~o~ heißt: „Friede sei mit dir“ – Gottesdienste im Internet

Die Twitterwall beim Twittergottesdienst zum Relicamp 2012 in Frankfurt (Foto: Hanno Terbuyken/evangelisch.de)
Die Twitterwall beim Twittergottesdienst zum Relicamp 2012 in Frankfurt (Foto: Hanno Terbuyken/evangelisch.de)

Facebook-Gottesdienst, Twittagsgebet, Chatandacht oder Online-Abendmahl – alleine diese Worte zeigen schon, was es im Netz alles gibt. Allerdings, was technisch geht, muss theologisch noch lange nicht gut sein.

Das Web 2.0 hat die Trennung zwischen Produzenten und Konsumenten aufgehoben, wir alle sind „Prosumer“ geworden, d.h. wir produzieren und konsumieren Inhalte. Auf Gottesdienste übertragen heißt dies, die Trennung zwischen der Liturgin bzw. dem Liturgen (dem „Produzenten“ bzw. der Produzentin eines Gottesdienstes) und der Gemeinde (den „Konsumenten“ eines Gottesdienstes) ist aufgehoben. Diese Möglichkeiten des Web 2.0 werden allerdings nicht immer genutzt, man findet daher auch im Internet Gottesdienst 1.0, d.h. traditionelle Gottesdienst-Formen aus der Kohlenstoffwelt, die eins zu eins ins Internet transponiert werden, ohne die durch das Web 2.0 gegebenen Kommunikationsformen zu nutzen. Andererseits gibt es in den Weiten der Online-Welten auch immer jemand, der oder die Experimentelles einfach umsetzt und neue Online-Techniken nutzt, ohne sich für diese Gottesdienstform die kirchenamtliche Erlaubnis einzuholen.

Streaming von Gottesdiensten

Das Streaming – also eine Live-Übertragung über das Internet – war 2001 noch etwas besonderes, als die rheinische Kirche auf ekir.de erstmalig einen Pfingstgottesdienst live ins Internet streamte. Damals ein innovatives Konzept, würde sich heute allerdings niemand mehr Online-Śtreams in Briefmarkengröße ansehen wollen. Internetübertragungen von Gottesdiensten sind so normal geworden, dass man in der Regel nichtmals mehr an den Verbreitungsweg denkt. Man kann beispielsweise den ZDF-Fernsehgottesdienst über Antenne, Satellit oder eben das Internet ansehen, das Internet ist nur der Übertragungskanal, die Form des Gottesdienstes wird aber nicht durch das Netz beeinflusst. Was in den USA oder Skandinavien schon üblich ist, fasst auch in Deutschland Fuß, es gibt bereits Gemeinden, die regelmäßig den Gemeindegottesdienst ins Internet übertragen.

On-demand-Video

Neben der Live-Übertragung gibt es auch das Bereitsstellen von on-demand-Videos von Gottesdiensten. Ob Übertragung oder on-demand, Online-Angebote sind natürlich besonders interessant für Gemeinden, an deren Gottesdienste bestimmte Zielgruppen nicht vor Ort teilnehmen können. Die „Cathedral of Hope“ in Dallas ist eine so genannte „open and affirming church“, also eine Gemeinde innerhalb der EKD-Partnerkirche United Church of Christ, die schwule, lesbische und Transgender-Christen explizit einlädt. Da es in Texas nicht in allen Städte solche offene Gemeinden gibt, können aufgrund des langen Weges viele Interessierte nur unregelmäßig am Gottesdienstleben teilnehmen. Daher setzt die Cathedral of Hope auch auf das Internet und bietet ihre Gottesdienste auch on-demand im Internet an. Um die Rückbindung an die Gemeinde vor Ort herzustellen, werden die Internet-User gebeten [http://www2.cathedralofhope.com/contact-forms/worship-registration], dem Pfarrer bzw. der Pfarrerin das Ansehen des Gottesdienst-Videos mitzuteilen, die Gemeinde spricht dann von der Online-Teilnahme am Gottesdienst.

Interaktive Gottesdienste

Einen Schritt weiter gehen interaktive Gottesdienst. Das Internet ist funktioniert hier auch als Rückkanal zur versammelte Gemeinde. Die Online-Teilnehmer am Gottesdienst spielen über E-Mail, Chat oder Twitter bzw. Facebook ihre Anliegen wieder zurück in das gottesdienstliche Geschehen der versammelten Gemeinde. Beispielhaft dafür ist der ZDF-Gottesdienst zum Volkstrauertag 2006. Unter dem Titel „Stärker als Geschichte“ wurde aus der Christus- und Garnisonskirche in Wilhelmshaven nicht nur ein Gottesdienst im Fernsehen und als Internet-Stream übertragen. Über das Internet konnten sich Menschen aktiv im Vorfeld der Übertragung über ein Blog und dessen Kommentarfunktion einbringen, während der laufenden Sendung könnten sie online Fürbitten posten, die dann verlesen und übers Fernsehen übertragen wurden. Nach dem Gottesdienst gab es abschließend einen Chat. Das Internet eröffnete im Gegensatz zum Fernsehen einen Rückkanal, so dass die Nutzerinnen und Nutzer Fragen stellen oder sich mit ihren Anliegen an Seelsorger wenden können. So wünschenswert solche partizipatorischen Gottesdienste sind, es gibt sie nicht oft, denn die Vorbereitung ist deutlich aufwändiger.

Zu diesem Genre könnte man auch den nach eigenen Angaben ersten katholischen Facebook-Gottesdienst im April 2012 zählen, [http://www.kirche.tv/Default.aspx?tabid=56&mFileId=9767&ctl2l=Details] der mit dem Slogan „Einloggen, anklicken, mitfeiern“ beworben wurde. Dem Gottesdienst merkte man deutlich die Herkunft aus der Fernseharbeit an, auch wenn er nur über das Internet gesendet wurde. Neben dem Priester gab es ein gutes Dutzend Gottesdienstbesucherinnen und -besucher auf den Bänken einer Kapelle. Eine Online-Redakteurin trat neben den Pfarrer und verlas vom iPad, was die Facebook-User mitteilten – dies wurde dann wieder live gestreamt.
Bei diesem Gottesdienst wurde die Problematik von Online-Gottesdiensten deutlich: Durch das Medium Intenet als solches wird ein Gottesdienst nicht automatisch interaktiv. Auch die Menschen in den Bänken hätten zum Mikro gehen können und Fürbitten vortragen können oder sie hätten selbst ihr Smartphone zücken können und ihre Anliegen posten können – aber sie verhielten sich wie sonst bei Gemeindegottesdiensten: zuhören, mitbeten, mitsingen. Oder zielte der Gottesdienst eigentlich auf die Facebook-User irgendwo draußen im WWW ab und sind die in der Kapelle versammelten Menschen nur schmückendens Beiwerk? Dann hätten ihre Interaktionen aber im Mittelpunkt stehen müssen und nicht nur von einer Reporterin verlesen werden dürfen. Es ist schwierig, zwei Zielgruppen – vor Ort und online – in einem Gottesdienst einzubeziehen und beiden gleichsam gerecht zu werden.
Sowohl im evangelischen als auch katholischen Bereich gibt es auch in Deutschland Gemeinden, die ihren Gottesdienst ins Internet übertragen [beispielsweise http://sublan.de/ oder http://www.ludgerus.net/live/livestream.pl]. Auch wenn dieser Gottesdienst potenziell von allen Nutzern des WWW verfolgt werden könnte, richtet sich der Gottesdienst dieser Gemeinden jedoch hauptsächlich an Menschen, die bereits einen Bezug zur jeweiligen Gemeinde haben. Das Internet bietet ihnen die Möglichkeit teilzunehmen und ihre Anliegen einzubringen, auch wenn sie nicht vor Ort dabei sein können.

Twittergottesdienste

Das Internet kann auch zur Aktivierung der Ortsgemeinde beitragen, hierfür eignet sich besonders gut der Kurznachrichtendienst Twitter. Per Mobiltelefon oder PC im Gottesdienstraum können Gottesdienstbesucher direkt Kurzmitteilungen – so genannte Tweets – schreiben, die auf einer so genannten Twitterwall gebündelt werden und per Beamer für alle sichtbar an eine Wand im Gottesdienstraum geworfen werden [http://pastorenstueckchen.de/2011/05/neue-ueberlegungen-zu-einem-twittergottesdienst]. Hier ermöglichen Neue Medien auch neue Gottesdienstformen. Ein Kommentar zur Predigt auf der Twitterwall stört nicht, sondern kann sie ergänzen, während Getuschele im traditionellen Gottesdienst als störend empfunden würde. Erfahrungen aus Twittergottesdiensten zeigen, dass sich auch Menschen – gerade auch Männer – aktiv z.B. mit Fürbitten beteiligen, die sonst im Gottesdienst eher stumm blieben. Wie für jede neuartige Gottesdienstform gilt, auch solche Gottesdienste müssen gut vorbereitet werden, um das Potenzial, das in ihnen steckt, auch umzusetzen. Die Reduktion auf 140 Zeichen bei den Tweets führt manchmal zu kraftvollen Verdichtungen, z.B. wenn jemand twittert, “Gott ist mein Navi”. Es gibt aber auch Teilnehmende, die einen Twittergottesdienst “extrem protestantisch wortlastig” finden. Dies gilt besonders dann, wenn sie nicht vor Ort dabei waren, sondern den Gottesdienst nur anhand der Tweets verfolgt haben, in denen ein Twitterreporter das Gottesdienstgeschehen per Kurzbotschaften ins Internet kommuniziert hat. [http://aktuell.evangelisch.de/comment/1031?destination=comment/1031http%3A//aktuell.evangelisch.de/artikel/2191/unter-dem-christus-die-twitterwall%3Fdeination%3Dnode/2191 ]

Chatandachten

Erst waren sie nur ein Pilotprojekt, dann forderten die User sie regelmäßig ein, von 2009 bis 2011 fanden auf evangelisch.de regelmäßig Chatandachten statt. Im Chat trafen sich regelmäßig zehn bis 25 Mitglieder aus der Community einmal die Woche zu einem Andachtschat [http://weblogs.evangelisch.de/weblogs/stilvoll-glauben/2011/04/01/online-andacht-rechts-kopieren-links-einf%C3%BCgen-enter]. Über die Zeit bildete sich eine feste Liturgie heraus. In der Eingangsliturgie beteten die Chatteilnehmer einen Psalm im Wechsel, danach tauschten sie sich zu einem biblischen Text aus, gefolgt von Fürbitten, Vaterunser und Segen. Eine Anbindung an eine Ortsgemeinde gab es nicht, Liturg bzw. Liturgin und Gemeinde waren alle gemeinsam online, kannten sich aber aus der evangelisch.de-Community. Die Reduzierung auf das gesprochene – oder besser: getippte – Wort ermöglichte andererseits auch eine Nähe, die man sonst in landeskirchlichen Gemeinden nur selten kennt. In den Fürbitten wurden häufig auch persönliche Gebetsanliegen vorgetragen. Es entwickelten sich über die Zeit eigene Formen und Rituale. Der Fokus lag auf Interaktion und Austausch, die anstelle der Predigt gab es einen Dialog zum Bibeltext. Beim gemeinsam getippten Vaterunser wartete man auf den langsamsten Tipper und für den Friedensgruß „Friede sei mit dir“ erfand jemand die Zeichenfolge ~o~, die an eine Friedenstaube erinnern soll, als Symbol.

Online-Gemeinden?

Im Gegensatz zu gestreamten Gottesdiensten sind Chatandachten reine Internetgottesdienste, die Internetuser sind die versammelte Gemeinde. Dies führt konsequenterweise zur Frage, ob es reine Online-Gemeinden geben kann – geben darf oder sogar geben müsste. Dies ist zunächst einmal eine komplexe theologische Fragestellung. Das Augsburgischer Bekenntnis (Artikel VII) beschreibt die Kirche als „die Versammlung aller Gläubigen […], bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden.“ Daher ist nicht der Ort entscheidend – sei es eine Kirche in der Kohlenstoffwelt oder eine Online-Gemeinde -, sondern was in der Gemeinschaft geschieht.
Offizielle Online-Gemeinden als Personalgemeinden einer Landeskirche gibt es in Deutschland (noch) nicht. Die Kirche Kirche von England ist in diesem Punkte einen Schritt weiter. Die „London Internet Church“ [http://londoninternetchurch.org.uk/] versteht sich als Teil der anglikanischen Diözese London, ist aber weltweit ausgerichtet: „Die London Internet Church ist eine über die Welt verteilte Gemeinschaft, die sich online trifft, um Gottesdienst zu feiern, nach Antworten zu suchen, einander zu ermutigen und zu beten.“ Was in der Weltstadt London bereits Wirklichkeit ist, bleibt für Deutschland eine Herausforderung.
Wenn evangelische Kirche sich als Volkskirche versteht und da sein will, wo Christenmenschen leben, ist es an der Zeit, entsprechende Online-Angebote für die Menschen zu machen, die gewollt oder ungewollt viel ihrer Zeit im Netz verbringen oder im Internet leben.

Online-Abendmahl

Die Verkündigung des Evangeliums ist selbstverständlich auch im Internet möglich, bei der Online-Sakramentsverwaltung haben die meisten Theologen Bedenken. Aber im Internet gibt es nichts, was es nicht gibt, so feierte im September 2012 ein Prädikant in einer hessischen Gemeinde ein Online-Abendmahl [https://theonet.de/2012/09/08/das-ist-mein-leib-und-dann-war-der-ton-weg/], die Internetuser waren eingeladen, bei sich Zuhause vor dem Bildschirm Brot und Wein bzw. Traubensaft zu sich zu nehmen. Man kann es also tun, aber was bedeutet es? Und soll man dies wiederholen? Ist Christus nur dann gegenwärtig in Brot und Wein, wenn die Gemeinde an einem Ort der Kohlenstoffwelt versammelt ist, oder übersteigt die Gegenwart Christi auch räumliche Schranken. Wie Christus im Herrenmahl gegenwärtig ist, war ein Streitpunkt zwischen Lutheranern und Reformierten zur Reformationszeit– das Internet stellt diese Frage neu – und noch viele andere Fragen mehr.


Hinweis: Dieser Text erschien in „zur sache bw. Evangelische Kommentare zu Fragen der Zeit“, Nummer 22.2012. Wiedergabe als Blogpost mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. www.militaerseelsorge.de

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7 Antworten zu “~o~ heißt: „Friede sei mit dir“ – Gottesdienste im Internet”

  1. Lieber Ralf-Peter, vielen Dank für diesen Artikel, er bietet eine gute Übersicht! Die Frage des Abendmahls hätte ich gern irgendwann mal geklärt anstatt nur aufgeworfen. Ich versuche das mal im Rahmen der Masterarbeit… Grüße, Anne

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