Nächste Woche bin ich nach Warschau zu einem Medien-Workshop der evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnisses in Polen eingeladen. Zur Vorbereitung einige Gedanken als Blogpost. Mich ehrt die Einladung, fertige Antworten habe ich nicht, aufgrund meiner Erfahrungen kann ich viele Fragen stellen, mit denen ich mich beschäftige, – und manchmal hat man als Außenstehender die Freiheit, etwas zu hinterfragen, was gesetzt scheint, aber vielleicht doch zu ändern wäre.
Kirche als Netzwerk oder Ghetto
Wenn ich beginnen sollte zu predigen, dann größtenteils zu mir selber. Ich will kein Besser-Wessi sein („Besser-Wisser“ – ob das Wortspiel in unserem östlichen Nachbarland funktioniert?) – ich bin gespannt, ob unsere Erfahrungen sich als Spiegel für die polnisch-lutherische Wirklichkeit eignen.
Letzte Woche war ich auf zwei Tagungen, von denen ich Anregungen nach Polen mitnehme. Das Zentrum für Mission in der Region hatte mich zu einem Fachgespräch über Kirche als Netzwerk eingeladen. Ein verstörendes Faktum zog sich durch mehrere Diskussionen: Die Mehrzahl der Gemeindeglieder kennt keine Person aus der Gemeinde. Diese Gemeindeglieder sind de facto draußen. Kirche als Netzwerk kann aber nur funktionieren, wenn sie an andere Netzwerke andockt. Es geht dabei um kirchliches Selbstverständnis: Igelt sich die Kirche im Ghetto ein – es finden sich in ihr nur bestimmte in sich gekapselte Milieus wieder – oder sucht die Kirche Kontakt in die sie umgebende Gesellschaft? Auch wenn es im folgenden um Öffentlichkeits- und Medienarbeit gehen soll, müssen wir auch über das kirchliche Selbstverständnis reden. Öffentlichkeitsarbeit und Ekklesiologie müssen kompatibel sein.
Geschichten erzählen
Die andere Veranstaltung war das OWUG-Usergroup-Treffen. Es ging um Technik und digitale Transformation, die Keynote „Web oder Stirb!“ hielt die PR-Beraterin Kerstin Hoffmann. Wer als Unternehmen nicht spätestens jetzt den Schritt in die Digitalisierung schaffe, werde untergehen. Wer ganz vorne mitspielen wolle, brauche neue Sichtweisen und Werkzeuge. Für Unternehmen sei es daher wichtig, im Dialog mit Kundinnen und Kunden zu erzählen: „Menschen wollen Geschichten hören.“
Bei einer meiner Lieblingsserien auf Netflix Law and Order. Special Victims Unit werden im Trailer die Detektive und Staatsanwälte werden kurz eingeblendet, der Einspieler endet dann „These are their stories….“ — was sind unsere Geschichten als Kirche? Also: Keine Statistiken, Organigramme oder Meldungen über die Institution oder Verlautbarungen, sondern welche Geschichten wollen wir erzählen?
Ich bin mir bewusst, Öffentlichkeitsarbeit bzw. Pressearbeit ist von der Kommunikation des Evangeliums – dem „Unternehmensziel“ von Kirche zu unterscheiden. Wenn wir über die Öffentlichkeitsarbeit reden, so sprechen wir indirekt auch darüber, was Kirche (für uns) ist.
Kurzer Blick auf Deutschland
Die letzte Gesamtschau evangelischer Publizistik stammt wird bald 20 Jahre alt. Smartphone bzw. mobile Devices kommen noch nicht vor, das Internet wird am Rande erwähnt. Ich zitiere aus „Mandat und Markt. Perspektiven evangelischer Publizistik. Publizistisches Gesamtkonzept 1997“
„Die gegenwärtigen Rahmenbedingungen der Mediengesellschaft
Die aktuellen Entwicklungen in den Kommunikationstechnologien verändern nachhaltig den Medienmarkt und die Medienstrukturen in der Bundesrepublik Deutschland. Digitale Technik, Online-Dienste und neue Medien-Verteilformen sind Innovationen, die die öffentliche Kommunikation und die private Mediennutzung bereits heute beeinflussen. Sie fassen die Leistungen von Radio, Fernsehen und Zeitungen in einem einzigen System zusammen. Fernsehen, Telefon und Computer lassen sich in ein Multimedia-Gerät integrieren, das dem einzelnen die Möglichkeit gibt, Daten, Bilder und Informationen unabhängig von den gewohnten Medienangeboten individuell abzurufen, zu bearbeiten und zu verbreiten.“
Das ist zweifelsohne veraltet. Es gab zwar weitere Aufschläge für ein publizistisches Konzept, an der Formulierung einer EKD-weiten Internetstrategie war ich selbst beteiligt, aber sie ist in Gremien versandet und leider nicht veröffentlicht worden, den Titel der Studie „Kommunikative Kirche“ habe ich jedoch für diesen Blogpost geborgt.
In der EKiR ist zurzeit „Themenmanagement“ das Schlüsselwort, es klingt und ist bescheidener als Agenda Setting und weist eine realistischere Sicht auf, was wir tatsächlich bewirken können. Wir nehmen wahr, welche Themen gesellschaftlich relevant sind, und wie in Gesellschaft und Politik Entscheidungsprozesse verlaufen, und planen im Hinblick darauf unsere Kommunikation – wann und wie Entscheidungsträger angesprochen und mit Information versorgt werden müssen und welche Kanäle wir für welche Zielgruppe auswählen.
Während es neue Stellen in der Öffentlichkeitsarbeit selten gibt und eher Kürzungen anstehen, gibt es zusätzliche Stellen (wenn auch teilweise befristet) im Social Media Bereich, die bayerische Landeskirche hat vor knapp zwei Jahren einen Social Media Pfarrer berufen, die mitteldeutsche Kirche einen Social Media Manager. Die evangelische Kirche soll auch in sozialen Netzwerken präsent sein.
Vorwissen über Polen
Von Polen habe nur ein rudimentäres Verständnis, aber viel Sympathie für das Land, in dem meine Familie für mehrere Generationen gelebt hat. Ich weiß, „Kirche“ ist durch die katholische Kirche besetzt, Protestanten sind eine Minderheit – ähnlich wie in Mexiko, dem Heimatland meiner Frau, das ich gut kenne. Ob Polen oder Mexiko – protestantische Kirche ist schlank aufgestellt, während wir in Deutschland öffentlich-rechtlich verfasst sind und Kirchensteuer erheben.
Mediennutzung und Produktionsbedingungen
Es sind Momentaufnahmen: Der Kirchengebietspresse in Deutschland sterben die Leserinnen und Leser altersbedingt weg, es wachsen aber nicht genügend nach, die Auflagen sinken. Wer ehrlich ist, gibt zu, die Kirchengebietspresse ist ein Auslaufmodell, es gilt den Übergang zu gestalten.
Jugendliche – so meine Privatempirie am Frühstückstisch oder als Chauffeur von Teenagern – lesen keine Zeitung, Fernsehen wird von YouTube und Netflix verdrängt, Buzzfeed und YouTuber ersetzen den News-Anchorman, der die Welt in den Nachrichten erklärt. Wissen wir bzw Sie, welche Medien die Jugendlichen nutzen? Kennen wir die Medienwelt der nachkommenden Generation?
BTW: medienethisch und gesellschaftlich bedenklich, wie soziale Netze wie Facebook Nachrichten filtern, man erhält das angezeigt, was zur eigenen Weltsicht passt, Verstörendes oder Schräges wird herausgefiltert. Soziale Netzwerke fördern so die Vernetzung mit Gleichdenkenden, exemplarisch lässt sich dies gut an der Auswertung der Twitterfeeds zu den Unruhen Ferguson nachweisen.
Ein positives Beispiel aus Finnland, das in der Internetnutzung uns in Mitteleuropa voraus ist: Ein Jugendmagazin wird ins Web verlagert, Online-Berichterstattung erfolgt von kirchlichen Ereignissen mit iPad via Bambuser. Schlank und schnell wird eine wohldefinierte Zielgruppe bedient. Content wird agil produziert.
Content: Kontroverse oder Konsens
Welche Geschichten wollen Sie erzählen? Die Kirche als Institution ist uninteressant. Was ist unser protestantisches Profil und welche profilierte Positionen haben wir?
Erlauben Sie mir, dass ich zwei Themen antippe: die Flüchtlingsfrage und die Ehe für alle.
Was ist ihre Position zu diesen Themen? Ich vermute – bitte korrigieren Sie mich – es gibt nicht nur Konsens, sondern auch Kontroverse. Gremienkonsens und wohlabgestimmte Verlautbarungen interessieren niemanden. Was ist Ihre Botschaft? Halten es die Gemeindeglieder aus? – und halten Sie es aus, wenn Sie Protest und Widerspruch bekommen, auch von innerhalb der Kirche? Ist es vielleicht ein Kennzeichen des Protestantismus, dass wir um Wahrheit und Positionen ringen, anstatt auf ein unfehlbares Lehramt zu verweisen.
Wir benötigen Mut, uns auch auf Kontroversen einzulassen. Wenn andere Medien beginnen, über uns zu berichten, haben wir viel richtig gemacht. Dazu zwei Beispiele:
„Misch Dich ein“ – die Kommunikationskampagne des Stadtkirchenverbandes Köln:
„Es ging durch alle Gazetten, der Wirbel war riesig. In der lokalen Presse, in überregionalen Publikationen, ja sogar im Spiegel und im „Wall Street Journal“ wurde darüber berichtet. Jeder Fernsehsender, der etwas auf sich hielt, war dabei: Talkshows, Magazine, gar die „Tagesthemen“. Die Fachpresse überstürzte sich: „Die Kirche macht jetzt Werbung.“
Ähnlich auch die Kampagne unser amerikanischen Partnerkirche United Church of Christ: „God is still speaking„. Dass einige Fernsehstationen es ablehnten, die Spots auszustrahlen, machte diese nur bekannter.
https://vimeo.com/10409854
Trauen wir uns, prägnant zu formulieren. Ein Blogpost mit einer Überschrift aus vier Worten (noch besser wären drei) kann auch dazu benutzt werden, die evangelische Unterscheidung von Werk und Person zu erklären: „Gott liebt auch Steuersünder“ können wir theologische Inhalte für den Boulevard elementarisieren oder beherrschen wir nur die Sprache der Kanzel und des Katheders?
Personen stehen für Inhalte
Wer sind die prominenten protestantischen Polen und Polinnen? Welche protestantischen Personen stehen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene für Kirche ein und können unseren Inhalten ein Gesicht geben? Diese Personen müssen nicht immer der Pfarrer oder die Pfarrerin sein, von denen man qua Beruf erwartet, dass sie für Kirche einstehen. In der Personalisierung von Inhalten liegt eine Chance von Social Media:
Personalisierung und Lokalisierung – zwei Säulen für Social Media
Aus der Funktionsweise von Social Media (personalisierte, absenderzentrierte Kommunikation mit unmittelbarer 1:1- und 1:n- und n:n-Feedbackmöglichkeit) und den Erfahrungen von kirchlichen Onlineauftritten folgen zwei Leitlinien, die sich für eine Social-Media-Strategie anbieten:
Personalisierung
Was immer Kirchen und Gemeinden in Social Media anbieten, ist persönlich. Die handelnden Personen stehen im Mittelpunkt. Für institutionelle Informationen stehen klassische Instrumente der Onlinekommunikation zur Verfügung. Eine reine Dopplung von Inhalten und Funktionen auf neuen Plattformen ist weder nötig noch hilfreich. Konkrete Menschen werden also Absenderinnen und Absender bzw. Autorinnen und Autoren sein. Konkrete Menschen antworten und sind Dialogpartnerinnen und -partner.
Lokalisierung
Ausgangspunkt aller Social-Media-Aktivitäten ist die kleinste und lokale Einheit. Von hier aus, wo Gemeinde gesammelt und gebaut wird, wachsen Social-Media-Aktivitäten. In der Konsequenz bedeuten diese Leitlinien, dass die wichtigsten Akteurinnen und Akteure der Kirchen in Social Media die Gemeindepfarrerinnen und -pfarrer sind. In spezielleren Zielgruppen kommen dann noch beispielsweise Mitarbeitende in der Jugendarbeit dazu. Aber im Kern sind es die auch sonst vor Ort in den Ortsgemeinden besonders visiblen Botschafterinnen und Botschafter, die die Gute Nachricht auch in Social Media tragen können und werden.
Die Frage bleibt: wer sind unsere Botschafterinnen und Botschafter, die die gute Botschaft weitersagen?
PS: Hier die Folien zum Workshop
2 Antworten zu “Kommunikative Kirche”
Ganz schnell, ein paar Gedanken zu deinem post:
Ich sprechen nicht mehr von „Kommunikation der Kirche“, weil ich glaube, es gibt sie nicht mehr, die „eine“, die richtig oder falsch ist. Wir sollten gut hinsehen, welche Inhalte, mit welchem Ziel, welcher Zielgruppe angezeigt werden soll. Danach können wir das Medium wählen.
Inhalt:
Geht es darum, dass sich Menschen zum Evangelium wenden? (Ich sage nicht missionieren/evangelisieren, meine es aber „irgendwie“). Wenn es das sein soll, dann müssen wir dahin gehen, wo die Menschen sind … das machen uns manche Evangelikalen gekonnt vor mit ihren Events. Von Tür zu Tür gehen kommt in unseren Breiten nicht gut an – vielleicht ein Grund, weshalb wir Menschen verloren haben?
Infos für die, die dazu gehören: Ja mei, jedes Medium nützen, das es gibt. Ob die (Kirchen-)Zeitung stirbt ist egal: so lange es sie gibt: Pressemeldungen und Geschichten jeder Art an die Redaktion schicken. Einladungen an Journalisten. Hingehen und Schulungen von Redaktionen (jaha, die gab es früher mal …) lokal anbieten, nicht warten und hoffen, dass sie den Unterschied zwischen katholisch und evangelisch schon irgendwann begreifen.
Ziel
Dass Menschen in den Gottesdienst kommen?; sich bekehren?; spenden?; sich engagieren?; den Laden nicht als Dienstleistunger für Lebensübergänge begreifen?; … Ein Problem des Kirchenjournalismus ist, dass die Journalisten nicht die Ziele der Kirche kennen, sie womöglich nicht teilen, lieber „kritisch“ (was ist das?), als „nah“ an der Kirche sind … Womöglich ist Kirchenjournalismus ungeeignet, diese und weitere Ziele zu erreichen. (Obwohl es von uns so viele gibt wie nie, sind wir irgendwie nicht so ganz „erfolgreich“). Vielleicht müssten wir unsere Ziele, abgeklärt mit unseren Orgas, mal aufzählen und überprüfen …
Zielgruppe
Solange wir der Mittelschicht, aus der die meisten von euch kommen – und Leute wie ich hinwoll(t)en -, kommunikativ verhaftet bleiben, solange wird niemand außerhalb erreicht. Wer auf RTLII nicht vorkommen will, weil das bähbäh ist, kommt nicht vor, bei denen, die Kirche seit dem vorletzten Jahrhundert verloren hat. Höchstens als Subjekt, das es zu retten gilt, vor dem Schmutz, Krankheit, Armut und familiärer Gewalt … die Seelenrettung wurde ja auch an andere abgegeben …
Ob Kirchen, die nicht so staatstragend sind (Politiker_innen in Synoden etc), erfolgreicher sind, weiß ich nicht. Von Partnerkirchen aus dem Süden, vor allem, wenn sie in der Minderheit sind, krieg ich den Vogel gezeigt anlässlich der Forderung, Kirche müsse aufhören, nach Macht zu streben. Ob das für Polen gilt, weiss ich nicht ..
Hallo Freddy –
habe bewusst kommunikative Kirche und nicht Kommunikation der Kirche geschrieben, da es um eine Haltung geht, nämlich Kommunikation auf Augenhöhe anzubieten.
Bin gespannt, welches Feedback ich aus Polen bekommen werde.
Ja, wir haben eine Botschaft, zu der wir Menschen einladen wollen. Für mich stellt sich die Frage, sind wir auch so ausgerichtet, dass andere hinzukommen können oder gerne wollen. Daher geht es eigentlich um das Kirchenbild: Errichten wir Kirchenmauern, hinter denen sich die Rechtgläubigen zurückziehen, oder haben wir Netzwerkstrukturen, die uns mit anderen Menschen verbinden.
Gerade wenn Kirche in der Öffentlichkeit wirken will und soll, dürfen auch Politiker(innen) bei uns mitmachen, da bin ich gerne inklusiv, wenn sie ihre Kompetenzen aus der Politk als Christenmensch einbringen wollen. Mein Plädoyer war eher für eine schlanke Organisation, so dass wir uns schneller an die sich ändernden Verhältnisse anpassen können und wir nicht Gefangene unserer Strukturen sind.