Da ist kein Gott im Internet – oder doch?

Der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin soll auf die Frage eines westlichen Journalisten, ob er im Weltall Gott gesehen habe, geantwortet haben: „Gott habe ich dort oben nicht gefunden.“ Die Frage war natürlich provokativ, aber es ist klar, dass auch die Antwort nichts über die Existenz oder Nicht-Existenz Gottes aussagt. Die Frage nach der Existenz Gottes im Weltall lässt sich auch auf das Internet übertagen: Gibt es Gott im Netz?Viel verrät diese Frage viel über das Gottesbild, dass hinter der Frage und der Antwort stehen. Gott wird zu einer Chiffre, dies gilt für die Frage und auch für die Antwort. Die Frage versucht, den neu erschlossenen Raum des Netzes religiös aufzufüllen, über Naturwissenschaften gelangen wir zu Gotteserkenntnis. Die Antwort geht einen umgekehrten Weg, je weiter sich die Grenzen menschlicher Erkenntnis verschieben, desto mehr verdrängen wir Gott aus dem Raum unserer Erkenntnis. Je weiter sich unsere Erkenntnis entwickelt, desto mehr gewinnt die atheistische Weltdeutung über eine theistische Deutung der Wirklichkeit. Dies ist keine Debatte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhundert, obiges Interpretationsmuster findet sich auch heute wieder, so unlängst in der Replik von Sascha Lobo auf Matthias Matussek. In seiner Analyse „Der neue Mensch“ (SPIEGEL Nr.23 vom 4.6.12, S. 136) erkennt Matussek den

„Cybernautentraum von Erlösung und ewigem Leben im Netz, natürlich eine kindische theologische Travestie, die aber unendlich viele Phantasien befeuert. Der neue, der erlöste, der gerechtfertigte Mensch ist der verkabelte. … Die reale Welt, das ist der Grundverdacht vieler Piraten-Aktivisten, verdankt ihre Probleme Programmierfehlern, die zu beheben wären.“

Matussek sieht in Sascha Lobo einen Vertreter dieses „Cybernautentraumes“ – obwohl sie sich nach außen atheistisch gerieren, seien diese Netzaktivisten ihrem Wesen nach religiös.
Diese Ansicht kann nicht unwidersprochen bleiben, postwendend antwortet Sascha Lobo und kritisiert seinerseits Matussek:

„[D]as Quasireligiöse entsteht nicht durch Prediger, Heilsversprechen oder einen Glauben an die Umwälzungen durch die Technologie (Kreye). Das Digitalreligiöse besteht ebenso wenig in der Hoffnung auf Erlösung und ewiges Leben im Netz (Matussek). Das gefährlich Religionsähnliche entsteht, wenn man vergisst, dass das Netz von Menschen absichtlich geschaffen ist und von Menschen gestaltbar. Jeder Pixel ist an seinem Platz, weil irgendjemand es so wollte (oder die Folgen nicht überblickte), irgendjemand ist verantwortlich, es gibt keinen Gott im Netz und damit kein Schicksal, in das man sich klaglos fügen müsste. Es herrsche also der Zweifel, der Widerspruch: das Gegenteil des Glaubens.“

Hat das Netz nun eine religiöse Dimension? Gibt es Gott im Netz? Diese Frage gleicht der, ob es Gott im Weltraum gebe.
Was sicherlich interessant wäre: Phänomenologisch zu untersuchen, inwieweit sich die beschriebenen Netzaktivisten selbst  religiöser Deutungsmuster bedienen. Auch Atheisten können nämlich religiös sein, die Negierung Gottes kann glaubenshafte Züge tragen.
Umgekehrt wäre auch der Versuch einer theologischen Interpretation des Internet eine Herausforderung. Pierre Teilhard de Chardins Evolutionstheorie könnte sich mit einer Entwicklung der „crowd Intelligence“ parallelisieren lassen, ist die Noosphäre eine Evolutionsmöglichkeit der Crowd Intelligence?
Gegen jegliche Verdrängung des Religiösen aus dem Internet oder jegliche religiöse Überfrachtung des Internet muss man festhalten: Die Frage nach Gott – so wie er sich in Jesus Christus offenbart hat – stellt sich hier nicht. Religiöse Phänomene beweisen oder widerlegen den christlichen Gott nicht, er ist anders, jenseits der Religion. In diesem Sinne spricht beispielsweise Dietrich Bonhoeffer vom religionslosen Christentum.
Über Gagarins Weltraumflug wird auch ein Witz erzählt:

 Chruschtschow fragt Gagarin, ob er Gott gesehen habe; Ja. –Darauf Chruschtschow: Hier hast du 10 000 Dollar, aber sage niemand etwas!
Bei der Papstaudienz fragt der Papst Gagarin nach Gott. Nein, ich habe ihn nicht gesehen. – Hier hast du 10000 Dollar, aber schweig.
Schließlich trifft Gagarin Präsident Kennedy: Hast du Gott gesehen? Ja. – Macht nichts, ich habe Theisten und Atheisten unter meinen Wählern. Gagarin: Sie ist schwarz.

In einem hat der Witz recht: Gott ist anders als wir ihn uns vorstellen – und spannend bleibt es auf jeden Fall, das Internet theologisch zu durchdenken.

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3 Antworten zu “Da ist kein Gott im Internet – oder doch?”

  1. \“Die Frage versucht, den neu erschlossenen Raum des Netzes religiös aufzufüllen, über Naturwissenschaften gelangen wir zu Gotteserkenntnis. Die Antwort geht einen umgekehrten Weg, je weiter sich die Grenzen menschlicher Erkenntnis verschieben, desto mehr verdrängen wir Gott aus dem Raum unserer Erkenntnis. Je weiter sich unsere Erkenntnis entwickelt, desto mehr gewinnt die atheistische Weltdeutung über eine theistische Deutung der Wirklichkeit.\“
    Ich bin tatsächlich eher durch naturwissenschaftliche Erkenntnis dazu kommen, dass es so etwas wie Gott geben muss.
    Nun Ralpe (wir kennen uns aus dem \“gestrandeteten\“ Glaubenskurs). Kann es sein, dass du Gott ein wenig externalisierst? Oder ist er sowieso überall, also auch im Netz.
    Das Internet hat insofern eine religiöse Dimension, als es dafür sorgt, dass die Menschen mehr zusammenwachsen – \“We are one in the infinite sun\“ wie es ein wunderschönes Mantra beschreibt. Und da ist Gott sicher auch mit dabei.
    Heinz 58

  2. Hallo Heinz58,
    danke für Deinen Kommentar. Worauf es mir ankam, es geht nicht nur um die Existenz bzw. Nichtexistenz Gottes, sondern darum, wie er sich zeigt. Protestantische Theologie betont, dass der christliche Gott anders ist als unsere Vorstellung von ihm, man also nicht von der Offenbarung Gottes in der Natur auf das esen des christlichen Gottes schließen kann, während katholische Theologie durchaus von der natürlichen Gotteserkenntnis ausgeht.
    Daher auch die Pointe des Witzes, ob Gott sich im Internet manifestiert oder nicht, wenn er es tut, dann jedenfalls anders, als wir ihn uns vorstellen.

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