Nachdem X – vormals Twitter – schon lange in der Kritik steht und letzte Woche mehr als 60 deutsche Hochschulen und Forschungsinstitutionen ihren Abschied von der Social-Media-Plattform X angekündigt haben, richten sich nun auch die Blicke auf Meta. Mark Zuckerberg hat kürzlich angekündigt, die Faktenüberprüfung zugunsten von „Community Notes“ einzustellen. Dies gilt zwar zunächst nur für die USA, doch in seiner Videobotschaft äußerte Zuckerberg die Hoffnung, dass die neue US-Administration weltweit – ausdrücklich auch in der EU – gegen Regulierungsmaßnahmen für amerikanische Social-Media- und Tech-Unternehmen vorgeht.
Auch wenn Facebook sich von X unterscheidet, ähnelt Zuckerbergs neue Ausrichtung dem Vorgehen von Elon Musk bei X/Twitter und der Neuausrichtung dieses Netzwerkes.
Daher sollte man grundsätzlich hinterfragen, warum man als Institution überhaupt in einem sozialen Netzwerk präsent ist. Von X wegzugehen und stattdessen auf eine andere Meta-Plattform wie WhatsApp zu setzen, wie es das Bundesverteidigungsministerium tut, halte ich nicht für gut durchdacht.
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Ich freue mich daher auf eine Online-Diskussion zum Thema „X and Meta: Do I stay or do I go?”, die von WACC Europe organisiert wird. Dabei wird auch beleuchtet, was ein Verbleib oder ein Verlassen der Plattformen im Hinblick auf Kommunikationsgerechtigkeit bedeutet. Soll man eine Plattform verlassen, weil sie toxisch ist? Oder bleiben, um die Gute Nachricht gerade in einer solchen Umgebung zu verkünden?
Diese Fragen betreffen nicht nur Kirche, sondern auch Parteien und andere gesellschaftliche Gruppen. Ricarda Lang macht dies in einem Tweet deutlich:
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine Vorlage für Kirchenleitung in 2013, in der wir theologisch argumentiert haben, dass wir auch auf Plattformen präsent sein müssen, die nicht unseren ethischen Maßstäben entsprechen. Damals lag der Fokus eher auf Datenschutz, doch die Argumentation gilt auch für die heutige Diskussion.
Wir sind nur Gäste auf Netzwerken
Die Aufgabe der Kirche – gemäß der 3. These der Barmer Theologischen Erklärung – ist es, Zeugnis zu geben „mitten in der Welt der Sünde“. Daher darf und muss die Kirche auch auf Plattformen präsent sein, deren ethische Maßstäbe sie nicht teilt. Gleichzeitig haben wir bei der Erarbeitung der Social-Media-Guidelines darauf geachtet, niemanden in bestimmte Netzwerke zu drängen, sondern alle wesentlichen Inhalte frei und öffentlich zugänglich zu halten. Kirche ist also in sozialen Netzwerken erreichbar für die Menschen, die sich dort bewegen. Sie zieht jedoch niemanden aktiv in diese Netzwerke. Dies halte ich persönlich für einen gangbaren Weg.
Wie hoch das Engagement ist und welche Ressourcen man dafür einsetzt, sind Abwägungsfragen. Vor zehn Jahren habe ich gebloggt: „Facebook: Es ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung“. An den Grundzügen dieser Argumentation halte ich auch heute noch fest.
Während ich überlege, ob man Facebook oder X verlassen sollte, wurde in den USA TikTok abgeschaltet. Wie lange diese Abschaltung andauert oder ob TikTok in den USA wieder online gehen wird, ist derzeit unklar.
Für jede kirchliche Social-Media-Strategie ist es daher wichtig, sich bewusst zu machen, dass wir auf allen kommerziellen Netzwerken nur Gäste sind. Netzwerke können jederzeit wegbrechen oder ein Verlassen der Plattform kann notwendig werden. Deshalb ist es wichtig, auch auf eigenen Websites oder dezentralen Plattformen wie dem Fediverse präsent zu sein.
Anbei mein Bericht auf Deutsch von der Veranstaltung, die ich für die WACC-Website in Englisch geschrieben habe.
WACC-Europe-Webinar macht unterschiedliche Ansichten zum Engagement in sozialen Medien deutlich
Sollten Kirchen und NGOs auf Social-Media-Plattformen aktiv bleiben oder sie aufgrund ethischer und rechtlicher Bedenken ganz verlassen? Sollte die Zivilgesellschaft mehr tun, um soziale Netzwerke zur Verantwortung zu ziehen?
Drei prominente Stimmen boten während des WACC-Europe-Webinars „X und Meta: Should I stay or should I go?“ am 21. Januar unterschiedliche Perspektiven zur Rolle der sozialen Medien für die Zivilgesellschaft, Kirchen und NGOs.
Zivilgesellschaft muss Verantwortung übernehmen
Philip Lee, Generalsekretär von WACC Global, forderte die Zivilgesellschaft auf, eine proaktivere Rolle im Umgang mit sozialen Netzwerke zu übernehmen und diese an ihre Verantwortung zu erinnern.
Soziale Netzwerke stellen laut Lee erhebliche Herausforderungen für Demokratie und Verantwortlichkeit dar. Er betonte den globalen Einfluss von Unternehmen wie Meta und X und verwies auf ihre Rolle bei der Verbreitung von Meinungen und Inhalten in beispielloser Geschwindigkeit. Trotz der Chancen, die soziale Netzwerke bieten, kritisierte Lee ihre wachsende Verantwortungslosigkeit, insbesondere die reduzierte Verpflichtung zur Faktenprüfung und ihre Forderung nach Deregulierung.
Er hob hervor, dass soziale Netzwerke zunehmend auf automatisierte Systeme angewiesen sind, um schwerwiegende Verstöße zu bearbeiten, während sie bei weniger kritischen Problemen auf Hinweise von Nutzer*innen setzen. Diese Abhängigkeit erschwere es erheblich, Plattformen zur Rechenschaft zu ziehen. Zudem betonte er den Mangel an Transparenz bei der Inhaltsmoderation, den algorithmischen Entscheidungen und den Praktiken zur Datenerhebung.
Um diese Herausforderungen anzugehen, forderte Lee die Zivilgesellschaft auf, Medienkompetenz zu fördern, den öffentlichen Journalismus zu unterstützen und Initiativen zu Counter-Speech zu stärken. Diese Maßnahmen seien entscheidend, um eine informierte Öffentlichkeit zu schaffen und spaltende Narrative in digitalen Räumen zu hinterfragen.
Bleiben und strategisch engagieren
Christian Sterzik, Chief Digital Officer der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), plädierte dafür, auf Plattformen wie X und Meta präsent zu bleiben – jedoch im Rahmen einer klaren und durchdachten digitalen Strategie.
Sterzik bot eine differenzierte Sicht auf die Nutzung sozialer Medien durch Kirchen und christliche Organisationen. Er räumte ein, dass soziale Netzwerke komplexe Grauzonen darstellen, in denen nützliche und schädliche Inhalte nebeneinander existieren. Anhand des biblischen Gleichnisses vom Unkraut und Weizen veranschaulichte er die Notwendigkeit, Risiken und Chancen sorgfältig abzuwägen.
Eine strategische Herangehensweise an die soziale Medienpräsenz sei entscheidend, so Sterzik. Er forderte Organisationen auf, ihre Aktivitäten über mehrere Plattformen hinweg zu diversifizieren und nicht ausschließlich auf eine einzige zu setzen. „Don’t put all your eggs in one basket“ sei hier ein passendes Motto. Indem sie verschiedene Netzwerke nutzen, könnten Organisationen ein breiteres Publikum erreichen und gleichzeitig die Risiken minimieren, die mit plötzlichen Änderungen der Plattformrichtlinien oder Algorithmen verbunden sind.
Trotz der Herausforderungen betonte Sterzik, dass Plattformen wie X und Meta weiterhin wertvolle Werkzeuge zur Förderung positiver Botschaften und zur gesellschaftlichen Teilhabe sein können. Solange diese Plattformen innerhalb rechtlicher Rahmenbedingungen operieren, hätten Kirchen die Verantwortung, diese Räume für das Gemeinwohl zu nutzen.
X verlassen, um ethische Standards zu wahren
Markus Eisele, Diakoniepfarrer und Theologischer Geschäftsführer des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt und Offenbach, vertrat eine andere Ansicht und forderte Kirchen und christliche Institutionen auf, X vollständig zu verlassen, da die Plattform zunehmend toxisch und schädlich werde.
Eisele berichtete, dass seine Organisation diesen Schritt bereits vollzogen habe, da Hassrede, Trolling und Desinformation auf der Plattform zugenommen hätten. Er kritisierte auch Xs Umstellung auf kostenpflichtige Funktionen, die seiner Meinung nach finanziell gut ausgestattete Akteure bevorzugen und die Sichtbarkeit von NGOs und ähnlichen Organisationen beeinträchtigen.
Eisele verglich die Situation mit einem Fußballspiel, bei dem der Schiedsrichter nicht nur Fouls toleriert, sondern sie aktiv fördert. In einem solchen Fall sei es die einzig vernünftige Entscheidung, das Spielfeld ganz zu verlassen.
Er äußerte auch Bedenken hinsichtlich der nachlassenden Sicherheitsmaßnahmen auf X, die die Plattform besonders für gefährdete Gruppen unsicherer gemacht hätten. Eisele schilderte, wie seine Kollegen, die mit marginalisierten Gemeinschaften arbeiten, die schädlichen Auswirkungen von Online-Hass und entmenschlichender Sprache aus erster Hand miterlebt hätten.
Darüber hinaus betonte er, dass die anhaltende Präsenz von NGOs und sozialen Bewegungen auf Plattformen wie X zu einem negativen öffentlichen Image führen könne, das das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit dieser Organisationen gefährde.
Statt Ressourcen in toxische Plattformen zu investieren, rief Eisele dazu auf, das Engagement auf sichere Räume zu verlagern, in denen sinnvolle Interaktionen möglich sind.