Mohammed-Film: Ist nichts mehr heilig?

Gesperrter YouTube Film. Innocence of Muslims ist noch online in den meisten Ländern
Gesperrter YouTube Film. „Innocence of Muslims“ ist noch online in den meisten Ländern

Das Wissen um bzw. die Erfahrung des Heiligen ist uns in der modernen Gesellschaft offenbar verloren gegangen.Das Schmäh-Video „The Innocence of Muslims“ wirft die Frage auf, wie gehen wir damit um, wenn religiöse Gefühle anderer verletzt werden.
Für den Theologen und Religionswissenschaftler Rudolf Otto (1869 – 1937) war die Erfahrung des Heiligen dagegen fast eine Erkenntniskategorie im Kantschen Sinne. In seinem Hauptwerk (Das Heilige, 1917) setzt Otto, der durch Reisen nach Reisen nach Indien, Sri Lanka, China, Japan, den nahen Osten und Afrika sich auch mit den dortigen Kulturen und Religionen auseinandergesetzt hat, mit der Erfahrung des Heiligen auseinander, die er als „mysterium tremendum“ und „mysterium fascinans“ bezeichnet. Diese Erfahrung des Heiligen findet sich z.B. in Luthers „Kleinem Katechismus“ , wenn er jeweils bei der Erläuterung der Gebote zusammenfasst: „Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten und lieben“, Rudolf Otto weiter:

Im erstgenannten Gefühl offenbart sich Gott als eine überwältigende Macht, vor der die Kreatur erschauert und die als das ganz Andere die menschliche Vernunft transzendiert. Das Heilige wird allerdings nicht als das absolut Unheimliche empfunden, denn untrennbar von diesem Aspekt existiert die faszinierende, beglückende Erfahrung des Göttlichen. Die Irreduzibilität der Momente des Schauderns und des Vertrauens kennzeichnet Otto, indem er das Heilige als Numinoses bestimmt. (s. http://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Otto)

Die Realität der modernen säkularen Gesellschaft hat Rudolf Ottos Theorie vom Heiligen längst als irrelvant erwiesen. Entdeckte Otto bei verschiedenen Völkern und in verschiedenen Religionen und Kulturen noch eine Wahrnehmung des Heiligen, das auch die Grenzen von Religionen überschreitet, so scheint uns (zumindest im Westen)  jedes Gefühl dafür abhanden gekommen zu sein. Dies zeigt nicht zuletzt das Video „The Innocence of Muslims“, das in geschmackloser Weise Mohammed verhöhnt. Ich habe mir dieses Video – in Deutschland ist es (noch?) abrufbar – selbst angesehen, die künstlerische Qualität ist deutlich unter der Nulllinie, es geht bei diesem Film nicht um Meinungs- oder Kunstfreiheit, sondern darum, eine Religion lächerlich zu machen, indem man deren Stifter verhöhnt.
In den USA gelten andere Rechtsnormen in Bezug auf die Meinungsfreiheit, sie ist dort anders in der Gesellschaft verankert als bei uns, in Deutschland ist jedoch Meinungsfreiheit nicht absolut, sondern hat auch Grenzen im Strafgesetzbuch:

§ 166
Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen
(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ >11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

Ich bin kein Jurist, aber für mich  gehört das Mohammed-Video in die Kategorie der Schriften, die StGB § 116 erwähnt. (Hinweis:  Nach § 11 Abs. 3 gilt nämlich:  „Den Schriften stehen Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen in denjenigen Vorschriften gleich, die auf diesen Absatz verweisen“ – also schließt § 116 ausdrücklich Videos mit ein.)
Es geht nicht darum, eine kritische oder eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Religion, oder konkret: dem Islam, zu verbieten, strafbedroht ist aber die bloße Beschimpfung eines Bekenntnisses oder einer Religionsgemeinschaft. Dieses Verbot wird damit begründet, dass der öffentliche Frieden bedroht ist – also das religiöse Empfinden der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land massiv verletzt wird. Bis 1953 hatte § 166 übrigens noch eine andere Fassung, er hob nicht auf die Verletzung religiöser Gefühle ab, sondern er verbot die Gotteslästerung, d.h. Gott selbst wurde verletzt:

Wer dadurch, daß er öffentlich in beschimpfenden Äußerungen Gott lästert, ein Ärgerniß gibt, oder wer öffentlich eine der christlichen Kirchen oder eine andere mit Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebietes bestehende Religionsgesellschaft oder ihre Einrichtungen oder Gebräuche beschimpft, ingleichen wer in einer Kirche oder in einem anderen zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte beschimpfenden Unfug verübt, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren bestraft. (s. http://lexetius.com/StGB/166#2)

Es scheint schwierig, die genauen Hintergründe des Videos herauszufinden, wer welche Agenda hat, aber es ist bezeichnend, dass in Deutschland nun Rechtsextreme den Film öffentlich zeigen wollen. Der dumpfe Film soll nun auch noch ausländerfeindlich ausgeschlachtet werden. In keiner Weise will ich Gewalt und die Gewaltausbrüche in der islamischen Welt als Reaktion auf die Veröffentlichung des Filmes rechtfertigen, aber es ist einfach verantwortungslos, ein Video zu zeigen und weiterzuverbreiten, das nichts macht, außer eine Religion zu verhöhnen.
Ob Moslem, Christ, Jude, Hindu oder Buddhist, eigentlich sollten wir alle uns über den Film empören, denn er verletzt religiöse Gefühle massiv. Aber es scheint, der Sinn für das Heilige – gerade auch das Heilige in anderen Religionen – ist uns verloren gegangen.
Sollte der Film verboten werden? „Wie viel Netzzensur muss sein?“ fragen Konrad Lischka und Christian Stöcker in der Rubrik Netzpolitik auf Spiegel-Online. Geht es wirklich um Zensur? Google als Eigentümer von YouTube betont, dass das Video gegen keine seiner Grundsätze verstoße und daher online bleibe. Allerdings wurde es in zwei arabischen Ländern aufgrund der Ausschreitungen nun geblockt. Muss YouTube wirklich alles zeigen und verbreiten? Was sind das für Grundsätze, die solche Videos erlauben?
Teil der Nutzungsbedingen von YouTube sind die Community Guidelines, die „Hate Speech“ explizit verbieten:
We encourage free speech and defend everyone’s right to express unpopular points of view. But we don’t permit hate speech (speech which attacks or demeans a group based on race or ethnic origin, religion, disability, gender, age, veteran status, and sexual orientation/gender identity).
Außerdem bieten die YouTube Community Guidelines Möglichkeit, bestimmte Inhalte als „inappropriate“ / unangemessen zu markieren:
You may not like everything you see. Some of the content here may offend you—if you find that it violates our Terms of Use, then click „Flag as Inappropriate“ under the video you’re watching to submit it for review by YouTube staff. If it doesn’t, then consider just clicking on something else—why waste time watching videos you don’t like?
Konrad Lischka und Christian Stöcker haben Recht, dass sich Regeln in der Praxis bewähren müssen, wann Internet-Monopolisten welche Inhalte vom Netz nehmen, aber das sollte uns nicht davon abhalten, deutlich zu machen, welche Inhalte aus gutem Grunde „inapproriate“ sind. Es geht nicht um Zensur, sondern um ein zivilisiertes Miteinander, das die Achtung religiöser Gefühle anderer einschließt. Warum gehen wir nicht auf YouTube und markieren das Mohammed-Video entsprechend?

Was ist uns heilig? Das Heilige anscheinend nicht mehr, das Copyright dagegen sehr. Diese Woche war ich auf einer Messe. Einen Vortrag bekam ich nicht mit, wollte Ihnen mir nachher auf YouTube ansehen. Weil der Referent aber im Rahmen seines Vortrages Werbetrailer mit Musik-Einspielungen verwendte, darf das Vortragsvideo in Deutschland nicht abgerufen werden.
Wenn das Copyright verletzt wird, reagiert YouTube sofort, wenn religiöse Gefühle verletzt werden, sind die Reaktionen halbherzig und unbeholfen.

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8 Antworten zu “Mohammed-Film: Ist nichts mehr heilig?”

  1. Das Mohammed-Video erscheint im Vergleich zu Beschimpfungen und Beleidigungen gegen Kirche/n und Jesus Christus bzw. den christl. Gott relativ harmlos. Der Unterschied ist, daß Christen keine Mordaufrufe machen oder gewalttätige Demonstrationen entfachen. Von daher wird der öffentliche Friede nicht gestört. Moslems dagegen lassen sich offenbar schnell in Massen aufhetzen, so daß das StgB auch in Deutschland gegen antimuslimische Beleidigungen greifen würde. Wer\’s Maul aufmacht bekommt Recht! Es muß nur laut genug sein, daß der öffentliche Friede sich erschreckt.

  2. Dass der Anti-Mohammedfilm von seinem Inhalt her gar nicht geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu gefährden, sieht man daran, dass die allermeisten der Demonstranten in aller Welt den Film selbst gar nicht gesehen haben. Das einzige, was die in Aufruhr versetzt, ist die Tatsache, dass wir im Westen uns ein eigenes Urteil über den Islamgründer Mohammed bilden. Die Existenz dieses unseres Freiheitsrecht ist denen eine Dauerprovokation.
    Und als Christ ist mir Mohammed eben nicht heilig. Jesus Christus ist mir heilig. Die Meinungsfreiheit darf nicht von denen zugeteilt werden, die am brutalsten vorgehen und ihren Forderungen mit Gewalt bis his zur Tötung völlig unbeteiligter Dritter Nachdruck verleihen.

  3. […] Dies gilt nicht nur für islamische Fundamentalisten, auch christliche Extremisten nutzen das Internet und seine Netzwerke zur Rekrutierung und Bestärkung von Gesinnungsgenossen, wie die Vorgänge um kreuz.net zeigen. Ziel ist gerade keine offene Diskussion relevanter Themen, sondern Diffamierung und Separation. Ein weiteres Beispiel dafür ist das Mohammed-Video. Dieses hätte ohne soziale Netzwerke nicht solch eine weltweite Kontroverse entfachen können. Der Umgang mit diesem Video zeigt auch, wie religiöses und säkulares Weltverständnis aufeinandertreffen [https://theonet.de/2012/09/17/mohammed-film-ist-nichts-mehr-heilig/]. […]

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