Spiritualität im Internet ist ein wichtiges Thema für kirchliche Internetarbeit. Um nicht nur darüber zu reden, sondern es auch einzuüben, hatten wir bei der Planung des Barcamps Kirche Online einen Twittergottesdienst im Unperfekthaus verabredet.
Mit einer zeitlicher Verzögerung nun eine Dokumentation zum #twigo am 19.9.2015 mit Erläuterungen und Hintergrundinfos sowie Reaktionen.
Twittergottesdienste sind an sich nichts Neues mehr, einen über das Fernsehen ausgestrahlten Twittergottesdienst hatte es aber bisher noch nicht gegeben – dies wollten wir ausprobieren. Sehr dankbar waren wir daher, dass BibelTV den Mut hatte, sich auf dieses Experiment einzulassen.
Versammelte Gemeinde
Liturgisch herausforderernd und theologisch interessant ist die Frage, wer die versammelte Gemeinde ist, wenn über das Internet für die Zuschauerinnen und Zuschauer im Fernsehen ein Rückkanal zur örtlich versammelten Gemeinde besteht. Die Zielgruppenunklarheit war einer meiner Kritikpunkte an bisherigen Online-Gottesdiensten. Ob wir es besser gemacht haben, muss jeder für sich aufgrund der Auswertung entscheiden. Oder ist die Unschärfe bei den jeweiligen Zielgruppen unauflösbar mit den verschiedenen Orten und Übertragungswegen verbunden, dass man nie allen gerecht werden kann und deshalb eine Beschränkung der Zielgruppen sinnvoll wäre? Unsere Grundentscheidung jedenfalls war, jede Gruppe möglichst gut und vollständig einzubeziehen:
- Die im Essener Unperfekthaus versammelte Gemeinde ist an einem Ort zusammengekommen, die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher beteiligen sichs über Twitter während des Gottesdienstes;
- Die TV-Gemeinde sieht den Gottesdienst im Fernsehen oder im Web als Stream und kann per Twitter, Email oder Facebook am Gottesdienstgeschehen teilnehmen;
- Twitter-User folgen dem Gottesdienst über die beschreibenden Tweets der Twitter-Teams und engagieren sich über Twitter im Gottesdienst.
Die per Beamer an die Wand geworfene Twitterwall, die im Web aufrufbare Wall und die im TV permanent eingeblendeten Tweets verknüpfen die verschiedenen Ebenen, gleichzeitig stellen Livestream bzw. TV-Übertragung oder die beschreibenden Tweets des Twitterteams die Verbindung zur örtlich versammelten Gemeinde her.
Nur der Vollständigkeit halber: Um niemanden auszuschließen hatten wir für Gottesdienstbesucherinnen und -besucher ohne Smartphone bzw. ohne Twitter Karteikarten vorbereitet, die dann abgetippt und gepostet worden wären, diese kamen jedoch nicht zum Einsatz.
Ist es möglich, allen drei Gruppen (Gemeinde im Unperfekthaus, TV-Gemeinde, Twitter-Gemeinde) gerecht zu werden?
Interaktiver Gottesdienst
Twittergottesdienste setzen auf Partizipation, daher erfolgte die Vorbereitung des Gottesdienstes über ein offenes Etherpad, auf das über Social Media hingewiesen wurde.
Den Ablauf des Gottesdienstes habe ich eingestellt, Interessierte haben sich für die verschiedenen Rollen eingetragen, Gedankenanstöße für die Verkündigung gegeben, über die Kommentarfunktion des Pads Hinweise zur Öffentlichkeitsarbeit mitgeteilt.
Den liturgischen Ablauf musste ich nicht eigens erarbeiten, sondern konnte auf Erfahrungen aus anderen Twittergottesdiensten zurückgreifen. Anders als bei vorherigen Gottesdiensten war jedoch wegen der TV-Übertragung das Zeitraster diesmal streng vorgegeben. Ein Unsicherheitsfaktor – weil und keine Erfahrungen vorlagen – waren die Interaktionesformen bei Twitter, es war im Vorfeld schwer abzuschätzen, wie schnell Tweets eingehen würden. Zum Nachlesen hier die Liturgie.
Das Thema #RefugeesWelcome ergab sich von selbst.
Technische Rahmenbedingungen
Die TV-Übertragung für BibelTV erfolgte über eine Streaming-Box, die das TV-Signal über die Internetverbindung des Unperfekthauses an den Dienstleister von Bibel TV übertrug. Von dort erfolgte dann die Weiterleitung per Satellit bzw. auch das Streaming ins Netz.
Die Streaming-Box konnten wir leider erst neun Tage vor dem geplanten Termin testen, die konkreten Planungen für den Gottesdienst begannen daher erst, als wir wussten, dass die Technik funktioniert.
Die Location Unperfekthaus gab dabei das Programm vor, nämlich nicht nach Perfektion zu streben, sondern auszuprobieren, was möglich ist, anderes wäre aufgrund der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen.
Für die Übertragung hatten wir drei besetzte Kameras und als Reserve eine stationäre für die Totale, eine Person für die Regie, eine für Audio und eine für die Insertierungen, so dass wir einschließlich Redakteur für die Übertragung sieben Personen hatten.
Glücklicherweise hatten wir eine eigene Ethernet-Verbindung für die Übertragung, das Twitter-Team konnte das interne WLAN nutzen und für die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher stand das Gäste-WLAN des Unperfekthauses zur Verfügung.
Mitwirkende
Zwei Stunden vor Übertragungsbeginn verließ das Twitterteam das Barcamp im Haus der Kirche und kam ins Unperfekthaus. Letzte Absprachen fanden daher erst im Unperfekthaus kurz vor Beginn statt. Im Rückblick hätte man hier genügend Zeit für eine Probe einplanen müssen. Aufgabe des Twitterteams war es, live aus dem Gottesdienst zu twittern, auf Anfragen zu reagieren und mit Twitter-Usrn zu interagieren, die Wall zu moderieren und von der Wall Inhalte in das Gottesdienstgeschehen zurückzuspielen.
Musikalisch gab es Probleme, da das E-Piano im Unperfekthaus leicht defekt war und keine Zeit für den Austausch bestand.
Für mich war es das erste Mal, dass ich für die Liturgie ein Tablet benutzte – dachte aber, bei einem Twittergottesdienst könnte ich das ausprobieren. Da es noch Änderungen zum Ablauf in letzter Minute gab, nutzen wir eine Dropbox, um diese an die Mitwikenden weiterzugeben – prompt stürzte die Dropbox während des Gottesdienstes ab. Auch hier war dann Improvisieren angesagt.
Twitterwall
Als Twitterwall nutzen wir Walls.io, dies ermöglichte uns, dieselbe Wall für den Beamer im Unperfekthaus und die Einblendung in den Screen zu nutzen, da wir für die unerschiedlichen Ausgabeformate Anpassungen über parametergesteuerte CSS-Dateien vornehmen konnten. Wals.io ermöglichte außerdem die Einbindung von Facebook-Posts. Eine einzige Wall zu nutzen hatte den Vorteil, dass wir nur an einer Stelle moderieren mussten. Als Dokumentation findet sich die Wall hier als PDF-Datei.
Der Twittergottesdienst unter #Twigo hatte eine reichweite von über 50.000 und wurde mehr als 300.000 Mal in Timelines ausgegeben. Auf BibelTV sahen über 30.000 Zuschauerinnen und Zuschauer den Gottesdienst live, der LiveStream wurde deutlich mehr abgerufen als sonst, so dass es zu kurzfristigen Aussetzern kam.
Auch die mediale Zweitverwertung war gut, die WAZ brachte die Gebete aus dem Gottesdienst als Bestandteil eines Artikels auf der Seite Rhein-Ruhr. Ebenso berichtete der Bayerischer Rundfunk.
Ein Teilnehmer im Gottesdienst hat unter dem Titel „Handy raus im Gotteshaus!!!!“ seine Gottesdiensterfahrung in einem Blogpost zusammengefasst.
Ein Kollege hat als Fernsehzuschauer mit Tablet den Gottesdienst verfolgt, seine Wahrnehmung beschreibt er so:
1) Fernsehbild und Twitter (Tablet) gehörten zusammen. Die Qualität des Fernsehbildes war für mich zweitrangig, da der Blick immer wieder auf das Tablet ging, weil die Tweets in rascher Folge eingingen. (Ich werde daher Bildqualität, Kameraeinstellungen, „Bühnenbild“ und auch Tonqualität – Stichwort Klavier – und manches durchs Bild laufen und Statische nicht bewerten, da es ja ein Twitter-Gottesdienst war.)
2) Nur mit Tablet und ohne Fernsehbild hätte ich dem Gottesdienst nicht folgen können, da die Tweets selbst keinen strukturellen Ablauf erkennen lassen.
3) Umgekehrt waren die Versuche, Tweets über eine Moderatorin einzuspielen, im Ansatz gut, nur im Ablauf von Gottesdienst und Tweeteingang asynchron. Das war zwar Zeichen für die Lebendigkeit des Gottesdienstes, nur war man übers Tablet schon sehr viel weiter als die Fernsehübertragung.
4) Grundsätzliches zur Form, wie ich sie als Gottesdienstteilnehmer wahrgenommen habe:
Wenn Twittergottesdienst mehr ist als nur ein Gottesdienst mit Twitterelementen, dann sollte man verstärkt über eine Teilung von Liturgie und Moderation nachdenken. Das gilt sowohl für den Gottesdienst selbst (live vor Ort und am Bildschirm), als wohl auch für die Twitter-Tweets selbst. [Auch in bestimmten Formen von neueren Jugendgottesdiensten ist ja die Moderatorenrolle eingeführt, die durchs „Programm“ führen, weil vieles aus der herkömmlichen Gottesdienstform herausfällt.] Ich kann mir vorstellen, dass eine deutlichere Rollenteilung dem Mitfeiern gut tut. Wie das für die Tweets auf dem Tablet aussehen kann, vermag ich nicht zu sagen.
Man müsste auch über die Rolle der Musik nachdenken. Haben Gottesdienstteilnehmerinnen und -teilnehmer mitgesungen? Ich habe das am Bildschirm nicht mitbekommen, sondern vielmehr „tastende“ Handynutzer in den Bankreihen gesehen, was ja einem Twittergottesdienst auch genau entspricht. Frage also: Hat der Gemeindegesang im Twittergottesdienst seine Funktion und welche? Ist Musik eher als Untermalung, Mittel der Zäsur oder der Überbrückung geeignet? Bei der Übertragung aus Essen hatte ich den Eindruck, dass an mehrere Funktionen gedacht war: Gemeindegesang und Zäsur bzw. Ruhepol. Das mag beim Twittergottesdienst aber nicht funktionieren. Wenn Gottesdienstbesucherinnen -und besucher dem Gottesdienst mit ihrer Tastatur folgen und bereichern, dann werden sie die Lied- und Musikbestandteile eher als Freiraum für Eingaben nutzen. Ließe sich das strukturell deutlicher einbauen?
Als Dokumentation hier ein Mittschnitt der TV-Ausstrahlung:
2 Antworten zu “Nachlese #Twigo Twittergottesdienst”
[…] Tweets braucht (oder haben möchte), dann muss die Wall moderierbar sein, wie walls.io (haben wir beim letzten Twittergottesdienst des Barcamp Kirche Online eingesetzt, weil alles sehr konfigurierbar war. Das hat aber leider auch […]
[…] ereignet sich auch im Vorfeld. Während bei den Twittergottesdiensten in Aachen und in Essen die Vorbereitung über ein Etherpad lief, wurde für den Magdeburger Gottesdienst ein Workshop am […]