Mit einer Woche Abstand lese ich nun den Kundgebungstext der EKD-Synode wieder. Beim ersten Lesen direkt nach Veröffentlichung war mir der Indikativ im Gedächtnis geblieben. Auf der Synode hörte ich von jemand in der Diskussion: Wir müssen müssen müssen müssen müssen. Das Thema Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft zeigte deutlich, wieviel Kirche noch aufholen muss. Da kommt man leicht in einen Aktionismus, was alles zu tun wäre. Also Kirche muss muss muss. Die Kundgebung geht rein sprachlich einen anderen Weg, sie setzt auf den Indikativ. Das ist stilistisch schöner, die Frage ist, was der Indikativ bewirkt, z.B (Punkt 5):
„Sie [=die Kirche] wird die Mittel bereitstellen, die für eine entsprechende Ausbildung von Kompetenzen erforderlich sind.“
Wie belastbar ist diese Aussage? Oder wird im Laufe der Haushaltsberatungen aus dem Indikativ doch ein Konjunktiv – sei es ein Optativ oder noch schlimmer ein Irrealis?
Ohne weiter grammatische Analyse zu treiben, hat der Kundgebungstext allerdings durch die Fokusssierung auf zehn Punkte sprachlich auf jeden Fall bereits gegenüber dem Entwurf gewonnen.
Positiv auch, dass im verabschiedeten Text keine vorschnellen Antworten formuliert werden – oder was noch schlimmer wäre, anderen solche Positionen als evangelische Perspektive anzudienen- , sondern Fragen zu benannt werden, die es zu bearbeiten gilt. Punkt 6 benennt solche Fragen, ohne vorschnell Antworten zu geben. Das finde ich gut:
Wie können digitale Kommunikationsräume gestaltet werden, in denen Begegnungen als Ausdruck gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung erlebt werden? Wie kann darin die Privatheit als Ausdruck der Würde jedes einzelnen Menschen respektiert werden? Wie können heilsame Formen des Erinnerns entwickelt werden, die Menschen nicht auf das digitale Gedächtnis festlegen, sondern menschliche Freiheit erhalten, indem sie Vergebung und Neuanfang ermöglichen?
Im nun folgenden Passus (Punkt 7) fehlt allerdings eine notwendige Unterscheidung zwischen personenbezogenen und nicht-personenbezogenen Daten.
Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Daten und digitalen Spuren. Der Datensammlung und -auswertung müssen Grenzen gesetzt werden.
Diese fehlende Differenzierung führt zur Verknüpfung von Datensammlung mit Überwachung. Dieser Konnex besteht so aber nicht, wenn man sauber zwischen personenbezogenen und nicht personenbezogenen Daten unterscheiden würde. Daten zu sammeln ist nicht per se negativ zu bewerten, sondern bietet Potenzial für Innovation und garantiert Transparenz, wenn es offene Daten sind. So wird Handeln der Verwaltung nachvollziehbar und Herrschaftswissen minimiert. Verfügbarkeit kommunaler Umweltdaten kann Bürgern beispielsweise helfen, Risiken besser einzuschätzen. Offene kommunale Daten sind noch nicht allgemeine Praxis, aber es gibt positive Beispiele, an die man anknüpfen könnte, hier sei auf die Stadt Moers verwiesen: www.offenedaten.moers.de.
Wir verpflichten uns, unter den aktuellen Gegebenheiten massenhafter Abhörung und Auswertung von digitaler Kommunikation auch die kirchlichen Seelsorgeangebote kritisch zu prüfen: Wie können wir Seelsorge- und Beichtgeheimnis schützen?
Vorschläge und Ideen sind da – allein es fehlte bisher der Wille, diese umzusetzen. Wenn Datenschutz so wichtig ist, warum gibt es keine Infrastruktur, dass innerhalb der EKD und Landeskirchen verschlüsselt über Email kommuniziert wird. Derzeit gibt es nur Verschlüsselung innerhalb landeskirchlicher Mailsysteme – die auch nicht flächendeckend von Kirchengemeinden genutzt werden. Für Außenstehende ist es – sieht man von Seelsorge- und Beratungsplattformen ab – nicht möglich, per verschlüsselter E-Mail mit Pfarrerinnen und Pfarrern, Gemeindebüros und Landeskirchenämtern in Kontakt zu treten. Um es für die rheinische Kirche explizit zu sagen: Verschlüsselung gibt es nur innerhalb des ekir.de-E-Mailsystems, aber nicht für Mails anderer Absender an ekir.de-E-Mail-Konten. Wird sich etwas ändern?
Bei Punkt 8 fehlt mir das Stichwort OER:
Die evangelische Kirche hat die Aufgabe, digitale Bildungsprozesse aus christlicher Perspektive neu zu denken. Evangelische Kirche tritt grundsätzlich dafür ein, dass Teilhabe für alle möglich wird, unabhängig von Alter, Herkunft, Wohnort und Einkommen.
Das Fehlen solcher Stichworte würde es etwas einfacher machen, den Kundgebungstext in Diskussionsprozesse einzubringen.
Bei der Frage, unter welchen Lizenzbedingungen der aktuelle Bibeltext verfügbar ist, ringt sich der Kundgebungstext zu keiner eindeutigen Position durch. Natürlich kann man von einer Synode nicht erwarten, dass sie sofort Konsequenzen zieht, aber über einen Prüfauftrag, ob der aktuelle Luthertext unter eine CC-Lizenz gestellt werden kann, hätte ich mich gefreut. So wird leider in Punkt 9 nur der Status quo wiederholt:
Die Verbreitung des Bibeltextes unterliegt ökonomischen Bedingungen. Entscheidend bleibt aber, die Bibel aller Welt frei zugänglich zu machen und zu erhalten. Das gehört zum Auftrag der Kirche und aller Christen.
Im abschließenenden Punkt 10 heißt es:
Die Kommunikation des Evangeliums in der digitalen Gesellschaft erfordert konkretes kirchliches Handeln.
Darunter werden acht Folgerungen aufgezählt, teilweise sehr konkret, teilweise Absichtbekundungen oder politische Forderungen („Der Rat der EKD wird gebeten, sich bei der Bundesregierung für den Netzausbau und für Zugangsgerechtigkeit einzusetzen.“) Ob sich die Bundesregierung zur Förderung des Netzausbaus aufgrund der Intervention der EKD bewegen lässt, sei dahingestellt, entscheidend ist, wie die EKD sich auf den Handlungsfeldern bewegen wird, die sie selbst verantwortet und gestalten kann.Ich bin gespannt, wie die inhaltlichen Folgerungen praktisch umgesetzt werden.
Vergleicht man den verabschiedeten Kundgebungstext mit dem zuvor veröffentlichten Entwurf, so wird ein deutlicher Fortschritt sichtbar, nämlich die Bereitschaft, sich auf die digitale Gesellschaft einzulassen und nicht – wie an vielen Stellen im Entwurf – diese kritisch zu beäugen und am Bekannten festzuhalten.
An einigen Stellen wird die Bewegung deutlich sichtbar. Im Entwurf hieß es noch unter Punkt 7:
Kirche ist im Kern Gottesdienst feiernde Gemeinschaft Anwesender, die „face to face“ miteinander und vor dem Angesicht Gottes feiern.
Wenn man es genau liest, enthält der Entwurf sogar eine Einschränkung gegenüber CA VII. Ganz anders dagegen der verabschiedete Text (Punkt 5):
Die Digitalisierung der Gesellschaft führt dazu, dass durch digitale Räume neue Formen von Gemeinde entstehen. Nicht physische Nähe, sondern Kommunikation ist für sie wesentlich. Die evangelische Kirche respektiert und fördert diese neuen Gestalten von Gemeinde.
Bei der Gegenüberstellung von Entwurf und beschlossener Kundgebung merkt man die Bewegung der Synode. Der Wille, sich auf die Digitalisierung einzulassen, wird deutlich.
Auch wenn ich Kritik an einzelnen Punkten habe, möchte ich in meinem Fazit nicht das Gesamtbild übersehen. Statt Angst und Abwehrhaltung sieht die Synode die Chancen, die die Digitalisierung auch bietet. Dies ist ein großer Fortschritt. Spannend ist, ob es nur eine Kundgebung bleibt, oder tatsächlich konkrete Schritte folgen.
3 Antworten zu “EKD-Synode: Welche Schritte werden folgen?”
[…] EKD-Synode: Welche Schritte werden folgen? […]
[…] sind wirklich, Online-Interaktionen nur virtuell und nicht real. Zum Glück hat die EKD-Synode im November letzten Jahres auch Online-Gemeinden anerkannt, aber es war ein weiter Weg und unsere […]
[…] sind wirklich, Online-Interaktionen nur virtuell und nicht real. Zum Glück hat die EKD-Synode im November letzten Jahres auch Online-Gemeinden anerkannt, aber es war ein weiter Weg und unsere […]