Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft und unseren Alltag. Angela Merkel hat für den Satz, dass Internet Neuland sei, viel Häme im Netz abbekommen. Für uns als Kirche ist die Digitalisierung in vielen Bereichen auch ein neues Land, in dem wir uns noch zurechtfinden müssen.
Zum Reformationsjubiläum feiert die Evangelische Kirche im Rheinland 95 Gottesdienste an besonderen Orten. Kirche macht sich auf in die Welt, sie zieht aus ihren Mauern aus und bewegt sich auf andere Lebensbereiche zu.
Kirche und Digitalisierung – wie geht das zusammen? An welchen Ort können wir uns aufmachen, um uns auch vom Ort inspirieren zu lassen? Ein Rechenzentrum war ein erster Gedanke, schied aber aus praktischen Gründen aus, da es Zugangskontollen gibt und ein Rechenzentrum nicht dafür ausgelegt ist, dass sich Menschen dort versammeln. Außerdem: ein Rechenzentrum ist ein Ort, wo Computer ihren Dienst verrichten, Digitalisierung wird aber von Menschen betrieben, Computer sind nur die Instrumente dafür. Also: dahin gehen, wo Menschen Digitalisierung umsetzen, zu einem IT-Dienstleister.
Wir waren froh, die Einladung des Aachener IT-Unternehmens synaix zu erhalten, hier erbringen Menschen IT-Dienstleistungen, stellen aber auch die ethischen Fragen, was Digitalisierung für unsere Gesellschaft bedeutet. Außerdem bringt synaix ein Netzwerk mit ein, als Kirche begegnen wir so verschiedenen Facetten der Digitalisierung.
Schnell war bei den Vorbereitungen klar, dass Menschen, die Digitalisierung mitgestalten, sich mit einem biblischen Text auseinandersetzen und ihre Erfahrungen mit diesem bibischen Text deuten werden. „Kanzelrede” haben wir diese Form der Begegnung mit einem biblischen Text genannt. Ich finde es sehr spannend, dass sich Menschen darauf eingelassen haben, die ganz unterschiedliche Beziehungen zu Kirche und Glaube haben: Stefan Fritz, Iris Wilhelmi und Felix Plitzko. Vielen Dank für die Bereitschaft, mitzumachen!
Die verschiedenen Perspektiven in den Vorbereitungsgesprächen zu hören, war interessant, gerade auch von jemand, der Gott mehr philosophisch als christlich versteht, sich aber trotzdem auf den Dialog mit einem Bibeltext einlässt.
Ich bin mir daher sicher, dass wir Auslegungen der Heiligen Schrift hören werden, die anders sind als bei einer Predigt in einer Kirche. Ich habe früher geklagt, dass Kirche den gesellschaftlichen Anschluss verloren hat in Bezug auf die Digitalisierung, bei den Vorbereitungen dieses Gottesdienstes kam es jedoch zu Gesprächen auf Augenhöhe.
Wir haben bewusst die Form eines Gottesdienstes gewählt, neben der Schriftauslegung in den Kanzelreden gibt es Gebet, Fürbitte und Segen. Wir haben Menschen aus der Kirche eingeladen, die Interesse am Thema Digitalisierung haben, umgekehrt aber auch Menschen, die aus dem IT- und Medienbereich kommen, und sich für die ethischen Aspekten der Digitalisierung interessieren. Gemeinsam werden wir miteinander Gottesdienst feiern, Glaubende, Nicht-mehr-Glaubende, Noch-nicht-Glaubende, Suchende, Interessierte, Menschen guten Willens – was bedeutet das für die Gestaltung des Gottesdienstes? Außerdem soll es nicht ein Gottesdienst über die Digitalisierung werden, sondern Digitalisierung soll ins Gottesdienstgeschehen eingebunden werden.
Wir haben uns daher entschieden, den Gottesdienst live im Internet zu streamen. Damit es mehr ist als eine unidirektionale Übertragung setzen wir Social Media als Rückkanal ein. Über die verschiedenen Social-Media-Kanäle können sowohl die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher vor Ort in Aachen als auch diejenigen, die online teilnehmen, ihre Kommentare, ihr Feedback oder ihre Fürbitten posten. Die Social Media Wall wird auch im Gottesdienst durch einen Screen einsehbar sein, in der Wall kommen Ortsgemeinde und Webgemeinde zusammen.
Der liturgischer Rahmen folgt der bekannten Form des traditionellen Gemeindegottesdienstes, allerdings haben wir die Gemeindelieder durch Instrumentalmusik ersetzt. Da die Gemeinde sonst über Gesang einbezogen ist, haben wir bei den musikalischen Sequenzen (Saxophon/Gitarre) SocialMedia-Interaktionen eingeplant. Bei der Raumgestaltung wollten wir keine Kirche imitieren – wir sind ja bewusst zu einem IT-Unternehmen gegangen. Statt Kanzel haben wir daher ein Stehpult, statt der gedruckten Bibel auf dem Altar (für Menschen mit reformierter Tradition ist das sowieso nur ein Tisch) haben wir ein Ständer, darauf gibt es ein iPad mit geöffneter Bibel-App. Die Bibel steht also vorne in der Mitte, aber in digitaler Form.
„Sei getrost und unverzagt,“ unter dieses Leitwort aus Josua 1,6 haben wir den Gottesdienst gestellt, daraus folgt auch der Hashtag #unverzagt2017. Das Volk Israel ist mit dem neuen Anführer Josua auf dem Weg in ein neues Land. Nicht mit Zaudern und Bedenken sollen sie sich aufmachen, sondern mutig und beherzt. Quasi als Kompass wird Josua mitgegeben: „Weiche nicht [vom Gesetz], weder zur Rechten noch zur Linken, auf dass du es recht ausrichten kannst, wo hin du auch gehst.” Auf dem Weg ins Neuland bleibt die Orientierung an Gottes Geboten dieselbe. Wenn wir uns in der Kirche in die digitale Gesellschaft aufmachen, gelten bei diesem Übergang für uns dieselben Maßstäbe. Wir brauchen keine Angst zu haben, uns auf Neues einzulassen, aber wir müssen übersetzen, was die biblischen Maßstäbe in Bezug auf Digitalisierung heute bedeuten.
Nach der Eingangsliturgie mit Psalm und Gebet folgt das Glaubensbekenntis. Wir haben länger überlegt und uns für diese Variante entschieden, quasi als Einleitung nehmen wir ein modernes Bekenntis aus dem Evangelischen Gottesdienstbuch und laden dann ein, eigene Bekenntnisworte über Social Media zu posten (z.B. „Gott ist Liebe”). So wird niemand vereinnahmt, wer aber sich beteiligen möchte, kann das niederschwellig tun.
Nach den einzelnen Kanzelreden besteht ebenfalls bei Musikeinspielung die Möglichkeit, sich über Social Media zu äußern, ein Mini-Predigtnachgespräch in Tweet-Format. Ebenso holen wir die Fürbitten per Social Media ein, die dann gebündelt im Gottesdienst verlesen werden, die Gebetsanliegen tragen so die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gottesdienstes zusammen. Es folgen Vaterunser und Segen.
Der Gottesdienst ist ein Experiment, herzliche Einladung sich unter http://www.ekir.de/www/service/Dialog_Gottesdienst_Aachen_28083.php morgen (4. April ab ca. 17:45 Uhr) den Stream anzusehen und sich über https://walls.io/unverzagt2017 zu beteiligen. Posts sind möglich über Twitter, Instagram und G+ mit dem Hashtag #unverzagt2017, außerdem per Facebook-Messenger, dazu dem Link auf der Wall folgen.
Unsere Vorüberlegungen habe ich hier geteilt und freue mich über Feedback, vor und nach dem Gottesdienst.
Liturgische Eröffnung und Begrüßung
EingangsgebetGuter Gott,
wir sind hier versammelt – in Aachen und an anderen Orten, verbunden über das Internet,
gemeinsam wir feiern miteinander Gottesdienst,
Glaubende, Nicht-mehr-Glaubende, Noch-Nicht-Glaubende, Suchende, Interessierte, Menschen guten Willens,
gemeinsam sind wir auf dem Wege
und auf der Suche nach Orientierung
wir bitten Dich,
gib uns Mut, neue Wege zu gehen und nach neuen Lösungen zu suchen,
wir als Gesellschaft mit der Digitalisierung leben können,
dass wir Chancen nutzen,
und auf Menschen zugehen, die vom Fortschritt abgehängt werden.
Bei allen Herausforderungen, vor denen wir stehen, bitten wir Dich:
schenke Du uns Deinen Geist,
damit wir getrost und unverzagt in die Zukunft gehen, die Du uns gibst.
Amen.Psalm 8 in Auswahl
GOTT, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen, der du zeigst deine Hoheit am Himmel!
Aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge / hast du eine Macht zugerichtet.
Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast:
was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?
Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.
Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan:
Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere,
die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meer und alles, was die Meere durchzieht.
GOTT, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!Glaubensbekenntnis (Evangelisches Gottesdienstbuch 539)
Wir sind nicht allein; wir leben in Gottes Welt.
Wir glauben an Gott,
Der die Welt geschaffen hat und in ihr wirksam ist,
Der in Jesus gekommen ist, um uns zu versöhnen und neu zu machen.
Wir vertrauen auf Gott,
Der uns beruft, Kirche zu sein, andere zu lieben,
Gerechtigkeit zu suchen und Bösem zu widerstehen,
Jesus zu verkünden, den Gekreuzigten und Auferstandenen,
Unseren Richter und unseren Beistand.
Im Leben, im Tod und im Leben nach dem Tod ist Gott mit uns.
Wir sind nicht allein. Dank sei Gott.Musik – Einladung – auch via Twitter– , eigene Gedanken zu formulieren (z.B. Gott ist Liebe….)
Kanzelrede „Macht euch die Erde untertan“ (1. Mose 1,28)
Musik – Einladung – via Twitter—Feedback zu geben
Kanzelrede „Gerechtigkeit erhöht ein Volk.“ (Sprüche 14,34)
Musik – Einladung – via Twitter—Feedback zu geben
Kanzelrede „Da setzten sich viele Zöllner zu Tisch mit Jesus“ (Markus 2,15)
Musik – Einladung – via Twitter—Feedback zu geben
Abschluss
Musik – Einladung – via Twitter— Fürbitten zu verfassen
Fürbitte (eingegangene Tweets verlesen)
Vaterunser
SegenMusik
Nachtrag 6.4.2017
Social Media Wall #unverzagt2017
Videobericht der Lokalzeit Aachen (verfügbar bis 12.4.2017)
6 Antworten zu “Social-Media-Gottesdienst #unverzagt2017: Digitalisierung als Thema und Umsetzung”
Was ich mir wünschen würde: Etwas Equipment in Richtung Lichttechnik und \“Kulisse\“. Und vielleicht jemanden, der mit dem Blickwinkel eines Regisseurs drauf schaut. Es muss ja nicht gerade die Perfektion einer Fernsehübertragung erreichen, aber man fängt doch unwillkürlich an, das damit zu vergleichen. Und es macht halt einen Unterschied, ob man es in diesem Raum mit seiner eigenen Athmosphäre live erlebt, oder eben am Bildschirm aus der Ferne.
Ich will nicht meckern. Aber vielleicht könnten wir gemeinsam von den Medienmenschen lernen. \“Thomas Kabel\“ (Liturgische Präsenz) hat uns ja auch ein gutes Stück weiter gebracht.
(Wobei Licht und Beleuchtung der Akteure in einem \“normalen\“ Kirchraum auch ein spannendes Thema wären.)
Wir haben schon einige Scheinwerfer mitgebracht – aber danke für die Hinweise.
Das Frage an den ins Internet übertragenen Gottesdiensten ist ja:
Orientiert man sich am normalen Gottesdienst? Da gibt es ja kaum Scheinwerfer, die etwa die Person am Lesepult/Ambo/Kanzel beleuchtet (was mitunter gespenstische Effekte hervorrufen kann. Ich kenne eine Kapelle, die wird von nur von oben beleuchtet, so dass bei einer der Pfarrpersonen nur die Nase von oben beleuchtet wurde).
Oder orientiert man sich an Bühnenaufführungen/Fernsehaufführungen, bei denen durch Scheinwerfer die Personen ganz anders in Szene gesetzt werden?
Bei Übertragungen würde ich für die zweite Version plädieren – und vielleicht könnte man für die eine oder andere Kirche ohne Übertragung auch etwas hinzu lernen / gewinnen.
Was mich noch interessieren würde: Wie habt ihr das eigentlich rechtlich gemacht?
Z.B. die Frage der Sendelizenz – Live-Stream und Interaktionsmöglichkeit erfordert ja (wenn man mehr als 500 Personen erreichen könnte) m.W. eine Lizenz.
Oder die Aufführungsrechte für Musik und Texte: Braucht man da noch was zusätzliches, wenn man streamt und hinterher veröffentlicht? Für gottesdienstliche Nutzung gelten ja vereinfachte Rahmenverträge, aber schließen die auch Streams/Mediatheken ein?
Durch Streams/Aufzeichnungen \“normaler\“ Gottesdienste könnte man auch eine Form der Digitialisierung gehen, die anderen Gruppen die Teilhabe ermöglicht, bisher erlebe ich da aber starke Zurückhaltung weil sich niemand an diese Rechtsfragen rantraut…
[…] und setzt zunächst auf Bemühungen, Gottesdienste interaktiv zu gestalten (beispielsweise Social Media Gottesdienste in der rheinischen Kirche oder das Sublan-Projekt in […]
[…] ereignet sich auch im Vorfeld. Während bei den Twittergottesdiensten in Aachen und in Essen die Vorbereitung über ein Etherpad lief, wurde für den Magdeburger Gottesdienst ein […]