Während meiner Internship bei der UCC in Cleveland besuche ich sonntags verschiedene UCC-Gemeinden. Bei der Vielfalt ist die Auswahl nicht immer leicht, auf jeden Fall wurde mir aber die Mt. Zion Congregational Church UCC wärmstens empfohlen. Vorsichtig wie ich bin, frage ich nach dem Dresscode, da das Spektrum je nach Gemeinde von Shorts bis Anzug weit gefächert ist. Ich wolle ja nicht durch meine falsche Bekleidung direkt auffallen, scherze ich mit den Kolleginnen und Kollegen im Kirchenamt. Viele trügen Anzug, aber Kleidung sei kein Problem, „all are welcome“ist die Antwort – und auffallen werde ich auf jeden Fall. In einer afro-amerikanischen Gemeinde kann man sich als weißer Mitteleuropäer eben nicht verstecken. Vor dem Besuch sehe ich mir natürlich die Website an , dort wird die Gemeinde als „inspirational, intelligent, and Spirit-filled ministry“ beschrieben. Ich bin gespannt. Gottesdienstbeginn ist elf Uhr, auch das ist mir sympathisch.
Sonntags in der Kirche höre ich schon beim Reingehen, wie der Chor probt. Great. Hinter meiner Haut kann ich mich nicht verstecken, unter allen Gottesdienstbesuchern ist nur eine handvoll, die keine Afro-Amerikaner sind. Ich werde freundlich begrüßt, aber man gibt mir auch Platz und erdrückt micht nicht, ich fühle mich wohl.
Der Gottesdienst beginnt, der Chor zieht ein, die Gottesdienstbesucher – von Familien mit Kindern, Jugendlichen bis zu Rentnern, es sind alle Altersklassen vertreten – bewegen sich im Rhythmus. Zu Beginn die Abkündigungen, übernächste Woch feiert die Gemeinde ihren 149. Geburtstag, außerdem eine Einladung zu einem Golf-Tunier. Der Kleidung nach zu urteilen, sind auch die verschiedenen Einkommensschichten vertreten.
Gospelmusik, aber auch das klassische Lied „How great Thou art“. Instrumente: Klavier und Orgel.
Begrüßung der Besucherinnen und Besucher. Ich erhalte ein „welcome kit“, darin eine Broschüre, die die Gemeinde unter anderem als „Christ centered“ beschreibt. Später erfahre ich auch, dass sie „open and affirming“ ist. Wunderbar, christo-zentrisch und gleichzeitig offen und progressiv.
Es werden die neuen Gemeindemitglieder willkommen geheißen. Bezeichnend, die Pfarrerin sagt: Und eins der neuen Gemeindeglieder taufen wir auch. Dann folgt die Taufe eines jungen Erwachsenen. Ich spüre das kongregationalistische Selbstverständnis der Gemeinde: Entscheidend ist die Gemeinde, Taufe ist Beginn der Gemeindemitgliedschaft.
Gemeinsames Gebet, wer kann, steht auf, gibt sich die Hand. Ich ergreife den Arm einer Jugendlichen im Rollstuhl.
Vor der Predigt eine Powerpoint-Präsentation zu den Finanzen. Die Gemeindeglieder werden erinnert, ihre Verpflichtungskarten abzugeben, Maßstab ist, man gibt den Zehnten seines Nettoeinkommens. „We are a tithing church“ wird mir erklärt.
Die Predigt folgt dem vorgeschlagenen Text. Motto: „Be set free“, der Bogen wird von Martin Luther King zu Barack Obama geschlagen, natürlich wird auch Trayvon Martin erwähnt. Aber auch: Was sind unsere ökonomischen Zwänge, was unsere persönlichen? Bei dieser Predigt spüre ich, wie sehr die Bürgerrechtsbewegung in der Kirche beheimatet ist.
Segen, dann Auszug des Chores. Beim Herausgehen sehe ich, vier Menschen sitzen an der Technik.
Es gibt Kaffee und einen kleinen Imbiss im Gemeindesaal. An der Wand die verschiedenen Stipendienprogramme, für die sich die Jugendlichen aus der Gemeinde bewerben können. Ich bin beeindruckt.
„We are family“ – fasst jemand seine Gemeindeerfahrung zusammen.
Ich bin vom Gottesdienst begeistert – gleichzeitig frage ich mich, wäre meine Gemeinde auch meine Familie? Ich merke, als Deutscher brauche ich vielleicht auch etwas mehr Distanz. Statt zehn Prozent meines Einkommen zahle ich dann doch lieber Kirchensteuer? Wieviel engagiere ich mich für meine Gemeinde? Dies waren auch entscheidende Fragen für die deutschen Auswanderergemeinden im vorletzten Jahrhundert, als sie in Amerika ihre Gemeinden als Freiwilligkeitskirche organisieren mussten. Gemeinde ist nicht da, sondern wird von allen Gemeindegliedern organisiert. Es war ein Lernprozess – vielleicht haben wir diesen in Deutschland noch vor uns.
Eine Antwort zu “We are Family”
[…] werden in Deutschland viel eher als privat eingestuft als beispielsweise in den USA, wo ein fester Bestandteil des Gottesdienstes das „pastoral prayer“ ist, in dem für einzelne Gemeindeglieder in Krankheit und Notlagen namentlich gebetet […]