Online-Abendmahl ist nichts Besonderes mehr

Vor der Covid-Pandemie war Online-Abendmahl ein Randthema, über das allenfalls innerhalb der kirchlichen Netzcommunity diskutiert wurde, sonst aber kein Interesse fand.1 Dabei lautete die Fragestellung eher, ob Online-Communities „richtige“ Gemeinden seien und in ihnen deshalb auch Sakramentsfeiern und damit das Abendmahl möglich sein müssten.

Im September 20122 feierte ein Prädikant aus Hessen-Nassau erstmals im landeskirchlichen Kontext ein Online-Abendmahl, über das im Vorfeld und im Nachgang auf evangelisch.de diskutiert wurde. In heutiger Terminologie würde man diesen Abendmahlsgottesdienst als „hybrid“ bezeichnen, neben der Gemeinde vor Ort wurden die Online-Gottesdienstbesucher:innen über eine Webinarsoftware ins Gottesdienstgeschehen einbezogen. Nachahmung fand dieses Gottesdienstexperiment nicht, das Interesse am Thema flaute wieder ab.

Trotzdem wurde weiter digitales Abendmahl gefeiert, und zwar im TV. In protestantischen Fernsehgottesdiensten in der Schweiz3 wurde die Fernsehgemeinde eingeladen, Brot und Wein bzw. Traubensaft sich bereitzustellen und während des Abendmahls einzunehmen. Auch BibelTV4 bot Abendmahlsgottesdienste zum Mitfeiern an, bei denen die Zuschauer:innen eingeladen waren, die Elemente zu sich zu nehmen. Der zuständige Oberkirchenrat der württembergischen Landeskirche untersagte diese Gottesdienste nicht.5

Aufgrund dieser Praxis ist es doch etwas verwunderlich, dass das Kirchenamt der EKD vor den Ostertagen im ersten Corona-Jahr von digitalen Abendmahlsfeiern zunächst in einer anfangs nicht öffentlich zugänglichen Empfehlung abriet, nach Kritik aber eine differenziertere Stellungnahme veröffentlichte, in der aber weiterer Klärungsbedarf angemahnt wurde.6

Was war passiert? Aus einem Randphänomen, das Spartensender oder Online-Communities betraf, war die Frage nach einem Online-Abendmahl in die Mitte des Gemeindelebens gerückt. Gemeinden mussten sich positionieren und ihr Selbstverständnis klären. Da Ostern 2020 Präsenzgottesdienste nicht stattfanden, mussten Gemeinden entscheiden, wie sie in der Karwoche und zu Ostern ihre Gottesdienste liturgisch gestalten wollten. Sollten sie digitale Abendmahlsfeiern anbieten? Die bisher verschobene theologische Diskussion wurde in einem Schnelldurchgang nachgeholt.

In einer Gottesdienstgemeinde feiert man Abendmahl

Die Abendmahlsfeier geschieht in einer Gottesdienstgemeinde. Wer ist die versammelte Gemeinde? Wenn sich Menschen online – oder auch hybrid (also online und vor Ort) – versammeln und sich als Gemeinde verstehen und erleben, kann man ihnen dann theologisch absprechen, auch Gemeinde zu sein? Gibt es eine kirchenamtliche Prüfung, wer theologisch Gemeinde ist oder ist das Selbstverständnis derjenigen entscheidend, die sich als Gemeinde sehen?

Wenn man schon im Bezug auf das TV – hier wird von einer Stelle aus zu vielen Empfänger:innen gesendet – von einer Fernsehgemeinde spricht, so gibt es online auf jeden Fall eine Gemeinde, die über die verschiedenen Rückkanäle und Interaktionsformen miteinander verbunden ist und untereinander kommuniziert. Gemeinde – so verstanden – ist eben nicht von Präsenz an einem physikalischen Ort abhängig, sondern dass untereinander kommuniziert und Gemeinschaft erlebt wird.

Außerdem: Wer lädt zum Abendmahl ein? Wenn es Christus selbst ist, wie können wir diese Einladung nur auf eine bestimmte räumliche Reichweite um den Altar herum beschränken? Wenn es nach protestantischem Verständnis eben keine Wandlung gibt, kann es nicht für eine Abendmahlsfeier entscheidend sein, dass Brot und Wein von einem Altar aus an die Gemeinde distribuiert werden müssen.

Wer sich die unterschiedlichen Argumente Pro und Contra digitales Abendmahl genauer ansieht, wird unterschiedliche Einschätzungen zur Digitalität bei den jeweiligen Protagonist:innen ausmachen können, die zu verschiedenen theologischen Einschätzungen führen.

Aus Sicht des Verfassers spricht grundsätzlich nichts Theologisches gegen digitale Abendmahlsfeiern. Allerdings: es muss nicht alles in jeder Gemeinde sinnvoll sein, was theologisch gut begründbar ist. Gründonnerstag 2020 hat der Verfasser selbst an einer Abendmahlsfeier über das Videokonferenztool Zoom teilgenommen. Gerade weil in der Zeit des Lockdowns körperliche Nähe nur sehr eingeschränkt möglich war und die meisten Kontakte digital stattfanden, war die körperliche Einnahme von Brot und Wein innerhalb einer (digitalen) Gemeinschaft für ihn besonders wichtig.

Digitalität wird unterschiedlich erlebt

Die 2020 durchgeführte und 2021 wiederholte ReTeOG-Studie untersucht, wie digitale Gottesdienste erlebt werden und welche Wünsche Kirchgänger:innen haben. Sie zeigt deutlich, dass digitale Gottesdienste durchaus unterschiedlich erlebt werden. Was für jemand das Erleben neuer Partizipationsformen ist, stellt für jemand anders nur eine vorübergehende Notlösung sein. In der ReTeOG-Studie 2021 wurde auch eine Frage zum digitalen Abendmahl gestellt. Rund die Hälfte (46,8 Prozent) der über 4000 Befragten wünschen sich online ausschließlich Gottesdienste ohne Abendmahl oder abendmahlsähnliche Feiern; 38,9 Prozent wollen gelegentlich auch digital Abendmahl feiern; 14,3 Prozent möchten gelegentlich abendmahlsähnliche Feiern wie z.B. Agapemahle als Online-Gottesdienst.

2021 war die Diskussion zum Online-Abendmahl nicht mehr virulent, Gemeinden haben für die Kar- und Osterzeit ihre eigenen Lösungen gefunden. Ostern 2022 konnten Gemeinden ihre Gottesdienste wieder präsentisch und weitestgehend ohne Einschränkungen feiern. Es stellt sich daher nicht mehr so sehr die Frage, ob es digitale Abendmahlsfeiern geben soll, sondern grundsätzlicher die Frage nach digitalen Gottesdiensten überhaupt. Rund vier Fünftel (2020 82,8 Prozent bzw. 2021 79,3 Prozent) aller Befragten der ReTeOG-Studie wünschen sich die Beibehaltung digitaler Gottesdienste auch nach Corona, am liebsten aus der eigenen Gemeinde. Werden Gemeinden weiterhin gottesdienstliche Angebote für die Gemeindeglieder machen, die digitale Gottesdienste in der Coronazeit schätzen gelernt haben? Und wenn sie digitale Abendmahlsfeiern anbieten, lautet die Frage: wie können sie diese so gestalten, dass die Gemeinschaft der Feiernden für alle – ob digital oder vor Ort präsent – gut erlebbar wird.


1 Der Verfasser stellte 2007 gemeinsam mit Tom Brok in einem Aufsatz „Gottesdienst und Gemeinde im Internet?“ der Arbeitsstelle Gottesdienst die Frage nach der Möglichkeit eines Online-Abendmahls in der Zeitschrift der Gemeinsamen Arbeitsstelle für gottesdienstliche Fragen der Evangelischen Kirche in Deutschland, 01/2007 (Liturgie per Mausklick). http://www.ekd.de/internet/vortraege/070610_brok_reimann.html, erhielt aber keine Reaktion darauf.

2 https://theonet.de/2012/09/08/das-ist-mein-leib-und-dann-war-der-ton-weg/

3 Zit. nach https://theonet.de/2020/04/18/christi-leib-fuer-dich-im-livestream-abendmahl-online-feiern/

4 https://www.bibeltv.de/bibeltv/neuigkeiten/stunde-des-hoechsten-abendmahlsfeier-mit-der-fernsehgemeinde

5 https://www.elk-wue.de/news/15032016-abendmahl-via-tv-gottesdienst

6 https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/Hinweise%20zum%20Umgang%20mit%20dem%20Abendmahl%20in%20der%20Corona-Krise.pdf



Hinweis: Dieser Blogpost erschien als Beitrag in den „nachrichten der Evangelisch-Lutherischen Kiche in Bayern 3/22

Autor:in


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.