Korrekt formuliert müsste man von Ethik statt Moral sprechen, auf Software bezogen müsste man fragen: Ist Open Scource Software bzw. Free Software die ethisch bessere Software? Oder ist sie einfach nur besser? Gibt es ethische Gründe für Open Source Software?
Ich suche dabei nach einer Begründung für freie Software, die nicht auf einer Argumentation aus Informatik oder Ökonomie fußt, sondern ethische Begründungszusammenhänge anführt. Und wenn wir uns im kirchlichen Kontext bewegen, lässt sich präzisieren, welche theologischen Gründe gibt es für den Einsatz freier Software.
In der Kirche müssen wir dazu eine theologische Position entwickeln. Die Annahme bzw. der Hinweis, dass Open Source Software besser sei, mag sich aus der Informatik begründen oder wiederlegen lassen, genügt aber nicht den Grundsätzen theologischer Urteilsfindung.
Wie verhält sich die biblische und kirchliche Tradition zu Open Source Software? Natürlich findet sich in der Bibel kein Hinweis auf Software, allerdings gibt es Prinzipien der Bibel und in der Kirchengeschichte, die sich auch bei Freier Software finden. Auch wenn in der Free Software Foundation aus gutem Grund von Free Software statt von Open Source Software gesprochen wird, will ich hier Open Source und Freie Sodtware synonym gebrauchen.
Wenn es darum geht, eine kirchliche Position zu entwickeln, muss man neben Open Source auch Open Content, Open Educational Ressources (OER) , Open Data, Open Archives bedenken. Sie lassen sich nicht über einen Kamm scheren, dazu sind sie zu verschieden, jedoch verbindet sie das Offene und Freie und sie sind miteinander verflochten, der Begriff „open“ stellt diese Verbindung augenscheinlich dar.
Diese Themen beschäftigen uns deshalb in der Kirche, weil wir Akteure im Bereich von Erziehung und Bildung, im Archivwesen und IT sind. Aber es geht um mehr, es geht auch um gesellschaftliche und sozialethische Anliegen, für die Kirche steht. Wir sind dabei, unsere Position in der Evangelischen Kirche im Rheinland zu bestimmen. Es gibt eine grundsätzliche Präferenz und Sympathie in Bezug auf Open Source, aber es geht auch um Klärung von Detailfragen. In der Synodenvorlage des IT-Lnkungsausschusses für die Landessynode 2015 heißt es:
Open-Source-Lösungen sind zu präferieren [….] Bei Beschaffungsmaßnahmen sind Ziele nachhaltigen und gerechten Wirtschaftens in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.
[…]
Für die Anwenderseite (Betriebssystem und Standardanwendungen) und für die RZ-Infrastruktur (z.B. Mailserver, Datenbanken) soll zukünftig (bis 2020) vorrangig Open-Source-Software eingesetzt werden, sofern nicht im Einzelfall wichtige Gründe dagegen stehen
Die Anforderung der Durchführung einer Eignungsprüfung (Umfang, Funktionalität, Kosten) bleibt auch bei Open-Source bestehen
Das Wissen über den Betrieb und die Nutzung freier Software soll nachhaltig aufgebaut werden und gesamtkirchlich dauerhaft zu Verfügung gestellt werden. […]
Open-Data
Die Evangelische Kirche im Rheinland unterstützt grundsätzlich die Idee, dass öffentliche Informationen frei verfügbar, nutzbar und weiterverwendbar sein sollten.
Zunächst ist jedoch zu prüfen, was die Bewegungen von Open Data, Open Content, Open Access (Zugang zu wissenschaftlicher Forschung) und Open Educational Ressources (freie Bildungsinhalte) für den Umgang mit Daten in der Evangelischen Kirche im Rheinland bedeuten.
Zu OER gibt es einen eigenen Diskussionsprozess unter Beteiligung des Bildungs- und Sozialethischen Ausschusses, dazu hier mehr.
Für eine thelogische Bewertung gilt es, den biblischen und kirchengeschichtlichen Befund wahrzunehmen. Ich bin mir bewusst, das ich im folgenden Gedankensplitter referiere, die noch einer vollständigen Erörterung bedürfen.
- Dtn 6 – das Schma Israel – geht von einer (freie) Weitergabe der Tradition aus und gebietet Unterweisung nachfolgender Generationen.
- Im so genannten Missionsbefehl in Mt 28: 20 geht es um die Weitergabe der Lehre. Selbstredend ist die Weitergabe der Guten Nachricht an keine Einschränkung gebunden. Sondern Aufgabe aller Christinnen und Christen.
- Das Jesus-Wort on Acta 20:35 („… im Gedenken an das Wort des Herrn Jesus, der selbst gesagt hat: Geben ist seliger als nehmen.“) fordert zum Weitergeben und teilen auf.
- Bei Augustinus – in De Doctrina Christiana – heißt es: „Omnis enim res, quae dando non deficit, dum habetur et non datur, nondum habetur, quomodo habenda est.“ („Wenn eine Sache nicht gemindert wird, da man sie mit anderen teilt, ist ihr Besitz unrecht, solange man sie nur allein besitzt und nicht mit anderen teilt.“). Diese Haltung steht ist auch die Begründung für die Entwicklung freier Software, daher ist dieses Augustinus-Zitat auch Leitwort der Free Software Foundation Europe.
- Die Reformationsgeschichte lässt sich als Weitergabe von Open Content verstehen, hätte es das moderne Urheberrecht gegeben, hätten sich Luthers Ideen kaum europaweit so schenll verbreitet.
- Auch Pietismus und Puritanismus scheinen Bewegungen, die wir heute mit Open Data bzw. Open Access bezeichnen, nahezustehen. So sieht es jedenfalls der amerikanische Soziologe Robert King Merton. Bei der Entstehung moderner Naturwissenschaften zeigt sich eine Gemeinwohlorientierung im Wissenschaftsbegriff von Pietismus und Putitanismus, der von der Open Data Bewegung rezipiert wird.
Gerade in Bezug auf Augustinus lässt sich Open Source Software und Open Content als Ausfluss christlicher Nächstenliebe verstehen. Auch wenn es keine ausformulierten Begründungszusammenhäge sind, so legen diese Argumente jedoch eine Affinität des Christentums zu Free Software und Open Content nahe. Diese theologische Standordbestimmung soll natürlich nicht exklusiv verstanden werden, gerade weil die Free Software Bewegung eine breite Basis hat. Aus den verschiedensten Gründen engagieren sich Menschen für freie Software, für Christinnen und Christen lässt sich dieses Engagement auch durch ihren Glauben ableiten – sofern man obiger Argumentation zustimmt.
Prinzipien freier Software scheinen sich in der christlichen und biblischen Tradition zu finden, vor diesem Hintergrund muss die Kirche heute wieder eine positive Bestimmung zu Open Source Software gewinnen. Die Evangelische Kirche im Rheinland befindet sich in einem Diskussionsprozess dazu.
Kritische Anfragen zu Open Source, Open Content und OER beziehen sich auf Qualitätssicherung, die Anfrage, was dies für Erwerbsmodelle (u.a. Freie Mitarbeitende) bedeutet. Müssten nicht gerechterweise Freie Mitarbeitende anders bezahlt werden, wenn ihre Auftragsarbeiten vom Auftraggeben unter eine offene Lizenz gestellt werden und diese daher nicht an Dritte weiter verkauft werden können? Falls es innerhalb der Kirche die Verpflichtung gäbe, dass kirchlichen Mitarbeitenden erarbeitete Inhalte unter offene Lizenzen gestellt würde, wäre es – besonders bei Pfarrerinnen und Lehrern – schwierig, abzugrenzen, welche Inhalte im Dienst und welche in der Freizeit erarbeitet wurde.
Solche kritischen Anfragen dürfen jedoch nicht dazu führen, das Potenzial von Open Source Software und Open Content zu ignorieren.
Diese Ideen habe ich in der FSFE Fellowship Düsseldorf am 24.9.2014 vorgetragen. Eine interessante Anregung erhielt ich in der Diskussion durch die Frage, ob beim reformatorische Prinzip “sola scriptura” der Begriff scriptura nicht auch durch Quellcode übersetzt werden könnte. Die Analogie der Verfügbarmachung der Bibel und ihrer Übersetzung zur Überprüfbarkeit eines Programms anhand des Quellcodes erscheint mir sinnvoll. So wie jeder Claubensinhalte anhand der Heiligen Schrift überprüfen kann, so lässt sich der Inhalt eines Programms anhand seines Codes prüfen.
Ich freue mich auf eine Fortsetzung der Diskussion auf dem Barcamp Kirche RWL.
4 Antworten zu “Ist Open moralischer?”
Schade, dass ich weder Zeit habe, zum Barcamp zu kommen noch heute etwas genauer darüber nachzudenken, aber zwei Gedanken dazu will ich Euch doch kurz mitteilen:
Eine theologische Betrachtung müsste zwingend bestimmen, wie \“open\“ oder \“frei\“ verstanden wird, werden kann, werden muss. Sowohl philosophisch als auch theologisch gibt es keine absolute Freiheit, sondern immer nur Freiheit von etwas bzw. Freiheit zu etwas. Freiheit ist m.E. ein Beziehungsbegriff, der es nötig macht, das Beziehungsgeflecht zu beschreiben.
Theologisch gesehen hat es Paulus präzise auf den Punkt gebracht: \“Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!\“ (Gal. 5,1) – und dies lässt sich nun auch hier in der Analogie durchbuchstabieren: Von was und weg gegenüber ist Open Software frei? Und zu was? Und wo sind die Klippen neuer Knechtschaft?
Zweiter Gedanke: Ich glaube, wir als Christ_innen und Kirche tun gut daran, in all diesen komplexen Fragestellungen auch verstärkt nach der Öko-Bilanz zu fragen. Theoretisch wäre denkbar, dass die Entwicklung, Verbreitung und gemeinschaftliche Wartung von Freier Software einen wesentlich höheren CO2-Ausstoß mit sich bringt als die Entwicklung und Verbreitung kommerzieller Software. Was dann? Klassischer Zielkonflikt, der dadurch noch verschärft wird, dass die Beantwortung dieser Frage ebenso wieder CO2 in die Atmosphäre pustet…
So, jetzt muss ich mich aber (leider) an die Trauansprache und die Predigtf ür die Goldene Konfirmation morgen machen ….
Dass der Christ zur Freiheit berufen ist, kann nicht oft genug gesagt werden.
Freiheit bei Freier Software ist konkret. Der Nutzer hat durch die Lizenz, die bei Freier Software wesentlich ist, verbriefte Rechte.
Die Freiheit, das Programm auszuführen wie man möchte, für jeden Zweck.
Die Freiheit, die Funktionsweise des Programms zu untersuchen und eigenen Bedürfnissen anzupassen.
Die Freiheit, das Programm weiterzuverbreiten und damit seinen Mitmenschen zu helfen.
Die Freiheit, das Programm zu verbessern und diese Verbesserungen der Öffentlichkeit freizugeben, damit die gesamte Gemeinschaft davon profitiert.
Durch die Nutzung Freier Software begebe ich mich aus der Abhängigkeit vom Softwarehersteller und versetze mich in die Lage, beispielsweise meinem Nachbarn zu helfen, indem ich ihm ein Programm installiere, das er benötigt (Freiheit zur Weiterverbreitung).
Insoweit hat die Freiheit bei Freier Software nicht nur eine individuelle, sondern auch eine sozial Dimension. Die gilt sowohl für die Autoren, als auch für die Nutzer Freier Software.
Hat dies auf Mitredner rebloggt und kommentierte:
Ralf Peter Reimann sucht nach einer theologischen Begründung dafür, dass Open Source die der Kirche gemäße Haltung gegenüber Copyright und Software ist. Ich habe mit meinen Thesen zu Kirche und Computer ein ähnliches Ziel verfolgt, allerdings nicht so explizit wie Ralf Peter Reimann. Vllt entwickelt sich daraus eine fruchtbare Diskussion.
Ich lese den Artikel so, daß es gute Gründe für Christen gibt, bei Open Source, Open Data, Open Access etc mitzumachen. Das ist die Geben-Seite. Hier mitzutun und sich einzubringen ist sowohl für Christen individuell als auch für Kirchen sicher eine gute Sache die ethisch durchaus gerechtfertigt werden kann.
Was ich aber nicht sehe ist, daß es ethische Gründe dafür gibt, auf der Nehmen-Seite mitzumachen. Jedenfalls keine Gründe, die nicht mit den informationstechnischen Grundlagen zu tun haben (was Open Source angeht, bei Open Data kann man sagen, daß es natürlich Quatsch wäre, wenn man Daten, die frei zugänglich sind, nicht nutzt, sondern sich immer nur auf kommerziell erhobene Daten stützen wollte)…
Ich nutze freie Software umfangreich (ironischerweise schreibe ich diese Zeilen auf nem Windows-Computer), aber eben nicht aus christlich-ethischen Erwägungen, sondern weil ich damit besser zurecht komme und sie kostenlos ist. Für die Kirchen spielt sicherlich die Sicherheit der Daten, die nicht per Open Data zugänglich gemacht werden sollen, eine besondere Rolle. Das wäre allerdings auch wieder ein technischer Grund…