Deutschlands erster KI-Gottesdienst auf dem Kirchentag: Ein faszinierendes Experiment mit zukunftsweisenden Fragen

Am 9. Juni 2023 fand in St. Paul in Fürth auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag der erste KI-Gottesdienst Deutschlands statt, der auf großes Interesse bei den Kirchentagsbesucher*innen und in den Medien stieß. Die Kirche war mit mehr als 400 Personen bis auf den letzten Platz gefüllt, nach dem Gottesdienst gab es einen Austausch unter den Teilnehmenden, danach eine Podiumsdiskussion, die den Gottesdienst reflektierte.

Der Theologe und KI-Künstler Jonas Simmerlein aus Wien war der Initiator dieses innovativen Projekts. Der Gottesdienst wurde komplett digital durchgeführt und von KI-generierten Avataren auf einer Leinwand präsentiert. Die Avatare übernahmen den rund 45-minütigen Gottesdienst, angefangen von der Begrüßung der Gemeinde bis hin zum Segen, einschließlich Fürbitten, Psalmgebet, Glaubensbekenntnis, Predigt und Vaterunser. Auch die Eingangsmusik war von einer künstlichen Intelligenz komponiert. Mitgesprochen hat die Gemeinde das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis sowie den Psalm, ansonsten sahen die Gottesdienstbesucher*innen dem vorproduzierten Video zu.

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KI-Gottesdienst und Podiumsdiskussion in voller Länge zum Nachsehen

Reaktionen auf den KI-Gottesdienst

Die Besucher*innen des KI-Gottesdienstes äußerten durchaus unterschiedliche Meinungen und Eindrücke zum Einsatz Künstlicher Intelligenz. Einige fanden es faszinierend und betrachteten es als ein interessantes Experiment. Sie waren beeindruckt von der technischen Umsetzung und der Möglichkeit, einen Gottesdienst zu erleben, der komplett von künstlich generierten Avataren und Texten gestaltet wurde. Allerdings überwogen die kritische Stimmen unter den Teilnehmenden. Einige bemängelten die fehlende persönliche Präsenz und Empathie, die sie von einer menschlichen Pastorin oder Pastor in der Predigt erwarten würden. Sie empfanden die KI-Texte als emotionslos und unpersönlich oder schlicht langweilig

Diskussion auf dem Podium

Anna Puzio (l.), Jonas Simmerlein, Ralf Peter Reimann, Melitta Müller-Hansen auf dem Podium zum KI-Gottesdienst
Anna Puzio (l.), Jonas Simmerlein, Ralf Peter Reimann, Melitta Müller-Hansen auf dem Podium zum KI-Gottesdienst

Jonas Simmerlein erklärte seine Vorgehensweise beim Erstellen des Gottesdienstes, er habe in Prompts – das sind Eingabeaufforderungen – der KI von ChatGPT schrittweise mitgeteilt, zu welchem Thema der Gottesdienst gestaltet werden soll. Daraus wurden dann die einzelnen Texte generiert, die dann von Avataren vorgetragen wurden. Nach seiner Aussage sind 98 Prozent der Inhalte KI-generiert, er habe nur einen sehr minimalen Anteil. In Wien habe er in einem kleineren Rahmen bereits einen ähnlichen Gottesdienst veranstaltet, in Deutschland sei es seines Wissens aber der erste durch Künstliche Intelligenz generierte Gottesdienst. Er sehe diesen Gottesdienst als ein Experiment, um Erfahrungen zu generieren.

Melitta Müller-Hansen, Rundfunkbeauftragte der evangelisch-lutherischen Kirche Bayerns, äußerte sich kritisch zum Gottesdienst und der Rolle Künstlicher Intelligenz . Sie betonte, dass die Kunst des Sprechens verloren geht, wenn künstliche Intelligenzen anstelle von Menschen sprechen. Müller-Hansen vermisste die Dramaturgie in der Predigt und eine erkennbare theologische Tiefe in den von der KI generierten Aussagen. Sie befürchtete, dass der Gottesdienst durch den Einsatz von KI verflacht und funktionalisiert werde.

Melitta Müller-Hansen stellte auch die Frage, ob die KI im Namen Gottes spricht und kritisierte die emotionslose Stimmlage der KI-Avatare. Sie betonte die Wichtigkeit von persönlicher Erfahrung und menschlicher Präsenz im Gottesdienst.

Die Theologin und Technikanthropologin Anna Puzio äußerte sich deutlich positiver über den KI-Gottesdienst. Sie betrachtete das Experiment als eine „coole Sache“ und betonte die Bedeutung der Frage, welche Beziehung wir als Menschen zu künstlichen Intelligenzen aufbauen. Puzio erkannte Potenzial der KI im religiösen Kontext und sah den KI-Gottesdienst als eine Möglichkeit, neue Perspektiven und Erfahrungen zu ermöglichen.

Ich selbst konnte auf dem Podium auch meine Sicht einbringen, möchte aber einige Punkte im folgenden noch etwas ausführlicher darlegen.

Ist KI wie ein Mensch?

Wie Meredith Whittaker es auf der re:publica (hier als Video) nochmals eindrücklich dargelegt hat, ist der Begriff „Künstliche Intelligenz“ auch ein Programm und bzw. propagiert eine sehr bestimmte Sichtweise auf die eingesetzten Technologien und ist daher kritisch zu gebrauchen. Ein unreflektierter Umgang mit der Begrifflichkeit zeigt sich auch im Kirchentagsprogramm. Dort wird ChatGPT wie ein Mensch als Liturg behandelt, der Firmensitz von Open AI, dem Anbieter von ChatGPT, wird als Wohnort des Chatbots ausgewiesen.

Programmankündigung KI-Gottesdienst
Programmankündigung KI-Gottesdienst

Solche Vermenschlichung des Chatbots führt zu einer theologischen Überhöhung der Technologie, man unterstellt ihr menschliche Eigenschaften wie Empathie oder bemängelt deren Fehlen. Darum geht es aber bei ChatGPT uind Künstlicher nicht, sondern nur um Generierung von Texten (bzw. Bildern oder Musikstücken). Die Unschärfe, was ChatGPT ist, zeigte sich auch in der Diskussion, da für den Chatbot verschiedene Pronomina gewählt wurden (er bzw. sie oder es).

Über Avatare wurden die erstellten Texte visualisiert, so dass die Wahrnehmung entstand, die KI führe wie ein Liturg bzw. wie eine Pastorin durch den Gottesdienst. Diese Avatare sind jedoch technische Konstrukte und keine Personen mit einer ihnen eigenen Persönlichkeit. Persönlich fand ich es daher schwierig, wenn der Avatar von wir sprach und damit sich und die Gemeinde meinte.

KI-Experiment zeigt, was bei Gottesdiensten wichtig ist

In der Auseinandersetzung mit dem KI-Gottesdienst zeigt sich, was Gottesdienste auszeichnet. Der KI-Gottesdienst vom Kirchentag wird dadurch zu einem Spiegel für präsentische (oder auch digitale) Gottesdienste. Hier einige Stichpunkte:

  • Die Persönlichkeit der Liturgin oder des Pastors ist wichtig, sonst wäre der Avatar nicht als langweilig kritisiert worden.
  • Ähnliches gilt für die Predigt: ChatGPT liefert einen Durchschnitt dessen, was es im Netz gibt. Auch hier wird für Gottesdienste mehr Persönliches erwartet, eben keine allgemeinen Aufforderungen: „Der Text zeigt uns, wir sollen….“
  • Die Avatare waren eine Frau und ein POC-Mann: Diversität täte auch normalen Gottesdiensten gut. Für Lesungen und Gebete lassen sich noch weitere Menschen außer Pfarrpersonen einbeziehen.
  • Interaktionen zwischen den handelnden Personen und der Gemeinde sind wichtig, im KI-Gottesdienst gab es diese nur eingeschränkt.
  • Die Avatare agierten statisch auf einer Leinwand im Altarraum. Dies wurde als eintönig wahrgenommen, im normalen Gottesdienst werden verschiedene liturgische Positionen eingenommen, z.B. vor dem Altar, auf der Kanzel, am Ambo. Das Fehlen eines Positionswechsels wurde als Manko wahrgenommen.

Dies sind nur kurze Stichpunkte, aber in der Auseinandersetzung mit der KI geht es auch um die Profilierung dessen, was normalerweise in Gottesdiensten geschieht.

KI-Gottesdienst in den Medien

Interview nach dem KI-Gottesdienst in Fürth (Foto: Anna Puzio)
Interview nach dem KI-Gottesdienst in Fürth (Foto: Anna Puzio)

Der KI-generierte Gottesdienst fand bereits im Vorfeld ein großen Medienecho, beim Gottesdienst waren viele Medienvertreter*innen, anbei eine Auswahl von Links zu Berichten vom Gottesdienst.

Diskussion geht weiter

Jonas Simmerlein hat die Teilnehmenden um Feedback gebeten, er wird eine Auswertung machen. Der KI-Gottesdienst beim Nürnberger Kirchentag war ein Aufschlag. Er war als Experiment angelegt, die Diskussion hat begonnen und muss weiter gehen.


Nachtrag: Mit KI-generierten Avataren habe ich selbst bereits gearbeitet, indem ich KI mit meiner Predigt gefüttert habe und ein Avatar diese dann akzentfrei auf Spanisch für den digitalen Gottesdienst vortrug.

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