Eine Dialogpredigt zum Thema „Fake News“ und „Faith News“, die Predigthörerinnen und –hörer werden eingeladen, die Predigt abzuschließen, indem sie ihre Glaubensgeschichten mitteilen über Twitter, Facebook, Instagram oder Karteikarten. Diese Geschichten laufen auf eine Leinwand in der Kirche und im Videostream ein. Am Ende schließen alle die Predigt mit Amen ab, in der Kirche sprechen es die Gemeindeglieder, wer online am Gottesdienst teilnimmt, twittert es.
Die Predigt wurde zwar von den beiden Pfarrern vorbereitet, aber von der Gemeinde fortgeschrieben, Twittergottesdienste leben von der Beteiligung.
Twittergottesdienst – was ist das? Ein festes Format gibt es dafür noch nicht, Twittergottesdienste sind bis jetzt immer noch etwas Experimentelles. Twitter ist dabei kein Selbstzweck, sondern ein Interaktionsmedium, das die Beteiligung im Gottesdienst unterstützen soll. Über Social Media werden Menschen eingebunden, die sich sonst nicht aktiv ins Gottesdienstgeschehen einbringen würden.
Im folgenden eine Nachlese zum Twittergottesdienst am 26.5. auf dem Kirchentag auf dem Weg in der Magdeburger Wallonerkirche mit Live-Übertragung in BibelTV.
Twittergottesdienst
Interaktiv vorbereitet und gestaltet, live auf Bibel TV übertragen und ins Internet gestreamt
Alle sind herzlich eingeladen, internetfähige Handys und Tablets mitzubringen. Vor Ort kann man aber auch ohne Smartphone aktiv mitwirken. Unter #Twigo können sich alle über Twitter beteiligen. Auch wer nur zuschauen will, ist herzlich willkommen.
Interaktiver Gottesdienst über Social Media und Videostream
Auch wenn der Gottesdienst in den Medien als „Twittergottesdienst“ angekündigt ist, werden natürlich auch weitere Social-Media-Kanäle eingebunden. Außerdem wird der Gottesdienst im Internet gestreamt und ist über BibelTV auch über Satellit und Kabel empfangbar.
Damit auch Menschen ohne Zugang zu Social Media mitmachen können, gibt es für die Gottesdienstbesucherinnnen und -besucher in Magsburg Karteikarten, außerdem gibt es ein Webformular, um sich zu beteiligen.
Beteiligung ereignet sich auch im Vorfeld. Während bei den Twittergottesdiensten in Aachen und in Essen die Vorbereitung über ein Etherpad lief, wurde für den Magdeburger Gottesdienst ein Workshop am Vortag angeboten.
Solch eine interaktive Vorbereitung bedeutet einerseits eine Offenheit in der Planung, andererseits muss auch durch Verantwortliche sichergestellt sein, dass der Gottesdienst stattfinden kann, wenn sich nur wenige bei der Vorbereitung beteiligen.
Außerdem: Der Gottesdienst in Magdeburg ist auch als Fernsehgottesdienst geplant, d.h. er muss in ein Zeitraster von genau 60 Minuten passen. Während „klassische“ Fernsehgottesdienst minutengenau durchgeplant und auch geprobt sind, ist dies beim Twittergottesdienst nicht möglich, vorab zu wissen, wie lange Twitterinteraktionen dauern werden, hier ist deshalb Flexibilität gefragt, damit der Gottesdienst innerhalb der zeitlichen Vorgaben bleibt.
Social Media Wall als zentrale Interaktionsbühne
Für alle Gottesdienstbesucherinnen und –besucher in der Kirche sind die Twitterinteraktion über eine Social-Media-Wall sichtbar, die an eine Leinwand projiziert wird. Diese Wall wird gleichzeitig auch (in anderer Auflösung) auf das TV-Bild bzw. den Stream gelegt, so dass auch die Zuschauerinnen und Zuschauer im TV bzw. am Computerbildschirm die Tweets sehen können.
Der Gottesdienst erhält seine Lebendigkeit dadurch, dass alle sich beteiligen können, und die Beteiligung sichtbar ist, auf der projizierten Wall in der Kirche und im Web bzw. im Stream. Beteiligung erlebbar machen gelingt nur, wenn weder zu viel noch zu wenig Interaktion stattfindet. Kämen längere Zeit keine Tweets auf die Wall, würde das Geschehen stocken, gingen zu viel Tweets ein, würden sie nur noch über den Bildschirm laufen, ohne dass sie gelesen werden könnten, bzw. man müsste eine Auswahl treffen, so dass nicht mehr alle Interaktion angezeigt würden.
Dynamik, Frequenz und Interaktion
Natürlich wird bereits im Vorfeld des Gottesdienstes über Social Media auf den Twittergottesdienst hingewiesen und zum Mitmachen eingeladen. Zu dieser Zeit wurden eingehende Tweets direkt auf der Wall ausgespielt, während des Gottesdienstes wird die Wal l moderiert, außerdem werden Retweets nicht angezeigt.
Auch wenn neben Twitter die Wall Posts vom Facebook Messenger, der Facebook Page Twittergottesdienst, Instagram, Google Plus und YouTube aufnimmt, erfolgen nur Interaktionen über Twitter, Facebook und Instagram. Unter @twigoMD wird vom Team aus dem Gottesdienst heraus gepostet, über die Page werden auch die im Gottesdienst eingesammelten und abgetippten Karteikarten ausgegeben.
Insgesamt gehen im Laufe des einstündigen Gottesdienstes 512 Interaktionen ein, von denen werden 44% als Spam, off-topic oder Retweet nicht freigeschaltet. Da #twigo auf Twitter „trending topic“ war, nutzen auch Trolle oder Spammer diesen Hashtag, um zusätzliche Reichweite für ihre Posts zu erzielen.
Während des Gottesdienstes wurden 286 Tweets auf die Wall ausgespielt , das entspricht durchschnittlich rund 4, 75 Tweets pro Minute, es ging aber zweitweise bis zu 10 Tweets pro Minute hoch, wenn um Rückmeldungen aus der Gemeinde gebeten wurde.
Im Rückblick erweist sich diese Frequenz als günstig. Bei Phasen der Interaktion ist Bewegung uf der Wall, dennoch sind die einzelnen Tweets noch wahrnehmbar. In ruhigeren Phasen gehen etwas weniger Tweets ein, so dass die Wall sich zwar noch bewegt, jedoch ohne Hektik.
Insgesamt twittern 109 Personen zum Hashtag #twigo während des Zeitraumes des Gottesdienstes, die Hälfte davon wird jedoch nicht freigeschaltet, so dass sich insgesamt 54 Personen sichtbar über die Wall an den Social-Media-Aktionen des Gottesdienstes beteiligen. Darin sind auch die zwei Konten enthalten, über die aus dem Gottesdienst getwittert wird bzw. worüber die Inhalt der Karteikarten abgetippt werden.
Dabei ergibt sich – soweit Geodaten freigeschaltet wurden – folgende geografische Verteilung: aus Magdeburg 13 Personen, Hamburg vier, je eine Person aus Berlin, Bielefeld, Bonn, Düsseldorf, Erkrath, Erzgebirge, Freiburg, Lutherstadt Wittenberg, Schönebeck (Elbe), Wesel.
Trending Topic zieht Trolle an
Während des Gottesdientes wurde der Hashtag #twigo ein „trending topic„.
Die Verbreitung des Hashtags zieht Trolle an, wie Tweets in Fäkalsprache mit dem Hashtg #twigo zeigen, andere Tweets sind ein Christen-Bashing. Aber auch islamische Twitterer beteiligen sich, die sich gegen in ihren Augen Ungläubige wenden:
Vorbereitung
Ein Workshop zur Vorbereitung des Twittergottesdienstes steht im Kirchentagsprogramm:
Do 14.30–18.00
Zentrum Web und Spiritualität | Mitmachangebot
Wie wird ein Twittergottesdienst gemacht?
Öffentliche Vorbereitungen und Probe
Kirchentagsteilnehmende sind herzlich eingeladen, bei den Proben dabei zu sein oder spontan eine Aufgabe für den Twittergottesdienst zu übernehmen.
Außer einer Pressevertreterin erscheint niemand zum Workshop. Mangelndes Interesse ist typisch für die Kichentage auf dem Weg. Glücklicherweise kommt während des Nachmittages ein Jugendleiter, der zwei Konfirmandinnen herbeiholt, die dann ihre ganze Gruppe herbeirufen. Die Konfis lassen sich gerne darauf ein, verschiedene Aufgaben zu übernehmen:
- Die Leinwand in der Kirche steuern
- Kateikarten verteilen, einsammeln, und als Tweet online stellen
- Interaktionen (Gebete) aus Social Media Posts sammeln und im Gottesdienst vortragen
Zusätzlich finden sich noch drei weitere Personen zur Mitarbeit, eine zur Unterstüzung der Konfis und zwei zum Live-Twittern aus dem Gottesdienst bzw. zum Antworten auf Tweets, Liken und Retweeten. Die inhaltliche Vorbereitung verbleibt bei den beiden Liturgen.
Team und Technik
Für das Video-Streaming haben wir drei Personen für Video-Redaktion und Kamera, außerdem ein Tontechnikers des Veranstalters, der die Raumbeschallung macht. Für das Freischalten der Posts auf der Social Media Person steht ein Administrator bereit.
Dazu drei Personen in der Jazz-Band und zwei Liturgen.
Für die Übertragung des Streams in HD-Qualität sind mindestens 6MBit Upstream notwendig, eine Bandbreitenmessung vorher ergab, dass diese Bandbreite gewährleistet ist. Der Sender stellt einen Techniker, der die Internetverbindung überwacht. Der Videostream wird über eine dedizierte DSL-Leitung an den Sender weitergereicht wird.
Für die Mitwirkenden gibt es ein eigenes WLAN-Netz, für die Besucherinnen und Besucher des Gottesdienstes leider kein Gästenetzwerk.
Verschiedenes
Beim Gottesdienst ist dann zum Glück die Kirche voll, es werden noch zusätzliche Stühle reingestellt.
Beim Twittergottesdienst werden neue mediale Formate erprobt, Altes und Neues kommen zusammen. Die Wallonerkirche wurde im 14 Jahrhundert fertiggestellt und steht für die Tradition, als Zeichen der Moderne haben wir statt einer gedruckten Altarbibel die Bibel-App auf einem iPad genommen.
Auf Gemeindegesang haben wir bewusst verzichtet und stattdessen Jazz-Musik verwendet, während die Band spielt, gibt es Zeit für Besinnung bzw. Interaktion auf Twitter.
Der Ablauf folgt dem eines klassischen Gottesdienstes, allerdings sind Freiräume für Interaktionen eingeplant.
(Natürlich beginnt der Gottesdienst „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“, jedoch ist dieses Eingangsvotum leider im Youtube-Video abgeschnitten.)
Vieles ist Improvisation, anderes bewusst entschieden, manches auch zufällig. Unter der Leinwand bleibt eine Durchgangstür zum dahinterliegenden Chorraum offen. Nach dem Gottesdienst bittet eine Theologin um eine Erklärung, da sich ihr die Symbolik der offenen Tür nicht erschlossen habe. Die Antwort: kein tieferer Sinn, sondern nur ein Versehen.
Dank an Mittwirkende (soweit sie eine Twitter-Handle haben): @mckiss7777, @ChBreit, @BibelTV, @hellablum, @Ineshansla,
Pressestimmen:
2 Antworten zu “Gottesdienst: und alle twittern „Amen“”
Also 15 Mitarbeiter für ca. 55 aktive Teilnehmer sowie jede Menge Technik? Hm.
An unserem Ende der Welt, in der Diasporagemeinde, haben wir nur einen Prediger, reden aber auch so miteinander. Und 2 Liturgen sind der ganz große Luxus für Festgottesdienste.
Es kommt immer darauf an, wie man rechnet.
15 Mitarbeitende: Ich fand es sehr schön, dass die Konfis engagiert dabei waren, deren Beteiligung als \“Mitarbeit\“ zu würdigen, kann ich nicht als Kritik verstehen.
55 aktive Teilnehmerinnen — das sind vermutlich die, die aktiv getwittert haben, Gebetsrufe gesprochen haben oder sich über Social Media oder Karteikarten geäußert haben. Wer beteiligt sich in \“normelen\“ Gemeindegottesdiensten mit selbstverfassten Wortbeiträgen?
Es lässt sich schwer schätzen, wieviele Personen ohne \“aktive\“ Betetligung teilgenommen haben. Allein im TV dürften das Personen im sechsstelligen Bereich gewesen sein. Auf Twitter wurde der Begriff in 357.000 Timelines ausgespielt.
Solch ein Twitter-Gottesdienst ist ein Experiment, dafür sind Kirchentage auch da. Natürlich muss man sich fragen, ob sich der Aufwand lohnt und ob er vertretbar bleibt.
Allerdings: was sind die Vergleichspunkte? Gemeindegottesdienste? Fernsehgottesdienste? Oder der Grad an aktiver Beteiligung?
Ich bin jedenfalls sehr froh, dass wir Experimentierräume haben, um auszuprobieren, wie Spiritualität im Netz gelebt werden kann.
Noch ist es etwas Besonderes, bei Pilotprojekten sind die Aufwände noch höher als im Regelbetrieb.
Ich wäre froh, wenn Social Media im Gemeindeleben angekommen wäre – und dann müsste man natürlich nachdenken, welcher Aufwand im Rahmen der Gemeindearbeit sinnvoll ist.