibel ist es nämlich nicht so eindeutig – und die biblische Praxis kann keineswegs ins 21. Jahrhundert übernommen werden.

In der Petrus- und Paulusgemeinde [in Konstanz] sind Plagiatsjäger am Werk. Sie entlarven, dass ein Vorwort im Gemeindebrief zu großen Teilen die ungekennzeichnete Kopie eines anderen Texts ist. In der evangelischen Petrus- und Paulusgemeinde stehen Pfarrer unter besonders scharfer Beobachtung. In der fusionierten Großgemeinde mit rund 6500 Mitgliedern durchleuchten Plagiatsjäger Predigten und Texte der Gemeindebriefe auf ihre Herkunft. Jetzt kursieren in der Gemeinde Textvergleiche, die zeigen: Ein in Ich-Form geschriebener Text zur Konfirmation stammt zu großen Teilen nicht wie im Vorwort des Gemeindebriefs zur Konfirmation behauptet von Pfarrer H. W.

via Konstanz: Plagiatsjäger ertappen Pfarrer | SÜDKURIER Online.

Der Sachverhalt ist schnell dargestellt. Für das Vorwort im Gemeindebrief hat Pfarrer H.W. sich einer Online-Predigt bedient und diese nur leicht verändert zitiert. Diese Predigt benutzt Begleitmaterial aus einem Buch – dies steht über der als Vorlage dienenden Online-Predigt als Hinweis, ist aber im weiteren Text nicht eigens kenntlich gemacht. So sind auf dem Umweg über die Online-Predigt anscheinend auch Zitate aus dem Buch in den Gemeindebrief gerutscht, ohne dass Pfarrer H.W. dies kenntlich gemacht hätte.
Im konkreten Fall – das legt die Lektüre des Zeitungsartikels nahe – geht es nur vordergründig ums Abschreiben, im Hintergrund scheinen andere Konflikte  in der Gemeinde  zu schwelen.
Das Beispiel des Konstanzer Pfarrers ist aber auch ein deutlicher Hinweis auf den Umgang mit fremden Texten innerhalb der Kirche. Predigt als gesprochene Sprache verträgt keine Fußnoten. Natürlich können Anregungen, Gedanken und Erfahrungen anderer Menschen in die Predigt einfließen, wozu gäbe es sonst  sowohl gedruckt als auch online Predigtmeditationen und Predigtsammlungen. Jedoch muss jeder Prediger sich diese fremden Inhalte aneignen und in den eigenen Sprachduktus bringen. Ein einfaches Übernehmen klappt nur selten. Das authentische „Ich“ des Predigers oder der Predigerin ist entscheidend. Die Gemeinde erwartet, dass ein „Ich“ auch „ich“ meint
Persönlich merke ich, dass ein Neu- und Umformulieren fremder Gedanken mich meistens mehr Zeit kostet, als meine eigenen aufzuschreiben. Wenn ich Anregungen aus Online-Predigten übernehme, kann ich das in der gehaltenen Predigt schlecht kenntlich machen. Im Predigtmanuskript notiere ich mir allerdings den Link, so dass diese Referenz für mich klar ist und klar bleibt, sollte ich die Predigt nach Jahren nochmals hervorkramen.
Umgekehrt gilt natürlich auch: Wer Predigthilfen und Predigtentwürfe bereitstellt, möchte auch, dass diese genutzt werden, sie sind quasi auf Übernahme angelegt.

Give credit where credit is due

Die deutsche Übersetzung „Ehre wem Ehre gebürt“ gibt leider nicht alle Aspekte dieses englisches Sprichwortes wieder. Mit „Credits“ bezeichnet man auch den Abspann im Film, wo Mitwirkenden erwähnt werden, oder in einem Buch die Stellen, wo die Referenzen genannt werden.
Bei Predigten Inhalte anderer zu übernehmen, ist gewohnte Praxis, allerdings muss es auch die „Credits“ dafür geben. Daran hat besagter Konstanzer Pfarrer es fehlen lassen. Er hat sich mit fremden Federn geschmückt, ohne dies kenntlich zu machen. Im wissenschaftlichen Bereich steht dafür die Dissertation des ehemaligen Bundesverteidigungsministers von zu Guttenberg, auch er hat fremde Inhalte übernommen, ohne dies zu kennzeichnen.
Für jede Predigt gilt, sie will Menschen erreichen, der Inhalt ist das Entscheidende. Es ist kein Zufall, dass sich die Ausbreitung der Reformation mit dem Buchdruck verband,  Johannes Gutenberg und Martin Luther gehören in diesem Sinne zusammen. Inhalte konnten frei verbreitet werden, ein Urheberrecht im modernen Sinne bildet sich erst im 18. Jahrhundert heraus.
Daher ist der Name Programm, das Projekt Gutenberg will möglichst viele Bücher ohne Gebühr online verfügbar machen. Dazu bitten sie Interessierte um Mithilfe. Primär digitalisieren sie Bücher, deren Copyright abgelaufen ist und die nun (in den USA) gemeinfrei sind. Nicht nur ein kostenloser Zugang zu den Inhalten, sondern auch deren freie Verbreitung ist Ziel des Gutenberg-Projektes.
Außer Frage steht natürlich, dass die Autorinnen und Autoren der Bücher angegeben werden, credit where credit is due sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Eitelkeit von Autorinnen und Autoren und deren „Ehre“ war jedoch nicht immer ein Motiv – die antike Literaturwissenschaft und die Bibelwissenschaft kennen sogar ein umgekehrtes Phänomen, die Pseudepigraphie, also guttenbergen umgekehrt: eigene Inhalte werden fremden Autoren zugeschrieben. Ob aus persönlicher Bescheidenheit oder um dem Text eine höhere Autorität zu  geben, nannte man nicht sich selbst als Verfasser eines Textes, sondern eine andere (bekannte) Person.
Gerade für die Bibel gilt: viele Autoren sind unbekannt. Nicht der Verfasser ist wichtig, sondern die Botschaft. Textkritik versucht heute mühsam, die Verfasser aus den biblischen Texten zu rekonstruieren – dies gilt für die Quellenscheidung im Pentateuch oder die Loquienquelle im Neuen Testament.
Die Frage bleibt: wie gehen wir innerhalb der Kirche mit Inhalten um. Sollen sie möglichst weit verbreitet werden oder dem Verfasser oder der Verfasserin Anerkennung bringen? Dies kann jeder Autor und jede Autorin selbst entscheiden, die Initiative Creative Commons stellt hierzu passende Lizenzen zur Verfügung.
Man kann Lizenzen auswählen, die eine freie Verbreitung der Inhalte erlauben. Man kann sogar darauf verzichten, als Urheber genannt zu werden. Dann wäre sogar eine Übernahme der Inhalte möglich, ohne dass Credits gegeben werden müssten.
Mein Vorschlag: Stellen wir doch Predigten und andere Inhalte unter die entsprechende Creative Commons-Lizenz.  Und  jeder kann bei der Wahl der Lizenz frei entscheiden, ob er oder sie Credits möchte.
Was aber auf keinen Fall geht: Inhalte als die eigenen auszugeben, wenn ein anderer Rechte daran hat.

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3 Antworten zu “Guttenberg oder Gutenberg: Plagiatsjäger ertappen Pfarrer”

  1. Man kanns auch übertreiben. Wenn ich eine Predigt in eine Predigtdatenbank eingebe, dann stelle ich sie automatisch frei. Und wenn jemand aus dieser Predigt zitiert, mag er das tun. Und wenn er dann noch \“Ich\“ sagt, schneidet er sich ins eigene Fleisch. Wenns öfter vorkommt, wird die Gemeinde schnell merken, dass da zwei Personen am Werke waren. Die Mühe, mich irgendwo um Lizenzen zu bemühen, mache ich mir nicht. Wir kommen vor lauter Eintragen, Einloggen, Absichern nicht mehr zum Leben.
    Im übrigen, die besten Credits sind es, wenn ab und an mal jemand auf eine Predigt reagiert und mir schreibt, dass sie ihm weiter geholfen hat. So mache ich es jedenfalls, wenn mir jemand die Qual um eine Predigt erleichtert hat.

  2. Mal ganz ehrlich: Wenn jeder Politiker oder überhaupt jeder, der in hervorgehobenener Position eine Rede halten muss, offen und ehrlich zugeben würde, dass diese Rede zu wesentlichen Teilen von seinen Mitarbeitern für ihn verfasst wurde (schon allein, weil Redenschreiben viel Zeit kostet und diese Zeit in vielen Fällen schlicht nicht zu Verfügung steht), und dass er diese Vorarbeiten seiner Mitarbeiter zitiert, wie würde sich das anhören, wie würde das wirken?
    Oder muss demnächst auch der Coach angeführt werden, der Therapeut, der Fachmann für liturgische Präsenz, die alle dazu beitragen, dass der Gottesdienst und die Predigt ist, wie sie ist?
    Muss demnächst der Kirchenmusiker nach vorne kommen und ausdrücklich darauf hinweisen, dass er das dritte Vorspiel im Gottesdienst genau in der Weise intoniert hat, in der ihn sein alter Kirchenmusikprofesor in einem aktuellen Aufsatz inspiriert hat?
    So ein Blödsinn!
    Was mich in der Tat nervt, sind Predigtvorschläge, die dem Pfarrer/der Pfarrerin in der \“ich-Form\“ angeblich selbst Erlebtes in den Mund legen. Das halte ich für wenig autenthisch bis glatt gelogen. So was darf es nicht geben. Und es ist schon peinlich, wenn man dem Sprachduktus anmerkt, dass bestimmte Formulierungen überhaupt nicht zu dem passen, der sie da gerade vorträgt.
    (Wobei der fein heraus ist, der bei Radio- oder fernsehmoderatoren in die Schule gegangen ist und selbst fremde Texte so präsentieren kann, dass sie als die eigenen durchgehen; wohingegen der ein armes Schwein ist, der so schlecht lesen kann, dass man selbst hocheigene Texte für aus dem Internet geklaut hält.)

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