In den letzten elf Tagen hielt ich drei Vorträge zu Social Media auf Pfarrkonventen. Für mich sind dabei die Zwischenfragen und Diskussionen besonders interessant, denn hier erhalte ich Feedback zu meinen Ideen und merke, wo wir als Kirche stehen. Hier einige Gedankensplitter.
Zielgruppen und Milieus
Wenn wir über Social-Media-Nutzung reden, sprechen wir oft eigentlich über Milieus. Da wir aber nur endliche Resourcen (Zeit, Menschen) haben, sollten sich die Leitungsgremien (Presbyterium, Kreissynodalvostand) bewusst entscheiden, welche Zielgruppen sie ansprechen wollen. Auch wenn wir uns theologisch als Volkskirche definieren, werden implizit Zielgruppenbestimmungen vorgenommen (auch mit Gottesdienstabkündigungen oder dem Schaukasten erreiche ich nur bestimmte Menschen, genauso wie man über WhatsApp oder Instagram auch nicht alle erreicht.) Warum machen wir die Zielgruppenbestimmung nicht explizit?
Social Media ist (noch) zweite Wahl
In einem Kirchenkreis werden Jugendliche gesucht für eine Partnerschaftsbegegnung mit Indonesien, die verschiedenen Möglichkeiten der Ansprache sind erschöpft. Ich werde gefragt, welche Chance Social Media böte. Ich mache einen Vorschlag und beginne: „Das Beste wäre …“. Ein Kollege meldet sich, stimmt mir inhaltlich zu, fügt aber an, dass mein Vorschlag nicht das Beste wäre. Ich sehe ihn fragend an, er ergänzt, das Beste wäre die unmittelbare persönliche Einladung. Social Media ist eine Notlösung, ähnlich auch die folgende Frage: „Aber Sie stimmen doch zu, dass unsere eigentliche Aufgabe als Kirche in face-to-face-Kommunikation liegt?“ – wenn ich auf diese Frage bejahend antworte, werte ich Social-Media-Kommunikation als zweitrangig ab; verneine ich, spüre ich bereits die Empörung.
Persönliche Kommunikation ist entscheidend; sie kann medial vermittelt sein, sie kann face-to-face erfolgen, oder sogar körperlich. Sakamente sind solche leibliche Kommunikation (und Sex auch) – aber es kommt jeweils auf den Kontext und die Situation an, welche Kommunikation wir brauchen und welche angemessen ist. (Könnte man Brot und Wein nicht auch als Medium verstehen, in dem Gott uns begegnet?).
Ich nehme eine Einsicht wahr, dass Social Media notwendig ist – aber eben nur als zweite Wahl.
Seid nicht so judgy! – Lebenswirklichkeiten wahrnehmen
Ich berichte von Beispielen aud Twitter und Snapchat. Des Pfarrers Morgengrüße an Twitter-Follower mögen für Nicht-Social-Media-Nutzende befremdlich sein, sie aber als Zeitverschwendung abzuqualifizieren, tut mir weh. Man könnte sie auch als Beziehungsarbeit verstehen. Ähnliche Reaktionen auch, als ich von Snapchat-Erfahrungen berichte. Statt sich in die Nutzungsusancen der jeweiligen Netzwerke hineinzudenken, kommt schnell eine Wertung. Mein Plädoyer: Zunächst die Lebenswirklichkeiten hinter einer konkreten Social-Media-Nutzung wahrnehmen, statt diese vorschnell zu bewerten. „Sei nicht so judgy,“ ermahnt mich meine Tochter, wenn ich bewerte, statt auf Augenhöhe den Dialog zu führen.
Was darf man? Was ist ein Taufgespräch wert?
Ich berichte, wie wir auf Facebook (per kostenpflichtigem Marketig) gezielt Eltern von Kindern im Alter von bis zu 24 Monaten auf eine mögliche Taufe angesprochen haben. Darf man Facebook-User-Daten als Kirche für Kampagnen nutzen? Eine lebhafte Diskussion. Außerdem: wieviel darf eine Interaktion kosten, die der Anbahnung eines Taufgespräches dient.
Professionelle Öffentlichkeitsarbeit
Wenn die Einsicht besteht, Social Media zu nutzen, kommt schnell der Ruf nach einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit. Ich bin der letzte, der Einwände hat gegen eine Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit, aber steckt hiner diesem Ruf nicht auch der Wunsch, es nicht selber machen zu müssen. Aber wenn Social Media persönliche Kommunikation ist, folgt dann nicht daraus auch, dass alle Akteuerinnen und Akteure (und nicht nur die Pfarrpersonen) anfangen müssen, selber persönlich zu online kommunizieren? (Natürlich muss nicht jeder alles machen, außerdem muss Social Media auch Spaß machen.)
Feuerwehrfeste, Siri und Alexa
Ich habe unwahrscheinlich aktive und kompetente Kolleginnen und Kollegen erlebt, die sich z.B. nach einem Feuerwehrfest bei den Veranstaltern auf Facebook öffentlich bedanken. Aber es gibt auch Kolleginnen und Kollegen, die rückfragen: Was ist Siri? Was ist Alexa?
Haltung
Mein Fazit: nicht jeder muss alles machen, nicht jeder muss Social Media machen, man muss nicht alles verstehen, als Pfarrerinnen und Pfarrer brauchen wir aber die Neugierde und Fähigkeit, anderen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und ihre Lebenswirklichkeit wahrzunehmen.