„Die Aufgabe eines Historikers ist es nicht, uns die Vergangenheit vertraut erscheinen zu lassen, sondern die Gegenwart in anderem Licht „, sagte Mc Mahon Ciarán als Einführung zu seinem Vortrag auf #ECIC18.
Diesen will ich nicht wiederholen, allerdings brachte mich ein Gedanke zum Nachdenken. Es wird oft behauptet, das Internet sei Computer-vermittelte Kommunikation, aber Ciarán Mc Mahon widerspricht. Das Internet ist ein Umgebung. Web-Designer versuchen, die Lücke zwischen den Nutzerinnen und Nutzern zu überbrücken und Sie unmittelbare Präsenz erleben zu lassen. Das Internet ist – in der Erfahrungen der User – eine neue Umgebung mit neuen Verhaltensmustern und -regeln, ist es direkte und keine medial vermittelte Kommunikation.
Wenn wir online sind, leben wir in einem anderen Raum. Es gibt keinen „Ton“, es gibt keine emotionale Botschaft in textbasierte Kommunikation. Online-Beziehungen sind daher anders als face-to-face-Kommunikation. (Es wäre interessant, wie Ciarán Mc Mahon die zunehmende Nutzung von Videos, Audios und Fotos in Online-Kommunikation bewertet und ob er immer noch zu diesem Urteil käme.)
Um das 21. Jahrhundert zu verstehen, kann es manchmal hilfreich sein, in die Vergangenheit zu schauen. Bis zum 2. und 3. Jahrhundert n. Chr., war Lesen ein gesellschaftliches Ereignis. So wurden zum Beispiel Platons philosophische Schriften auf Schriftrollen tradiert. Diese Schriftrollen wurden in der Öffentlichkeit gelesen und von der Zuhörerschaft diskutiert. Die Platoniker und auch die frühen Kirchenväter haben dabei auch ihre Vorstellung entwickelt, wo die Seele ist. Augustinus übernahm diese platonische Vorstellung und bildet sie aus zu einem inneren Wesen oder Bewusstsein. Interessanterweise wird zur selben Zeit – im 4. Jahrhundert n. Chr – privates Lesen häufiger, Kodizes werden statt Schriftrollen verwendet. Natürlich ist das Lesen eines Kodex viel praktischer als das Lesen aus einer Schriftrolle. Stilles Lesen war entscheidend für Augustinus‘ Bekehrung, denn er hörte eine innere Stimme: „Tolle, lege!“, er nahm das Buch und las. So war Augustinus auf das innere Bewusstsein ausgerichtet.
Wir folgen immer noch der augustinischen Vorstellung und seinem Raumbegriff, wenn wir das Internet nutzen. Man stelle sich nur vor, wir läsen Emails oder SMS-Nachrichten laut in der Öffentlichkeit. Für die Online-Kommunikation verwenden wir daher die Anschauung, dass die Kommunikation innerhalb des internen Bewusstseins sich ereignet. Daher geschieht Internet-Kommunikation für uns in einer anderen Umgebung als face-to-face-Kommunikation, wenn wir uns im selben physischen Raum befinden wie die die Person oder Personen, mit der bzw. mit denen wir online kommunizieren.
Lesen oder Online-Kommunikation ist nicht weniger wirklich, als face-to-face-Kommunikation, allerdings liegt ihr eine andere Anschauung des Raumes und unserer Umgebung zugrunde.
Augustine gab uns eine Anschauung des Raumes und einen neuen Verständnisrahmen, wie wir das Internet erleben. Manchmal lässt ein Blick in die Vergangenheit uns daher auch die Gegenwart in einer neuen Weise verstehen.
Quelle: http://ralpe.eu/post/52294535660/no-internet-without-augustine
Eine Antwort zu “Kein Internet ohne Augustinus”
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