Manchmal mischen sich verschiedene Puzzles, erstaunlich, wenn die Teile dann trotzdem zusammenpassen. Ich lese gerade das Buch „When ‚Spiritual but Not Religious‘ Is Not Enough: Seeing God in Surprising Places, Even the Church“ – auf Deutsch müsste man vielleicht übersetzen: „Kirchlich, aber nicht religiös“. Lillian Daniel beklagt sich – sehr humorvoll -, dass viele Zeitgenossen Gott lieber in der Natur, im Wald, im Sonnenuntergang finden, als in der Kirche.Wenn Leute erfahren, dass sie Pfarrerin ist, rechtfertigen sie sich und erzählen, wie religiös sie sind und warum sie deshalb nicht in die Kirche zu gehen brauchen. Wer braucht die Kirche noch? Lässt sich nicht ohne Kirche glauben? Gerade im Zeitalter von Social Media haben es Institutionen schwer, wenn persönliche Kommunikation alles ist, was zählt.
Society of Friends
Ein weiteres Puzzle-Stück. Am Sonntag war ich das erste Mal bei einem Quäker-Meeting. Zum Gottesdienst trafen sich die Freunde – „friends“ nennen sie sich auf Englisch – in einem Wohnzimmer einer Villa im Clevelander Universitätsviertel. Keine Liturgie, kein gemeinsamer Gesang. Gemeinsames Schweigen in entspannter und freundlicher Atmosphäre. Wen der Geist bewegt, der erzählt etwas in der Runde. Nach einer Stunde dann ein gemeinsames Mittagessen, dann verabschieden sich die Freunde voneinander.
Während des Essens frage ich nach, die Quäker kennen keine Sakramente, auch keine kirchlichen Feste, die Sonntage im Monat sind einfach durchnummeriert. Keine Institution soll der oder dem Einzelnen vorschreiben, wie sie oder er zu glauben hat. Jeder soll spüren, wie Jesus unmittelbar in seiner Seele wirkt. Die Quäker grenzen sich ab von den Zwängen einer anglikanischen Staatskirche des 17. Jahrhunderts. Ich habe großen Respekt, wenn ich sehe, wie sich die Quäker in der Friedensarbeit und auch für die Ökologie engagieren, aber als Außenstehender nehme ich auch wahr, wie sich die Quäker implizit neue Regeln gegeben haben, gerade um sich abzugrenzen vom englischen Staatskirchentum. Die Kirche als Heilsvermittlerin lehnen sie ab, sich selbst bezeichnen sie als „Gesellschaft der Freunde“. Individueller Glaube ja, Institution Kirche nein.
Die Lehre von der Kirche
Ein neues Puzzle-Stück, Repetitorium Dogmatik. Als Katholik hätte ich es einfach, „nulla salus extra ecclesiam“, die Kirche vermittel das Heil. Obendrein hat sie auch noch das Lehramt, sagt mir, was ich glauben darf und muss.
Was gilt für uns als Protestanten? Wofür benötigen wir die Kirche? Könnten wir nicht alle einfach Freunde werden? Ein Netzwerk aufbauen, einfach miteinander Freunde sein? Ist es ein Zufall, dass sich die Quäker untereinander friends nennen, genauso wie Kontakte auf Facebook bezeichnet werden? Freundschaft – mit welchem Grad der Verbindlichkeit auch immer – ist persönlich, Kirchenmitglied klingt dagegen institutionell, verrechtlicht.
Die Augsburger Konfession bezeichnet die Kirche (CA VII) als congregatio, als Versammlung, die Cambridge Platform als covenant – als Bund. Nicht Institution, sondern eine verbindliche Gemeinschaft, aber eben auch kein lockeres Netzwerk wie viele Online-Communities, könnte dies eine protestantische Antwort sein, was Kirche im Zeitalter von Social Media ist? Kirche als Ort, wo Menschen in Gemeinschaft verbindlich ihren Glauben leben (offline oder online), sich „committen“ ist das Kirche in unserer Zeit?
Die United Church of Christ launcht eine Online-Gemeinde, wie Verbindlichkeit in der Extravagance UCC definiert wird, ist für mich eine spannende Frage und vielleicht die größte Herausforderung beim Aufbau dieser Gemeinde.
2 Antworten zu “Kirche ohne Commitment? Religiös, aber nicht kirchlich?”
Lieber Ralpe, mir gefällt in diesem Blog wirklich gut, dass es nicht \“nur\“ um SoMe-Details geht, sondern immer wieder um das dahinterliegende Thema \“Gemeinschaft/Vergemeinschaftung/Community\“ in Bezug auf Kirche. Danke für die ganzen Gedanken! Bitte weitermachen! 🙂 Vielleicht ist das hier hilfreich: Hauschildt/Pohl-Patalong (2013): Kirche, S. 138ff…? Martin…
Commitment, d.h. für mich eine Sache ernst nehmen. Das kann man nur dort, wo man ernst genommen wird. Oder von den Füßen auf den Kopf gestellt: eine gute Gemeinschaft muss das zuallerst leisten. Dass man dort mit seinen Bedürfnissen ernst genommen wird, sonst wird sich keine Gemeinschaft bilden und damit auch keine Grundlage, an dem zu arbeiten, womit es uns ernst ist.