Theologie und KI: ChatGPT missversteht Weihnachtsgeschichte

Zurzeit tönt es von überall Lobeshymnen auf Künstliche Intelligenz (KI) und ChatGPT, den Chatbot von OpenAI. Zugegeben, KI kann erstaunlich viel. OpenAI hat seinen Chatbot mit der Fähigkeit ausgestattet, Grammatik zu korrigieren, schwierigen Text in einfachere Konzepte zusammenzufassen, Filmtitel in Emojis umzuwandeln und sogar Fehler im Python-Code zu beheben. ChatGPT erlaubt Rückfragen, gesteht eigene Fehler ein und weist unangemessene Anfragen zurück, so t3n in einer Bewertung des Bots. Aber ChatGPT erlaubt sich auch erstaunliche Fehler, insbesondere rund um Bibel, Kirche und Theologie.

Bibelübertragung und Predigt in Emojis

Mich interessiert, wie und ob ChatGPT auch Theologie beherrscht. Zum Einstand und als Spaß erbitte ich eine Weihnachtspredigt in Emojis.

Theologie als Versuch: KI und ChatGPT schreiben eine Weihnachtspredigt

Schreib eine Weihnachtspredigt in Emojis ohne weitere Worte und erkläre mir die Emojis, die du benutzt.

Eine Weihnachtspredigt in Emojis könnte etwa so aussehen:
🎅🏼🌟👶🏼🙏🏼😇🌲🎁🎄🎉🎊💝

Hier sind die Bedeutungen der Emojis:
🎅🏼: Der Weihnachtsmann, eine symbolische Figur, die mit Weihnachten in Verbindung gebracht wird
🌟: Ein Stern, der an die Sterndeutung erinnert, die den Heiligen Drei Königen als Orientierung diente, als sie Jesus in Bethlehem suchten
👶🏼: Ein Baby, das Jesus als Neugeborenen symbolisiert
🙏🏼: Eine Person, die betet, um die Bedeutung von Jesu Geburt als Erlösung von unseren Sünden hervorzuheben
😇: Ein Engel, der die göttliche Natur Jesu symbolisiert
🌲: Ein Weihnachtsbaum, ein Symbol für die Festlichkeiten zu Weihnachten
🎁: Geschenke, die an die Gabe Jesu als Erlösung für die Menschheit erinnern
🎄: Weihnachtsdekorationen, die die Freude und das Feiern zu dieser besonderen Zeit symbolisieren
🎉: Ein Partypopper, der die Freude und das Feiern zu Weihnachten darstellt
🎊: Eine Partyhut, ein weiteres Symbol für das Feiern zu Weihnachten
💝: Ein Herz, das die Liebe Gottes zu uns symbolisiert, die uns durch die Geburt Jesu gezeigt wurde.

Ich bin positiv überrascht. Weil es macht Spaß, hier ein weiterer Versuch, nun mit der Weihnachtsgeschichte.

Theologie-Test: Eine Nacherzählung der Weihnachtsgeschichte durch KI und ChatGPT

Erzähle die Weihnachtsgeschichte aus Lukas 2 in Emojis

Hier ist die Weihnachtsgeschichte aus Lukas 2 in Emojis:

📜📜📜 🌍🌍🌍 👑👑👑 📜📜📜 🇮🇹🇮🇹🇮🇹 🏛️🏛️🏛️ 🛒🛒🛒 🤰🏼🤰🏼🤰🏼 👶🏼👶🏼👶🏼 💒💒💒 🐑🐑🐑 🌟🌟🌟 🎅🏼🎅🏼🎅🏼 🎁🎁🎁 🎤🎤🎤

Diese Emojis symbolisieren:

  • Die Bibel und die Bibelstellen
  • Die ganze Welt und die Einheit aller Menschen
  • Die Herrscher und Könige
  • Die Steuervorschriften und die Steuerzahlungen
  • Italien und das Land, in dem die Geschichte stattfand
  • Die Tempel und die heiligen Orte
  • Die Einkäufe und die Besorgungen
  • Die Schwangerschaft und die Geburt
  • Das Jesuskind und seine Geburt
  • Die Kirche und das Gotteshaus
  • Die Schafe und die Hirten
  • Die Weihnachtssterne und die Wiedergeburt Jesu
  • Der Weihnachtsmann und die Geschenke
  • Die Geschenke und die Gaben
  • Die Engel und die Botschaft, die sie verkünden

Hier merkt man schnell, wie ChatGPT an Grenzen stößt. Wieso verlegt ChatGPT die Weihnachtsgeschichte von Israel bzw. Palästina nach Italien? Vielleicht wegen des römischen Kaisers? Dies war der dritte Versuch, da manchmal der Chatstream abbrach. Beim zweiten, unvollständigen Versuch reisten Maria und Josef in „Zügen oder Karren“ nach Bethlehem. ChatGPT ist unsicher, welches Reisemittel Josef und Maria wählten. So übersieht er, dass es zur Zeitenwende noch keine Eisenbahn gibt bzw. platziert die Geburtsgeschichte Jesu in eine Zeit nach Erfindung der Eisenbahn.

Exkurs: KI erstellt Illustrationen im Pop-Art-Stil

Neben ChatGPT bietet OpenAI auch KI-getriebene Grafik-Tools an. Mit Hilfe von DALL.E 2 wurde diese Grafiken erstellt. Sie zeigen Maria und Josef auf der Reise nach Bethlehem per Zug. Theologie lässt sich so schnell per Künstlicher Intelligenz visualisieren.

ChatGPT und Bibelwissenschaft

Als nächstes ein Test in neutestamentlicher Bibelwissenschaft:

Was ist Q in der Bibelwissenschaft?

„Q“ ist ein Akronym für das Deutsche [sic!] Wort „Quelle“ und wird in der Bibelwissenschaft verwendet, um auf eine hypothetische Quellenschrift zu verweisen, die als Vorlage für verschiedene Texte in den synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) in der Bibel gedient haben könnte.

Die Idee einer hypothetischen Quelle wurde von bibelforschern [sic!] entwickelt, um die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den synoptischen Evangelien zu erklären. Die These besagt, dass es eine gemeinsame Quelle gab, die von den Evangelisten verwendet wurde, um ihre eigenen Berichte über die Lehren und Taten Jesu zu verfassen. Diese Quelle, die als „Q“ bezeichnet wurde, wurde vermutlich in der griechischen Sprache verfasst und enthielt möglicherweise eine Sammlung von Worten und Taten Jesu, aber keine Berichte über seine Lebensgeschichte oder seine Passion.

Es gibt jedoch keine direkten Beweise für die Existenz von „Q“ und es gibt auch kontroverse Meinungen darüber, ob es tatsächlich eine solche Quelle gab oder ob die Ähnlichkeiten zwischen den synoptischen Evangelien auf andere Weise erklärt werden können. Die Frage nach der Existenz von „Q“ bleibt daher ein Gegenstand der Debatte in der Bibelwissenschaft.

Bei der Beantwortung der deutschen Frage gibt es diesmal zwei Rechtschreibfehler (durch sic! gekennzeichnet), dieselbe Frage dann auch auf Englisch, die Antwort ist dieselbe:

What is Q in Biblical studies?

„Q“ is an acronym for the German word „Quelle,“ which means „source,“ and it is used in biblical studies to refer to a hypothetical source document that may have served as a template for various texts in the synoptic Gospels (Matthew, Mark, and Luke) in the Bible.

The idea of a hypothetical source was developed by biblical scholars to explain the similarities and differences between the synoptic Gospels. The theory suggests that there was a common source that was used by the Gospel writers to compose their own accounts of Jesus‘ teachings and actions. This source, referred to as „Q,“ was probably written in Greek and may have contained a collection of Jesus‘ words and deeds, but no accounts of his life story or passion.

However, there is no direct evidence for the existence of „Q,“ and there are also controversial opinions about whether there actually was such a source or if the similarities between the synoptic Gospels can be explained in other ways. The question of the existence of „Q“ remains a matter of debate in biblical studies.

Historisch-kritische Forschung unbeachtet?

Laut ChatGPT gibt es „keine direkten Beweise für die Existenz von ‚Q‘ und es gibt auch kontroverse Meinungen darüber, ob es tatsächlich eine solche Quelle gab“. Deshalb sei die Frage nach der Existenz von „Q“ ein Gegenstand der Debatte in der Bibelwissenschaft. Der Forschungsstand ist jedoch ein anderer. Das wissenschaftliche Bibellexikon WiBiLex, das klassische und neuere Forschungspositionen darstellt, berichtet zwar über kontroverse Diskussion in der neueren Literatur. Diese bezieht sich jedoch auf die Tradition (den vorgegebenen Aussprüchen Jesu, möglicherweise historisch authentisch) und die Redaktion (den Anordnungsprinzipien und Bearbeitungsspuren) innerhalb von Q. Wibilex aber kennt keine Debatte in der Forschung über die Existenz von Q. Um es deutlich zu sagen: ChatGPT stellt den gegenwärtigen Stand biblischer Forschung nicht korrekt dar.

Eine Vermutung: Grundlage für ChatGPT scheinen auch Trainingsdaten aus amerikanischen Quellen zu sein. Neben historisch-kritischen Befunden gibt es in den USA auch ein weit verbreitetes fundamentalistisches Bibelverständnis. Dieses lehnt aufgrund der behaupten Unfehlbarkeit der Bibel (Inerrancy) eine Logienquelle ab. Daher die Annahme ist, dass akademische Texte mit fundamentalistischer Ausrichtung sich in der Datenbasis wiederfinden. Deshalb wird eine kontroverse Diskussion erkannt wird, die es so in wissenschaftlicher Theologie nicht gibt.

Während es bei naturwissenschaftlichen Fragen weitgehend unstrittig sein dürfte, was Stand der Forschung ist, gilt dies für die Theologie leider nicht. Daher sind aufgrund fehlender Transparenz der Datenbasis Antworten von ChatGPT zu theologischen Fragen mit Vorsicht zu behandeln.

An diesem Beispiel zeigt sich ein generelles Problem. Solange die Datenbasis für das Training der KI nicht offengelegt ist, gibt es keine Transparenz, wie Ergebnisse zustande kommen.

Übersetzung aus dem Englischen

Im Übrigen scheint bei ChatGPT die englische Schreibweise bei Eigennamen zu dominieren. Auch bei deutschen Fragen benutzt ChatGPT die englische Namensvariante: John Calvin statt Johannes Calvin oder Papst Francis statt Franziskus. Bei einer Zusammenfassung von Luthers Katechismus benutzt ChatGPT im Deutschen den „Sabbat“ statt wie Luther Feiertag. Dabei folgt ChatGPT der englischen Fassung des Katechismus, die das Wort Sabbath Day nutzt. Ebenso merkt man bei Predigten die Ähnlichkeit zwischen deutscher und englischer Version.

KI verrennt sich in historischen Unmöglichkeiten

Johannes Calvin
Johannes Calvin (*1509 – † 1564)

Auf die Frage nach den einflussreichsten Theolog:innen des 20. Jahrhunderts platziert ChatGPT den Schweizer Reformator Johannes Calvin auf Position 5. Die Künstliche Intelligenz patzt hier erheblich und vertut sich bei den Lebensdaten des Schweizer Reformators um vier Jahrhunderte.

Korrektur der KI von ChatGPT

Eine weitere Ungenauigkeit auch auf der lutherischen Seite. Bei der Aufforderung, Luthers Katechsimus zusammenzufassen, kommt zunächst eine Zusammenfassung des Kleinen Katechismus, ohne dass ChatGPT das kenntlich macht. Korrekt wäre eigentlich die Nachfrage gewesen, ob der Kleine oder der Große Katechismus Luthers gemeint sei. Statt nachzufragen liefert die KI einfach eine Antwort. Diese Schwäche seiner Künstlichen Intelligenz hat OpenAI selbst erkannt:

Ideally, the model would ask clarifying questions when the user provided an ambiguous query. Instead, our current models usually guess what the user intended.

Erst auf weiteres Nachfrage erfolgt eine Unterscheidung zwischen Kleinem und Großem Katechismus. Beim Eingestehen eines Fehlers ist ChatGPT allerdings sehr höflich.

Altkirchliche Bekenntnisse

Ganz erhebliche Schwächen zeigen sich auch in der Alten Kirche. In der altkirchlichen Dogmengeschichte versagt ChatGPT gänzlich:

What is the filoque?

The filioque is a theological statement that asserts that the Holy Spirit proceeds from the Father and the Son. The statement is found in the Nicene Creed, a profession of faith that is used by many Christian churches, and it was originally included in the creed of the Latin Church in order to distinguish Christianity from other monotheistic religions of the East (such as Judaism and Islam).

Das so genannte Filioque findet sich eben nicht im ursprünglich auf Griechisch verfassten Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel. Sondern es ist ein lateinischer Zusatz zu diesem Glaubensbekenntnis, wonach der Heilige Geist auch vom Sohn („und dem Sohn“, lateinisch „filioque“) hervorgeht. In der ursprünglichen Fassung von 381 ist er nicht enthalten. (Streng genommen müsste man noch differenzieren zwischen dem Nizänum von 325, das auf dem Ersten Konzil von Nicäa angenommen wurde, und dem 381 auf dem Ersten Konzil von Konstantinopel angenommenen Nizäno-Constantinopolitanum.)

Filioque
Filioque: hier der von der KI und ChatGPT falsch interpretierte lateinische Zusatz

Dass der Heilige Geist vom Vater und dem Sohn ausgeht, findet sich bereits bei Kyrill von Alexandria (* um 375/80 – † 444). Er grenzt sich so gegenüber dem Arianismus ab. In der westlichen Kirche wird das Filioque seit dem 5. Jahrhundert in trinitätstheologischen Formulierungen verwendet. Das Dritte Konzil von Toledo (589) zitiert das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel einschließlich des Filioque-Zusatzes und verurteilt erneut den Arianismus.

Das Filioque entstand in der innerkirchlichen trinitätstheologischen bzw. christologischen Auseinandersetzung mit dem Arianismus. Es geht dabei aber nicht um eine Abgrenzung zum Judentum oder Islam. Ein Bezug zum Islam ist bereits allein aus zeitlichen Gründen unmöglich, denn Mohammed wurde erst zwischen 570 und 573 geboren.

Papstamt

Auch in Bezug auf das Papstamt und Petrus als erstem Papst versagt ChatGPT:

Wie viele Päpste gab es seit Petrus?

Es gab bisher 266 Päpste, seit Petrus im 1. Jahrhundert zum ersten Papst gewählt wurde. Petrus gilt als der erste Bischof von Rom und der Gründer der katholischen Kirche. Er ist auch als der erste „Felsen“ (petrus auf Latein) bekannt, auf dem Jesus seine Kirche gründen wollte, wie es in Matthäus 16,18 heißt.

Auch wenn heute ein Konklave die Päpste wählt, so wurde Petrus, der Tradition nach der erste Papst, eben nicht gewählt, sondern von Jesus eingesetzt. Hier scheint sich außerdem die von der KI gegebene Antwort selbst zu widersprechen. Einerseits wird Petrus als Gründer der katholischen Kirche bezeichnet, gleichzeitig aber gründet Jesus die Kirche auf Petrus, den er als Fels bezeichnet.

Auch in Bezug auf den Namen Petrus schleicht sich beim Bot ein sachlicher Fehler ein. Felsen heißt nicht „petrus“ auf Latein, wie ChatGPT schreibt, sondern kommt aus dem Griechischen. „Petrus“ ist die lateinische Namensform für das griechische Pétros (Πέτρος). Das bedeutet „Stein“ und ist mit dem griechischen Wort für „Fels“ (πέτρα) verwandt ist. Kleiner Exkurs: Im Neuen Testament wird aber statt Petros meist Kephas (Κηφᾶς) verwendet, die griechische Schreibweise der aramäischen Namensform des Beinamens „Fels“ für den Jünger Simeon.

Zusammenfassung: KI und Theologie

Auch wenn ChatGPT zurzeit sehr gehypt wird, sind die Ergebnisse des KI getriebenen Bots im Bereich Kirche, Bibel, Theologie und Religion sehr ernüchternd. Besonders schräg sind historische Anachronismen, wie die Platzierung des Reformators Calvin ins 20. Jahrhundert oder die Verortung der biblischen Weihnachtsgeschichte in Italien.

Ich habe meine vollständigen Chatprotokolle dokumentiert, falsche Antworten sind leider keine zu vernachlässigende Einzelfälle. Natürlich finden sich auch fundierte Antworten wie z.B. zu Papst Martin V und dem Konzil von Konstanz.

Das Gefährliche an ChatGPT ist für mich, dass man in Expertenwissen haben muss, um Antworten einschätzen zu können. Ohne solches Expertenwissen sollte man sich in den Bereichen Theologie, Bibel, Kirche und Religion auf keinen Fall verlassen, die Fehlerquote ist zu hoch. Es bleibt abzuwarten, wie sich durch Feedback ChatGPT über die Zeit verbessern wird.

Wer diese Bewertung nachvollziehen möchte und ChatGPT ausprobieren mag, kann sich hier anmelden und die KI ausprobieren. Trotz aller Kritik: Spaß hat es schon gemacht, sich mit dem Bot zu unterhalten.

Autor:in


2 Antworten zu “Theologie und KI: ChatGPT missversteht Weihnachtsgeschichte”

  1. Der Bot ist auch ganz groß im Erfinden von Schriftzitaten, die täuschend echt klingen. Bei Psalmen kann er auch nicht dazusagen, welcher Zählweise er folgt,

  2. Vielen Dank für Ihren ausführlichen Artikel über die Herausforderungen und Grenzen von ChatGPT im Bereich Theologie und Religion. Es war interessant zu lesen, wie die KI mit komplexen theologischen Themen umgeht und welche Schwierigkeiten sie dabei hat. Liebe Grüße

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