📚 Rezension: „Digitale Seelsorge. Impulse für die Praxis“ von Achim Blackstein

Manchmal ist der Untertitel entscheidend: Das Buch „Digitale Seelsorge. Impulse für die Praxis“ hält, was es verspricht: Es gibt Online-Seelsorger*innen Orientierung und Anregung für die Praxis. Für bereits in der Seelsorge Aktive gibt es die Möglichkeit, die eigene Praxis zu reflektieren; für Anfänger*innen ist eine gute Einführung. Daher ist es gewinnbringend für alle, die in der digitalen Seelsorge tätig sind oder tätig werden wollen.

Digitale Seelsorge in der Gemeinde

Über die in der Seelsorge Tätigen hinaus sollten es aber auch Personen lesen, die Leitungsverantwortung in der Kirche und in Gemeinden tragen. So führt Blackstein überzeugend aus, dass digitale Seelsorge auch in Kirchengemeinden verankert sein kann. Nicht nur face-to-face-Seelsorge sollte in der Kirchengemeinde stattfinden, sondern auch digitale Seelsorge ist Aufgabe der Gemeinde. Dafür müssen sich aber Gemeinden entsprechend positionieren. Sie müssen ihren Seelsorger*innen – zumeist Pfarrer*innen – die entsprechenden Tools und Freiräume anbieten und auch in ihrer digitalen Gemeindepräsenz die Seelsorgeangebote integrieren. Gerade in der Post-Corona-Gemeinearbeit ist dies eine Herausforderung für eine Kirche, die gelernt hat, Menschen auch digital zu anzusprechen. Bisher wird digitale Seelsorge im kirchlichen Kontext nämlich zumeist funktional gedacht, sie wird bei Beratungsstellen oder Online-Plattformen angesiedelt, die von kirchlichen Stellen oder Landeskirchen angeboten werden. Hier gibt Blackstein in seinem Buch Impulse, dass auch Gemeinden vor Ort digital sein können und müssen, um für Menschen seelsorglich erreichbar zu sein.

Grundlagen und Besonderheiten Digitaler Seelsorge

Das Buch beginnt mit einem Plädoyer für digitale Seelsorge. Allerdings lässt sich Offline-Seelsorge nicht eins zu eins in den Online-Raum transportieren, sondern folgt eigenen Regelmäßigkeiten. Daher ist Digitalkompetenz für Seelsorgende unerlässlich. Auch in digitaler Seelsorge kommt es auf die Haltung an: Es gilt, sich den Menschen zuzuwenden. Allerdings wird Seelsorge in digitalen Medien etwas anders akzentuiert. Als Beispiel sei Verschwiegenheit genannt, die im Internet anders zu verstehen ist (nämlich als Datenschutz) als in einer auf face-to-face-Gesprächen basierenden Seelsorge..

Das Internet als Lebensraum

Dabei bietet das Internet andere Lebensräume als die Offline-Welt, es ermutigt zur Teilhabe und eröffnet neue Möglichkeiten. Online gibt es flache Hierarchien, Menschen können verschiedene Kontaktformen nutzen und es gibt unterschiedliche Möglichkeiten der Kontaktaufnahme. Auch Nähe und Distanz sind anders zu verstehen. Natürlich ist der digitale Raum nicht barrierefrei, jeder muss zumindest Internetzugang und ein Endgerät haben. Andererseits sind die Schwellen digitaler Präsenz im Internet niedriger. Es ist möglich, ortsunabhängig miteinander Kontakt aufzunehmen, auch Zeitbudgets können anders wahrgenommen werden, ebenso ist Anonymität möglich. Von daher eröffnen sich neue Chancen der Seelsorge. Digitale Seelsorge kann damit Menschen erreichen, die kirchliche Face-to-Face-Seelsorge-Angebote nicht wahrnehmen würden.

Kommunikationsformen in der digitalen Seelsorge

Bei digitaler Seelsorge ist zwischen den verschiedenen Kontakt- und Kommunikationsformen zu unterscheiden. E-Mail funktioniert anders als Chat oder Videokonferenz oder andere digitale Plattformen.

Gerade bei Chat und E-Mail erlebt die Schriftlichkeit eine neue Chance. Man kann sich Probleme von der Seele schreiben. Synchrone (Chat) oder asynchrone (E-Mail) Kommunikation ist möglich und kann somit je nach Bedürfnis der Ratsuchenden eingesetzt werden.

Praxisbeispiele und Anwendung

Das Buch von Blackstein ist reich an praktischen Beispielen, die es den Leser*innen ermöglichen, ihre eigene Erfahrung in der digitalen Seelsorge zu reflektieren und sich selbst besser einzuordnen. Diese Beispiele sind auch wertvoll für Anfänger*innen, da sie eine konkrete Vorstellung davon vermitteln, wie digitale Seelsorge in der Praxis umgesetzt werden kann. Besonders interessant sind die Ausführungen, die sich mit Details digitaler Seelsorge beschäftigen. Exemplarisch sei hier genannt, wie in der Online-Kommunikation, speziell im Chat, Abschied genommen wird. Blackstein geht detailliert auch auf die Gestaltung von Videokonferenzen ein, einschließlich der Auswahl von Hintergrundelementen wie Fotos oder Bücher, die sorgfältig ausgewählt werden sollten. Er beleuchtet auch, wie die Positionierung der Kamera und die Darstellung der eigenen Person in Videokonferenzen zur Gesamtwirkung der seelsorgerischen Interaktion beitragen können.

Grenzen und Chancen digitaler Seelsorge

In Blacksteins Buch werden Chancen und Grenzen digitale Seelsorge detailliert geschildert. Zu den Vorteilen zählt die Möglichkeit der ortsunabhängigen Kontaktaufnahme, die eine große Flexibilität und Zugänglichkeit für die Seelsorge bietet. Ein weiterer positiver Aspekt ist die Möglichkeit, sich schrittweise zu öffnen vor allem in der Kommunikation via E-Mail und Chat. Hier können die Nutzer*innen selbst entscheiden, wie viel sie von sich preisgeben möchten, was ein gewisses Maß an Anonymität und Sicherheit bietet.

Auf der anderen Seite bestehen auch Grenzen, z.B. im Kontext von Videokonferenzen. Hier besteht beispielsweise die Schwierigkeit, verlässlich Augenkontakt herzustellen, der für eine empathische Kommunikation wichtig ist. Hinzu kommt, dass einige Menschen vor der Kamera unsicher sind, was die Qualität der Kommunikation beeinträchtigen kann. Im Vergleich zu E-Mail oder Chat, wo Anonymität leichter zu wahren ist, kann diese bei Videokonferenzen durch den visuellen Aspekt eingeschränkt sein. Dies kann sich darauf auswirken, wie offen sich die kommunizierenden Personen zeigen.

Auch die eigene Person der oder des Seelsorgenden nimmt Blackstein in den Blick. Auch als Seelsorger*in hat man Grenzen, die es zu akzeptieren gilt, beispielsweise kann man durch Pausen und Bewegung Erschöpfungen vorbeugen.

Ein eigenes Thema ist auch die Art und Weise, wie man online Gespräche beenden kann; dafür gibt es eigene Formen der Verabschiedung, die man bedenken und kennen muss. Online ist Kommunikation anders als in der realen Welt.

Ein eigenes Kapitel widmet Blackstein der Suizidalität von Klient*innen. Diese stellt sich in der Online-Seelsorge anders als im Face-to-Face-Gespräch dar, denn der Aufenthaltsort des Klienten bzw. der Klientin ist in der Regel unbekannt, so dass Interventionsmöglichkeiten in der Regel ausscheiden.

Datenschutz in der digitalen Seelsorge

Datenschutz ist ein wichtiges Thema. Hier spricht Blackstein das Dilemma vieler Seelsorgenden an: Einerseits gibt es Kommunikationsplattformen, die nicht dem kirchlichen Datenschutzrecht unterliegen, andererseits sind dort gerade Menschen, die Seelsorge benötigen. Aus diesem Dilemma kommen Anbieter von Seelsorge nicht heraus.

Social-Media-Seelsorge

In seinem Buch widmet Blackstein auch der Social-Media-Seelsorge besondere Aufmerksamkeit. Er erklärt, dass die Seelsorge in sozialen Medien nach eigenen Regeln funktioniert, insbesondere wenn sie durch Influencer*innen vermittelt wird. Diese bieten eine Plattform für seelsorgerische Kontakte und ermöglichen so die Entstehung neuer Formate der spirituellen Begleitung. Ein konkretes Beispiel dafür kann ein Andachtsimpuls sein, der als Sharepic auf Social-Media-Plattformen geteilt wird. Solche visuellen Impulse können eine seelsorgerliche Wirkung entfalten, indem sie Menschen spirituell ansprechen und zum Nachdenken anregen.

Künstliche Intelligenz

Abschließend spricht Blackstein Künstliche Intelligenz (KI) an. Hier sieht Blackstein einige Chancen für die Zukunft. Z.B. kann KI immer besser mit Menschen interagieren. Im Buch bietet er einige Beispiele von Dialogen mit Chatbots.

In fast allen Punkten geht der Verfasser dieser Rezension mit Blackstein d’accord, allerdings sieht er KI in der Seelsorge weniger optimistisch. Denn Seelsorge ist auch ein interpersonales Geschehen, wo Verantwortung für das Gegenüber übernommen wird. Dies allerdings wird eine Maschine nicht können, auch wenn sie noch so gut menschliche Konversationen imitieren kann.

Fazit

Das Buch „Digitale Seelsorge“ stellt eine unentbehrliche Quelle für Personen dar, die in der digitalen Seelsorge aktiv sind oder eine solche Tätigkeit anstreben. Es verknüpft aktuelle Erkenntnisse mit umsetzbaren praktischen Anweisungen, wodurch es sowohl für erfahrene Praktiker*innen als auch für Neulinge im Bereich der digitalen Seelsorge wertvoll ist. Die Leser*innen erhalten nicht nur Einblicke in die grundlegenden Konzepte und Herausforderungen der digitalen Seelsorge, sondern auch konkrete Handlungsanweisungen und Methoden, die zur Reflexion und Weiterentwicklung der eigenen seelsorglichen Praxis anregen.

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